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"Gelb-Rot-Gelb wird auch ganz gerne immer noch geflaggt"

Die regionale Identität werde im Badischen stark ausgelebt, sagt Oliver Sänger, Kurator der Jubiläumsausstellung "Baden! 900 Jahre". Dies äußere sich im "Stolz auf liberale Traditionen und im Genießen der Lebensart und der Landschaft".

Oliver Sänger im Gespräch mit Beatrix Novy | 14.06.2012
    Beatrix Novy: Karlsruhe, die barocke Idealstadt, Offenburg, die Burda-Stadt; Großherzöge und Bürgerfleiß; Kaspar Hauser und Karl von Drais, Schäufele und Kuckucksuhren, Badische und Unsymbadische – Kalauer müssen auch sein – Baden also ist eine Gegend, die vor Pracht und Frieden nur so strotzt, aber deren 1848er-Revolution die stärkste Erinnerung und wohl auch die größte Auswandererzahl hinterließ. Und angeblich nie verwunden wurde die Fusion von Baden und Württemberg zu einem Bundesland. Da tut es gut, heute mal nur von Baden zu reden, denn das Land Baden wird 900 Jahre alt, das Landesmuseum in Karlsruhe feiert das mit einer Ausstellung. - Frage an den Kurator dieser Ausstellung, Oliver Sänger: Solche Daten wie die Gründung eines Landes sind ja oft ungewiss. Hat denn Baden wirklich so eine Art von Gründungsakte?

    Oliver Sänger: Ja das kann man durchaus sagen. Wir zeigen bei uns hier in der Ausstellung gleich zu Beginn eine Urkunde, die stammt tatsächlich aus dem Jahr 1112, und in dieser Urkunde wird zum ersten Mal ein Markgraf von Baden erwähnt. Und das nehmen wir eben als Beginn der badischen Landesgeschichte und das ist ja auch der Kern des dann späteren Landes Baden. So denke ich, kann man das schon zurecht als ein Gründungsjahr des Landes Baden nehmen und dieses Jubiläum auch zurecht feiern.

    Novy: Und damit begann dann eine lange Reihe von Markgrafen, die dann von Napoleon zu den Großherzögen gemacht wurden. – Herr Sänger, Regionalstolz ist ja schon seit den 80er-Jahren en vogue und es ist auch immer mehr geworden – als Gegenbewegung zu den Heimatverlusten der Moderne, wird man ja sagen können. Sie schreiben, kaum irgendwo wird regionale Identität so ausgelebt wie im Badischen. Ist das wirklich mehr als anderswo?

    Sänger: Das, denke ich, kann man schon sagen. Ich sehe das ganz gut an einer Mitarbeiterin von mir, die aus Hessen stammt und die sagt, das hat sie so auch noch nicht erlebt.

    Novy: Und worin äußert sich das?

    Sänger: Natürlich in Äußerlichkeiten wie dem Singen des Badener Liedes bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Gelb-Rot-Gelb wird auch ganz gerne immer noch geflaggt, also die badischen Landesfarben. Und dann natürlich auch in so einem Stolz auf liberale Traditionen und im Genießen der Lebensart und der Landschaft und des guten Essens und des Weines.

    Novy: ... , was natürlich auch zu vielen Klischees geführt hat. Wie holen Sie in Ihrer Ausstellung all dieses typisch Badische, diese Dinge und Begriffe, die Kuckucksuhr, der Schwarzwälder Bollenhut, wie holen Sie das aus dem Klischee heraus? Das haben Sie doch sicher getan.

    Sänger: Das haben wir getan. Eine von neun großen Themeneinheiten der Ausstellung beschäftigt sich eigens mit solchen Bildern und Klischees und Stereotypen, die da über Baden so im Schwange sind, und wir versuchen, denen schlichtweg auf den Grund zu gehen, denn jedes dieser Baden-Bilder, dieser Baden-Klischees und –Stereotypen hat eben eine Geschichte. Der Bollenhut wurde bewusst entdeckt und die Bilder des Bollenhutes auch bewusst gestreut und verbreitet. Das ist so eine Geschichte, die gut 100, 120 Jahre alt ist.

