Montag, 06. Mai 2024

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Hamburgs Polit-Punker "Slime" mit neuem Album
"Wir sind die, die immer wieder den Mund aufmachen"

"Auch mal nur über Party singen können", das wäre ihnen im Grunde lieber, sagte Slime-Sänger Dirk Jora im Dlf-Interview. Aber leider sind Turbokapitalismus und rechte Strömungen Grund zu Wut und Besorgnis für die linkspolitischen Punker. Was sie auf dem Album "Hier und Jetzt" deutlich zum Ausdruck bringen.

Dirk Jora im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 07.10.2017
    Die Hamburger Punk-Band Slime.
    Die Hamburger Punk-Band Slime mit Dirk Jora in der Mitte (Viktor Schanz)
    Anja Buchmann: Man könnte sie als "Institution" bezeichnen, weil es sie schon (mit Unterbrechungen) seit den 80ern gibt - aber eigentlich passt das ganz und gar nicht zu Slime aus Hamburg. Als Punkband wird sie gelabelt, sie selbst sprechen gern von "Protestliedern". Und Protest, Widerstand, Parolen sind Begriffe, die zu ihnen passen. "Hier und jetzt" heißt das neue Album, das die Männer plus Bassistin mit diversen weiteren Gästen aufgenommen haben, unter anderem Ärzte Bassist Rod Gonzales oder Pablo Charlemoine von der Hip Hop-Combo Irie Revoltes.
    Vor zwei Tagen habe ich mit Dirk Jora, dem Slime-Sänger, gesprochen und ihn zuerst zum Album-Cover befragt - denn das ist auffällig: Ein goldener, verzierter Bilderrahmen um ein Gemälde mit idyllischer Berglandschaft, Wald, See und Bauernhof; darin dann störende Elemente wie Kampfhubschrauber, Soldaten und ein Panzer. Ein Hinweis auf Unsicherheit und latente Bedrohung des deutschen Idylls?
    Dirk Jora: Also zunächst einmal, wie Sie das richtig erkannt haben, sind das Schinken, die bei unseren Eltern, also das Äquivalent wäre dann ein röhrender Hirsch gewesen im Wohnzimmer.
    Buchmann: Genau, das wäre auch gegangen.
    Jora: Das ist halt diese heile Welt, und diese heile Welt ist bedroht, das ist sicherlich die Grundaussage dieses Covers. Nebenbei gesagt muss man sagen, dass dieses Cover natürlich auch einfach wirkt durch seine Farben und deshalb, weil genau Leute darüber anfangen, darüber nachzudenken, was wir damit gemeint haben. Insofern ist es so, dass wir den Zweck, den wir damit erreichen wollten, nämlich, dass man über dieses Cover redet, den haben wir auf jeden Fall schon mal erreicht und dann darf sich auch jeder gerne da so ein bisschen frei interpretieren. Aber natürlich geht es darum, die heile Welt ist bedroht, gerade in diesen Zeiten auch wieder, wo Krieg ja durchaus wieder eine realistische Option ist, auch für unsere Generation. Und das ist letztendlich die Grundaussage, ja.
    "Uns wäre es auch lieber, mal nur über Party singen zu können"
    Buchmann: 'Mir wäre es lieber, unsere Lieder wären nicht mehr aktuell', heißt es zum Beispiel im Song "Unsere Lieder" von Slime. Ist das gewollt, dass Slime nach 1994 - gut, zwischendurch gab es noch ein Album, aber 1994 war das letzte Album mit eigenen Texten - dass Sie quasi wieder da sind, Sie sind ja schon länger wieder da, aber jetzt mit neuem Album, mit eigenen Texten, also auch kurz nach der Bundestagswahl und jetzt mit dem immer größeren Erstarken von rechtsorientierten Bewegungen.
    Jora: Sicherlich hat es damit zu tun. Aber es hat auch natürlich auch mit Musik zu tun. Also wir sind 2010 wieder zusammengekommen, und zwar anlässlich eines Dreierjubiläums, nämlich ich bin 50 geworden und die Band ist 30 geworden und der FC Sankt Pauli ist 100 Jahre alt geworden.
