Montag, 06. Mai 2024


Gottes Geschenke auf Flug DE 7076

Die Condor-Maschine von Frankfurt nach Salvador da Bahia ist bis auf den letzten Platz besetzt. Ärgerlich: Platz 16 K hat kein Fenster. Das heißt: Knapp elf Stunden ohne Aussicht. Dafür sitzt neben mir Nelci - eine Frau mittleren Alters mit schwarzem Haar und eckiger Brille. Nelci ist Italo-Brasilianerin.

Von Jörg-Christian Schillmöller / Fotos: Dirk Gebhardt | 21.07.2013
    Ihr Vater wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg von Rom nach Brasilien aus und heiratete dort. Bis zur Militärdiktatur in den 60er-Jahren arbeitete er als Angestellter im italienischen Konsulat, dann kehrte er nach Italien zurück. Nelci ist aber gebürtige Brasilianerin.

    "Ich bin mineira", sagt sie - und erklärt: Die Brasilianer nennen sich nach dem Namen ihrer Region. Die Einwohner von São Paulo heißen "paulistas", die von Rio de Janeiro sind die "cariocas" - und im Bundesstaat Bahia (wo wir hinfliegen), leben die "baianos". Nelci kommt aus dem Staat Minas Gerais in der Mitte - darum ist sie eine "mineira". Nelcis Mutter lebt noch heute dort, in Belo Horizonte.
    "Unser Land ist so reich. Und der Reichtum ist so ungleich verteilt"
    Nelci ist erklärter Fan von Lula da Silva, dem Vorgänger von Präsidentin Dilma Rousseff. Lula, sagt Nelci, war der erste, der etwas bewegt hat im Land. Aber er habe auch gesagt: Was in Brasilien seit hunderten von Jahren falsch lief, das kann ich nicht in wenigen Jahren ändern. Ich frage Nelci, wie sie über die Massenproteste im Land denkt. "Das muss sein", sagt sie. "Die Leute müssen das machen." Warum? "Unser Land ist so reich", sagt sie, "und der Reichtum ist so ungleich verteilt."

    Nelci verwendet ein schönes Bild, während sie spricht: die brasilianische Nationalflagge. Grüner Hintergrund, gelbe Raute und blaue Kugel mit weißen Sternen und den Worten "ordem e progesso" (Ordnung und Fortschritt). Das Grün, sagt Nelci, das steht für den Amazonas, für unsere Vegetation. Das Gelb, das sind unsere Schätze: das Gold, die Diamanten und die anderen Ressourcen. Und die blaue Kugel mit den Sternen: Das sind die brasilianischen Staaten.

    Und dann erzählt sie noch von einem besonderen brasilianischen Obst: dem Jaboticaba. Zwei, drei Meter hoch werde der Strauch, und wenn er blühe, dann sei er über und über mit weißen Blüten übersät. "Das sieht aus wie Baumwolle", sagt Nelci. Und die Frucht, die sei dunkelbraun und erinnere an Trauben. Der Jaboticaba, der sei "um presente de Deus", meint Nelci: ein Geschenk Gottes. Das es auch auf Boipeba geben soll.
    Blick aus dem Flugzeug auf Salvador da Bahia
    Anflug auf Salvador da Bahia (Dirk Gebhardt)

    Gegen Nachmittag Ortszeit - in Deutschland ist es schon Abend - erreichen wir Salvador da Bahia. Wir werden dort die Nacht verbringen, weil wir die Anreise auf die Insel nicht mehr schaffen würden. Denn: Morgen erwarten uns nacheinander: ein Taxi zum Hafen, eine Fähre über die Bucht von Salvador, ein Bus in das Städtchen Valença, ein zweiter Bus in das kleine Torrinhas, und von dort ein Schnellboot nach Boipeba.
    Der Archipel kommt uns langsam näher - und Deutschland rückt in die Ferne.

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    Karte von Boipeba
    Jörg-Christian Schillmöller ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.