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Grand Hotel in Budapest
Noble Hallen voller Geschichten

Schon der Schriftsteller Stefan Zweig schwärmte in Briefen an seinen Freund Hermann Hesse vom besonderen Charme des Grand Hotel in Budapest. Mit dem gleichnamigen Film von Wes Anderson stieg das Interesse an dem altehrwürdigen Haus. Grund genug für eine Führung durch die edlen Räume.

Von Katrin Kühne | 17.08.2014
    Gäste im Corinthia Hotel Budapest während der Wahlparty zur US-amerikanischen Präsidentenwahl im Jahr 2012. Aufgenommen am 06.11.2012
    Gäste bei einer Veranstaltung im Grand Hotel Budapest, welches heute anders heißt und als Grundlage für den Film "Grand Budapest Hotel" diente. (picture alliance / dpa / Szilard Koszticsak)
    In geradezu atemberaubendem Sprechtempo begrüßt der Direktor of Communications, Gabor Döry, seine Gäste in dem 1896 eröffneten, damals ersten Grand Hotel der Hauptstadt Ungarns.
    Gabor weist stolz auf das geschwungene 'R' mit Krone und dunkelrotem Doppelring in dem spiegelnden Marmor der Empfangshalle. Der Buchstabe steht für 'Royal' in Grand Hotel Royal Budapest, wie das Haus in der K.u.K.-Monarchie und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg hieß.
    Plötzlich herrscht gespannte Ruhe in der Lobby. Gabor wechselt einen Blick mit Tamas Ungar, dem Chef-Concierge. Der zieht nur leicht die Augenbraue hoch. Eine Dame mit Hut, Hündchen und kleiner Entourage steht an der Rezeption. Senior Duty Manager Tibor Meskal schlendert nonchalant herbei, begrüßt die Hutbesitzerin mit klassischem Handkuss und kommt dann zu uns hinüber.
    Der über 70-jährige kennt sich aus mit V.I.P.s und das Hotel wie seine Westentasche.
    "Die Ausstellung zur Tausendjahrfeier Ungarns begann am 1. Mai 1896 und das Hotel musste unbedingt einen Tag vorher fertig werden für die ankommenden internationalen Gäste. Trotz nur anderthalbjähriger Bauzeit gelang es, am 30. April zu öffnen."
    Zur Ausstellungseröffnung kommt die Hautevolee der Donaumonarchie einschließlich des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth, seit 1867 auch Könige von Ungarn. In der Mitte der nach ihr benannten Ringstraße prunkt das Hotelgebäude mit seinem ungewöhnlichen E-förmigen Grundriss heute wie damals, als der Palmengarten im rechten der zur Straße hin offenen Höfe das Stadtgespräch war. Ebenso die Dampf-betriebenen Aufzüge! Ähnlich dem, den Tilda Swinton alias Madame D. und Ralph Fiennes als Chef-Concierge Gustave H. im neuesten Film des Amerikaners Wes Anderson benutzen.
    Vor fast 100 Jahren schreibt der große Stefan Zweig, Reisender und Freund nobler Herbergen, in seinem "Nekrolog auf ein Hotel":
    "Und man hätte es noch mehr geliebt um des Unsichtbaren willen, um des Fluidums, das aus seinem Wesen strömte."
    Der amerikanische Regisseur recherchierte nicht nur in Zweigs Werken, sondern kommt 2012 für sein Projekt auch ins "Grand Budapest". Später benennt er seine Kinokomödie sogar danach: "The Grand Budapest Hotel".
    Tibor Meskal hat sich in dem Film des Texaners köstlich amüsiert. Er führt uns jetzt hinauf in den seit 2003 wieder in weiß-goldenem Neo-Barock erstrahlenden Ballsaal.
    "Bis 1915 wurde der Raum als Ballsaal genutzt. In der Zeit des Ersten Weltkriegs wollte niemand auf Bälle gehen und so beschlossen die damaligen Besitzer, etwas vollkommen Neues zu machen. Bereits seit der Eröffnung des Hotels zeigten sie "bewegte Bilder" im Salon des Grand Royal. Hier im Ballsaal nun richteten sie das erste Kino Ungarns ein."
    Das luxuriöse "Royal Apollo" wird für die großen Kinopremieren auch in der Zwischenkriegszeit genutzt, als das 'Paris des Ostens' zur einer der frühen Film-Metropolen wird. Und so kommen sie alle! Allen voran, die UFA-Stars wie Willy Fritsch, Gustav Fröhlich und die gebürtige Ungarin Gitta Alpar.
    Kurz darauf zerstieben der ganze Glanz und Glamour in den Grauen des II. Weltkriegs. 1944/45 wird das Hotel Hauptquartier der deutschen Armee und von den anstürmenden Russen stark zerstört. 1954 kann zunächst der Mittelteil wieder geöffnet werden.
    "Aber Geschichte wiederholt sich. Als der Budapester Aufstand 1956 losbrach, nahmen nun die Revolutionäre das Hotel als Hauptquartier und wie schon einmal 1945 schossen russische Panzer das Grand Royal zusammen. Aber das Hotel hat ein Leben wie eine Katze, wissen Sie?"
    Am 20. August 1961 endlich kann der reparierte und modernisierte Bau wieder Gäste aufnehmen. Schon zwei Monate vorher werden die zukünftigen Mitarbeiter eingestellt. Darunter Tibor, der seine Kellnerlehre beginnt. Das "Grand Royal" ist verstaatlicht. Das Kino im Ballsaal nennt sich nun "Roter Stern".
    Aus dem alten Ballsaal wurde das Kino Roter Stern
    Als wir mit Tibor aus dem renovierten Ballraum kommen, zeigt er uns eine schöne, restaurierte Mahagonitreppe, die zur Galerie hinaufführt.