    Buchmann: Der auch eine große Rolle für Sie alle spielt?
    Jora: Ja, nicht unbedingt, natürlich schon für die Band unterschiedlich, also für mich natürlich noch mal eine größere Rolle, als für andere Bandmitglieder. Aber insgesamt ist natürlich sicherlich unsere Geschichte und die Geschichte des FC Sankt Pauli, das ist auch vice versa, sind miteinander verwoben. Und damals war es dann so, 2010, dass wir gedacht haben, es gab ein großes Festival im Stadion, ich glaube zehn Stunden lang mit diversen Bands, die was mit dem FC Sankt Pauli zu tun haben mussten, und sind wir aufgetreten. Und da wussten wir auch 15 Jahren nicht ganz genau, wo wir stehen. Vor allen Dingen wollten wir nicht zu unserer eigenen Coverband werden, sondern wir wollten einfach auch sehen, dass dort unten im Publikum auch jüngere Leute stehen, für die wir noch eine Relevanz haben in diesen Tagen. Und das ist tatsächlich passiert. Und dann muss man leider, leider - so zynisch das natürlich ist - aber die Themen für eine Band wie Slime, die liegen ja leider in heutigen Zeiten auch auf dem Tisch: Flüchtlingsströme, Trump, wieder erstarken der rechten Bewegungen, vor allen Dingen auch mit einem parlamentarischen Arm, was ja so zunächst mal dann auch neu ist. Denn ich meine, diese wenigen Exemplare von Republikanern, wenn sich an die noch jemand erinnert, oder auch NPD in irgendwelchen Länderparlamenten, die haben sich ja ganz schnell gegenseitig zerfleischt.
    Buchmann: Vielleicht tut es die AfD ja auch.
    Jora: Ich meine, sie ist auf dem besten Weg schon mal dahin. Nach zwei Tagen ging es ja schon mal ganz gut los. Ich glaube allerdings, so schnell wird das bei denen leider, leider nicht passieren. Insofern, uns wäre es wirklich lieber, wir würden auch mal irgendwie nur über Party singen können, das machen wir auch sehr gerne, das ist unsere anerkannte Rolle, und die leben wir auch sehr gerne. Aber wir sind diejenigen, die halt immer wieder den Mund aufmachen - in musikalischer Form - gegen das, was da draußen passiert. Und das bedeuten eben unsere Lieder.
    Buchmann: Würden Sie wirklich gerne mal einfach über Party singen?
    Jora: Naja, es ist ja nicht so, dass wir das nicht auch schon in der Bandgeschichte getan hätten. Aber den Schwerpunkt vielleicht mal zu verlagern und einfach nur Rock'n'Roll Themen zu besingen, sicherlich. Aber auf der anderen Seite, es ist eben so, und tatsächlich gibt es auch ganz, ganz wenige Bands - jedenfalls im Rock-, Punkrock-Bereich, die das noch machen. Feine Sahne Fischfilet zum Beispiel tun das.
    "Die Musik befruchtet sich gegenseitig"
    Buchmann: Auf jeden Fall.
    Jora: Und linke Inhalte werden ja eher, seit mindestens einem Jahrzehnt, durch Hip-Hop und Rap transportiert. Dementsprechend arbeiten wir ja auch in "Patrioten" auf diesem neuen Album mit zwei Rappern, mit Swiss von Swiss & Die Andern und Pablo Charlemoine von Irie Révoltés, um da auch so einen Brückenschlag dann hinzukriegen und um zu zeigen, okay, wenn diese musikalischen Formen schon sehr weit auseinanderliegen. Aber wir kriegen dann - nicht nur inhaltlich - sondern es ist uns auch gelungen, musikalisch da ein Crossover hinzukriegen.
    Buchmann: Ein Brückenschlag zu den Themen, die, die linken Themen, die auch - wie Sie gerade sagten - die Hip-Hop Szene zum Teil aufgreift. Und auch ein Brückenschlag noch zum jungen Publikum?
