Archiv


Großartiges Spiel an ungewöhnlichem Ort

In den 1980er-Jahren war er der Vorzeigestar des jungen US-amerikanischen Jazz. Als Aufnahmeort für sein Album "Four MFs playin’ tunes" hat sich der bekannte Jazz-Saxofonist Branford Marsalis erneut für eine schlichte, aber klangvolle Kirche in North Carolina entschieden.

Von Michael Marek |
    Hayti Heritage Center, Downtown Durham: von außen eine schlichte einschiffige, aus roten Backsteinen gebaute Kirche. Von innen gleicht das Gotteshaus eher einem kleinen Konzertsaal denn einem Gebetsraum: Überall liegen Kabel herum, sind Mikrofone, Computer und LCD-Bildschirme aufgebaut. Auf der Bühne spielen Branford Marsalis, Pianist Joey Calderazzo und Bassist Erik Rives. Drummer Justin Faulkner sitzt in einer weißen Schallkabine aus Rigips mit Guckfenster, um so Blickkontakt mit Bandleader Branford Marsalis zu halten.

    "The church sounds great. It’s a great acoustic room."

    Das Hayti Heritage Center sei wie ein wunderbares "Aufnahmestudio", erklärt der Echo Jazz Preisträger 2010, kein Dröhnen, keine dumpfe Akustik bei lauten und leisen Passagen. Bereits zum fünften Mal nimmt das Quartett hier eine CD auf. In jedem Ton schwingt die Eigentümlichkeit des Ortes mit. Aber auch aus einem anderen Grund klingt das neue Album alles andere, als eine perfekt designte, aber standardisierte Studioproduktion:

    "Wir proben nicht! Jazz ist eine sehr spezielle Musik mit einer eigenen Sprache. Und wenn man die verstanden hat, dann muss jeder für sich allein üben. Der Grund, warum ich auf Proben für unser neues Album verzichte, ist ganz einfach: Die Solos würden sonst wie "einstudiert" klingen."

    Im Studio sieht Marsalis so aus, als stünde er in seinem Hobbykeller. Den schwarzen Anzug, den er auf der Bühne meistens trägt, hat er gegen ein verwaschenes T-Shirt, Bluejeans und Turnschuhe getauscht. Aus dem einstigen Vorzeigestar des jungen amerikanischen Jazz, der bei Art Blakey und Miles Davis spielte, ist ein etablierter Tenor- und Sopransaxofonist geworden. Manche finden seinen Stil zu glatt, er selbst sieht das ganz anders. Und bei aller Freundlichkeit klingt stets ein gewaltiges Maß an Selbstbewusstsein mit.

    "Es dauert ziemlich lange, diese Art des Spielens zu beherrschen. Als Musiker musst du bereit sein, auf die Bühne zu gehen und 'ne Menge Fehler zu machen, um zu lernen, wie man wirklich Musik macht. Und du musst sehr selbstkritisch sein. Wenn ich auf der Bühne stehe, versuche ich immer herauszukriegen, was wir falsch machen und wie wir diese Probleme beseitigen können."

    Die von Marsalis so stark betonte Lässigkeit des Zusammenspiels spürt man im Studio tatsächlich. Der Umgangston ist kumpelhaft, nur selten werden Passagen wiederholt. Die vier Musiker reagieren auf Blickkontakt und selbst der scheint nur selten notwendig zu sein. Bis auf Drummer Justin Faulkner spielt das Quartett schon seit mehr als zehn Jahren zusammen. Dabei sei nie die CD das Ziel, sondern der Auftritt, das Zusammenspiel, sagt Marsalis. Der Name des neuen Albums? Das sei unwichtig, erklärt er forsch. Instrumentalmusik könne auf so etwas verzichten.

    "Wir spielen alte und neue Songs. Vor der Aufnahme habe ich zu unserem Pianisten gesagt: Joey, meine Melodie geht so. Er hat sich die Akkorde dazu notiert, und dann haben wir einfach den Song zusammen gespielt. Es gab keine Proben, wir haben uns vorher keine Noten per E-Mail zugeschickt. Wir wissen einfach, wie wir am besten zusammenspielen."

    Balladen, die wie klassische Musik klingen, sind die Stärke von Marsalis, vor allem, wenn er zum Sopransaxofon greift, kongenial unterstützt von seinem Pianisten Joey Calderazzo. Die Stücke sind sauber gebaut und die Gruppe ist traditionell sortiert nach Rhythmus und Melodie. Zum Jungbrunnen für den Jazz wird die kleine Kirche durch die Anwesenheit des Marsalis Quartets sicherlich nicht. Aber zu einem Ort, an dem großartiges Handwerk zelebriert wird.