    "In der Ecke dort war das Kino-Büfett, wo es Getränke und Süßigkeiten gab. Ich hatte mittags und abends Dienst und dazwischen schnappte ich mir eins der hübschen Zimmermädchen und nahm sie mit in die Nachmittagsvorstellung. Ich hatte immer die letzten zwei Plätze oben auf der Galerie. Fragen Sie mich nicht nach dem Inhalt der Filme! Aber jedes Mal, wenn ich die Treppe sehe, erinnere ich mich an meine Jugend."
    Neugierig auf die "große weite Welt" schafft Tibor es als einer von vier Auserwählten 1963 im Rahmen eines Kellneraustausches zwischen Ungarn und der DDR nach Ost-Berlin. Er hat gerade seine Ausbildung als "bester Jungkellner Ungarns" abgeschlossen. Vor allem aber möchte er Deutsch lernen.
    "Das ist das Erste, was sie mir beibrachten, im Transferbus, als ich gerade in Ost-Berlin gelandet war."
    Tibor sitzt lachend in seinem kleinen Zimmerchen hinter dem Concierge-Tresen, das vollgestopft ist mit Erinnerungstücken und Goldmedaillen für seine Arbeit. Walter Ulbricht hat er damals bedient mit weißen Handschuhen und allem drum und dran. Erst später wird ihm klar, dass sie als Ungarn eingesetzt werden, weil sie nichts von dem verstehen können, was die 'hohen Herrschaften' besprechen.
    Als die bleierne Zeit des Kommunismus anbricht und Restriktionen das Leben in Ungarn immer grauer machen, gelingt dem 23-Jährigen 1966 zusammen mit zwei Freunden eine abenteuerliche Flucht über Jugoslawien nach Italien. Eine Hauptrolle spielen dabei: der Italiener Rino, der er kurz vorher kennenlernt hat und dessen Sportflitzer, ein Alpha Romeo.
    "Es herrschte mächtig Verkehr am Grenzgatter und der jugoslawische Soldat sagte zu Rino, er solle unser aller Pässe mit den Visa – die wir Ungarn gar nicht besaßen – im Kontrollhäuschen auf einmal abstempeln lassen, damit es schneller ginge. Zurück am Auto, sagte Rino dem Grenzer, alles wäre in Ordnung und - wir sausten rüber nach Italien."
    Von Italien wandert Tibor später nach Australien aus. Bringt als "Room-Service Captain" Marlene Dietrich in Melbourne das Frühstück, bedient die Queen bei der Eröffnung des Opernhauses in Sydney und später auch in London.
    Ein besonderes 'Fluidum' bleibt
    Während er die 'große weite Welt' erkundet, kämpft sich Tamas Ungar, der heutige Chef-Concierge, in Budapest durch die Niederungen des sozialistischen Alltags. Er beginnt seine Laufbahn in den 1980ern als Lobby-Boy, als Zero, wie er schmunzelnd erzählt. Klar, kennt auch er Andersons Film. Tamas arbeitet sich hoch zum 'Botschafter seines Landes' gegenüber dem Gast, wie er seinen Beruf gern charakterisiert.
    "Damals war es sehr viel schwieriger. Alle Gäste-Pässe mussten zu einer Polizeistelle zur Kontrolle und zum Stempeln gebracht werden. Moderne Kommunikationsmittel gab es nicht. Telefon und das war's. Die Kopiermaschinen durften wir nur selten benutzen, wir hätten sie ja eventuell zum Drucken von aufrührerischem Material nutzen können. Auch mussten wir zusehen, wie die Geheimpolizei in den Räumen von offiziellen Gästen Spionagewanzen installierten. Alles wurde kontrolliert."
    Mit Beharrlichkeit hat sich der Sohn eines Tanzkapellmeisters seinen Lebenstraum als Head-Concierge erfüllt. Mit 21 seine Klara geheiratet, fünf Kinder und bis jetzt ein Enkelkind bekommen. Tibor Meskals Heimweh und die neuen Zeiten in Ungarn bringen den Single vor 19 Jahren von Australien nach Budapest zurück. Aber "sein" Hotel ist zu.
    Das mit den sozialistischen Jahren heruntergekommene "Grand Royal" war 1991 geschlossen worden. Nach langem Leerstand und fast totalem Abriß bis auf denkmalgeschützte Fassade und Kubus des Ballsaals respektive Kinos, erfolgt der kostenintensive Wiederaufbau durch ein finanzstarkes maltesisches Familienunternehmen. 2003 wird das Haus "mit den vielen Leben einer Katze" am Elisabeth-Ring glanzvoll neu eröffnet.
    Und seitdem arbeitet Tibor Meskal, der seinen australischen Pass noch hat, wieder in seinem geliebten "Grand", das ihm ein bisschen doch Heimat geworden ist. Ebenso für Tamas Ungar, an dessen Kragen diskret die gekreuzten Goldenen Schlüssel der "Clefs d'Or" blitzen. Er ist der Europa-Präsident des illustren Klubs der Concierges, deren Mitglieder in Andersons Komödie Gustave und seinem Zero auf ihrer abenteuerlichen Flucht helfen.
    "Ich würde nicht direkt sagen, dass er der König aller Concierges wäre. Aber er ist sehr talentiert. Assistiert von seinem Zero, kümmert er sich um alles und Jeden. Ist dabei höflich, freundlich und vor allem diskret, weswegen die alte Madame D. ihn auch so mag."
    Etwas von dem "Fluidum", das Stefan Zweig beschreibt, schwebt auch heute durch das elegante neue Marmorfoyer des Grand Hotel Budapest - wo rechts der Concierge-Tresen steht.