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Große Geschichten in kleinen Fabeln

Ulrich Ladurner ist Südtiroler, doch hinter dem Buch "Die Asadis" über die Bewohner des fiktiven Asadi-Platzes in Teheran vermutet man eher einen orientalischen Geschichtenerzähler. Der Autor schlüpft 48 Episoden lang in die Haut meist einfacher Iraner, um unser klischiertes Persienbild ein wenig zu korrigieren.

Von Florian Felix Weyh | 15.02.2007
    Es sind die glänzenden Lackschuhe, nach denen sich Reza, der Sohn des Ladenbesitzers Amir, verzehrt. Zum 14. Geburtstag bekommt er sie vom Vater, doch vier lange Tage, ordnet die gestrenge Mutter an, muss er noch warten, bis er sie beim Gang zur Moschee anziehen darf. Dann endlich stolziert er damit los, als laufe er auf rohen Eiern. Schmutz und Staub sollen die Prachtstücke nicht gefährden, selbst ihre Sohle ist eigentlich zu schade, den Boden zu berühren.

    Lackschuhe - das ist Luxus schlechthin. Am Ziel zieht Reza wie alle anderen seine Schuhe aus und schwitzt sich nass vor Angst, nach dem Gebet könnten sie verschwunden sein. Als er schließlich viel zu spät die Moschee wieder verlässt - die Älteren pochen auf ihren Vortritt -, sind die Lackschuhe tatsächlich gestohlen, und Reza muss sich auch noch von der Mutter anhören, dass Allah am Werke war, um ihn für seine Eitelkeit zu bestrafen.

    Allah sollte sich freilich eher dem Töpfereibesitzer Baba Zede zuwenden, dem Industriellen, wie die Leute sagen, denn er beschäftigt drei Dutzend Arbeiter. Sein Fiat 132 ist absoluter Luxus, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt erworben, als dies bereits ein bedenkliches Statement darstellt. Im Iran des späten Schahs verkörpert der Fiat 132 eine klare Absage an die kommenden Mullahs, die in diesem Automobil ebenso verwerfliche Dekadenz sehen wie in allen westlichen Produkten. Könnte Baba Zede in die Zukunft sehen, wäre er mit solchen Demonstrationen verlotterter Weltlichkeit vorsichtiger.

    Ulrich Ladurner ist Südtiroler, Auslandredakteur der "Zeit", doch hinter seinem Buch "Die Asadis" über die Bewohner des fiktiven Asadi-Platzes in Teheran vermutet man eher einen orientalischen Geschichtenerzähler. Die Mimikry funktioniert indes perfekt. Ladurner schlüpft 48 Episoden lang in die Haut meist einfacher Iraner, erzählt deren Lebensgeschichten von den frühen 50er Jahren bis Ende der 80er nach, um unser klischiertes Persienbild ein wenig zu korrigieren. Das gelingt ihm außerordentlich überzeugend, denn er transformiert große Geschichte in kleine Fabeln. Ein dichtes atmosphärisches Gewebe entsteht, das alle Aspekte der ebenso blutigen wie verzweifelten jüngeren Geschichte des Irans umfasst.

    Mit den Lackschuhen Rezas etwa beginnt die Karriere eines religiösen Fanatikers. Wenn Allah einem schon das Wichtigste nimmt, muss man sich ihm noch mehr unterwerfen. Nur dann wird er einem nichts mehr nehmen. Zehn Jahre später erleben wir Reza als jungen Mullah an der irakisch-iranischen Front, wo er Kinder in Minenfelder hetzt, damit sie ohne Umweg ins Paradies gelangen. In Wahrheit hat es zynische militärische Gründe: Menschliche Mienenräumer sind die billigsten. Sein Vater Amir, der zwar zu Schahzeiten die Hadsch absolvierte, also nach Mekka gepilgert ist, vermag derartigen Radikalismus nicht zu verstehen. Sein Sohn und seine bigotte Frau, deren Lebensziel lange Jahre darin besteht, einmal den Imam Khomeini persönlich zu sehen, sind ihm längst entfremdet, so wie die Zeitläufte viele Familienbande zerschneidet. Wir Deutschen kennen das aus unseren Diktaturerfahrungen.

    Baba Zede mit seinem Fiat 132 laviert sich als Kapitalist zwar ganz gut durch - erst zum Schluss wird er enteignet -; sein Sohn Mohammed aber entwickelt sich zum großen Tier auf einer ganz anderen Seite des Geschehens. Als politischer Terrorist seltsam ideologischer Mixtur, sozialistisch und islamisch zugleich, steht er im Solde Saddam Husseins. Derartige Frontverläufe sind kennzeichnend für die Geschichte des Mittleren Ostens, und Ulrich Ladurner zeichnet sie mit menschlicher Anteilnahme nach.

    In manchen Taschenbücher wird Literatur unter Wert verkauft. "Die Asadis" sind so ein Fall, denn der Journalist Ladurner hat große kleine Literatur geschrieben, die ins belletristische Hauptprogramm gehört hätte, statt wie hier vom Verlag bar jeder Gattungsbezeichnung in die Massenkonkurrenz der Taschenbücher geschickt zu werden. Der Vergleich mit der deutschen TV-Serie "Lindenstraße" auf dem Buchrücken führt noch mehr in die Irre; nichts an diesen zu Herzen gehenden Geschichten ist kalkuliert trivial. Allenfalls sichtbare Kunstfertigkeit in der Verschränkung historischer Fakten mit persönlichen Schicksalen kann man konstatieren, ohne sie bemängeln zu müssen. In der literarischen Machart gäbe es mit dem amerikanischen "Lake-Wobegon"-Schöpfer Garrison Keillor einen Geistesverwandten zu benennen, der in fiktiven amerikanischen Provinzglossen eine ähnliche literarische Ethnologie betreibt. Und was die Aufbereitung von Auslandspolitik in Belletristik angeht, verfolgt Ulrich Schmidt, Auslandskorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung", in seinen Romanen ein ähnliches Projekt wie Ladurner. In diese Riege gehört das Buch hinein, nicht irgendwo zu den schnelllebigen Politiksachbüchern oder neben die TV-Serientranskriptionen ins Regal. Hoffentlich entdecken ihn die Leser dennoch in großer Zahl. Sie erwartet ein Leseerlebnis.