    Novy: ... also schon etwas mit Fremdenverkehr zu tun hatte?

    Sänger: Ja indirekt. Es ist so, dass Maler diese malerische Tracht des Bollenhutes entdeckt haben, sie dann zum Motiv ihrer Bilder gemacht haben, die stammten nicht aus Baden, die kamen aus Norddeutschland hierher, der eine sogar ganz konkret mit dem Auftrag für eine Illustration. Der sollte ein Buch von Berthold Auerbach illustrieren und hat sich im Schwarzwald auf die Suche gemacht nach schönen Motiven, das war Wilhelm Hasemann, und hat eben diesen Bollenhut dann entdeckt und hat in Gutach – im Kinzigtal liegt das – eine Künstlerkolonie gegründet und er und seine Nachfolger haben dann eben die Motive dort vor Ort in ihre Bilder aufgenommen, immer wieder natürlich auch mit dem Bollenhut, und diese Motive, die Gemälde, die da entstanden sind, wurden dann in der Zeit schon über die damals modernen prografischen Formen, also über Lichtdrucke, über Bildpostkarten und so weiter, weit verbreitet und so wurde dieser Bollenhut wirklich überhaupt erst so populär, weil er ist ja im Grunde ein Trachtenelement, das nur in drei Orten in Baden überhaupt traditionell als Teil der Tracht getragen wird.

    Novy: Und wie ist das mit dem Gewerbefleiß? Auch das ja etwas typisch Badisches oder Württembergisches?

    Sänger: Ich denke, beides. In beiden Ländern war es so, dass es Landstriche gab, vor allen Dingen auch im Schwarzwald, die karg waren und wo die Leute erfindungsreich sein mussten. Was vielleicht in Baden noch hinzukam, was vielleicht auch die Gewerbeentwicklung oder die frühe Industrialisierung auch gefördert hat, speziell im 19. Jahrhundert, war natürlich auch die verkehrsgünstige Lage. Baden ist besser zu erschließen gewesen durch den Rhein und durch den Eisenbahnbau entlang des Rheines und hat deshalb auch im 19. Jahrhundert sich einen Vorsprung erarbeiten können gegenüber Württemberg. Und das viel zitierte Musterländle, das ja heute Baden-Württemberg für sich in Anspruch nimmt, das aber auch gern die Württemberger, die Schwaben speziell für ihren Landesteil in Anspruch nehmen, ist eigentlich eine Bezeichnung, die im 19. Jahrhundert zunächst mal auf Baden bezogen war – zum einen auf die politische Entwicklung in Baden, aber auch auf die wirtschaftlich-technische Entwicklung. Da war Baden wirklich mal vorne.

    Novy: Welche ausgesprochenen Schattenseiten der badischen Historie zeigt denn die Ausstellung?

    Sänger: Also es ist zunächst mal so, dass Baden, auch bedingt durch die Grenzlage zu Frankreich, das nach dem Dreißigjährigen Krieg ja sehr nahegerückt ist durch die Eroberungszüge des Sonnenkönigs Ludwig XIV., immer wieder Kriegsgelände war, Aufmarschfläche war für verschiedenste Armeen. Das ist das eine und das andere ist natürlich auch die Zeit des Nationalsozialismus, die wir in der Ausstellung bewusst auch nicht ausgespart haben, und es gab auch hier besonders eifrige Nationalsozialisten. Es ist immer so im Selbstverständnis der Badener ganz gerne, dass man sagt, das Dritte Reich war hier auch nicht so schlimm, weil man hier so gemütlich ist und so traditionell liberal, und dieses Bild bestätigt sich bei genauem Hinsehen nun überhaupt nicht.

    Novy: Oliver Sänger war das, Kurator der Ausstellung im Karlsruher Landesmuseum, die morgen eröffnet wird und mit der die Badenser – nein, Moment: Richtig heißt es doch, mit der die Badener ihre Heimat feiern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.