    Jora: Natürlich. Das ganze läuft auch da wieder vice versa. Das befruchtet sich auch gegenseitig, denn, also Fans von Irie Révoltés . Bei Swiss ist es ein bisschen anders, weil er ja auch durchaus ein bisschen Punkrock drin hat in seiner Geschichte und auch in seiner aktuellen musikalischen Form. Aber gerade bei Irie Révoltés ein jüngeres Publikum, was tatsächlich so mit Punkrock - oder ich denke mal - mit Rockmusik an sich gar nichts anfangen kann. Das stößt zum ersten Mal dann auf eine Band, die dieselben Inhalte vertritt, die das aber tut in einer Rock'n'Roll Form. Und auch durchaus, sicherlich gibt es auch Fans von uns, die dann mal über diese Brücke gehen und sagen, okay, dann hör ich mir mal einfach so was an wie Rap oder Dub, Reggae oder Hip-Hop oder whatever. Das befruchtet sich durchaus gegenseitig.
    "Wir haben durchaus eine Entwicklung in unseren Texten"
    Buchmann: Der Song "Patrioten", den Sie gerade erwähnt haben - auch eben mit Irie Révoltés dabei - in der Einleitung zu dem Song gibt es ein Zitat zu der Bernd Höcke Rede zu dem 'Denkmal der Schande', also zum Holocaust Denkmal in Berlin. Warum haben Sie das an den Anfang gestellt?
    Jora: Naja, es passt natürlich inhaltlich. Also es ist immer schwer, positive Adjektive bei negativen Inhalten zu benutzen. Es passt hervorragend zu dem Song. Und wir wollten aber auf keinen Fall jemanden wie Bernd Höcke auf einem Slime Album drauf haben und deshalb spricht in dieser Märchenerzähler-Form unsere Bassistin Nicki spricht einleitend.
    Buchmann: Ach, die ist das. Ich hatte gedacht, das wär vielleicht ein sehr jung klingender Mann oder so.
    Jora: Weiß ich nicht, vielleicht ist das ein Kompliment für sie.
    Buchmann: Wie auch immer.
    Jora: Genau.
    Buchmann: Okay. Aber Sie wollten auf jeden Fall nicht den O-Ton von Höcke auf der Platte haben?
    Jora: Genau, wir wollten auf keinen Fall den O-Ton haben, aber es passte für uns inhaltlich leider, leider eben dann wirklich zusammen einfach.
    Buchmann: Viele Texte von Slime waren in den 80ern, 90ern doch eher plakativ und parolenhaft und kämpferisch, sind sie zum Teil auch noch. Ich finde aber, dass es heute ein bisschen gemäßigter, vielleicht ein bisschen differenzierter ist, oder ist das nur mein Eindruck? Und wenn ja, hat das was damit zu tun, dass man inzwischen doch ein bisschen mehr, mit fortgeschrittenem Alter, die Komplexität der Welt erkannt hat?
    Jora: Naja, die Komplexität der Welt haben wir, wer die Bandgeschichte betrachtet, es ist so, dass wir zügig und nach dem ersten Album von diesen Nur-Parolen-Texten weggekommen sind. Wir haben ja durchaus eine Entwicklung drin, wir haben auf dem "Schweineherbst" Album zum Beispiel die Todesfuge von Paul Celan vertont, wo es um den Holocaust geht. Die Todesfuge ist ja aus Deutschland. Natürlich ist die Todesfuge aus Deutschland auch eine Parole, aber sie basiert auf einem Gedicht von Paul Celan, was dann eben nicht nur auf einer reinen Demo-Parole basiert. Das heißt, diese Entwicklung in den Texten, die ist ja bei uns durchaus schon immer gegeben gewesen und natürlich ist es so, für mich hört es sich immer so an, als wenn Interviewer mich dann da auf das Glatteis führen wollen. In dem Moment, wo ich dann sage, ja, man sieht das differenzierter, bedeutet das praktisch per se...
    "Es geht uns letztlich um Form und Inhalt"
    Buchmann: Man hat es früher nicht differenziert gesehen.
    Jora: Ja genau. Erstens bedeutet es natürlich das. Aber es bedeutet auch, zweitens, dass man sich von den Positionen entfernt hätte. So ist das nicht, wir haben uns nicht von irgendwelchen Positionen entfernt. Natürlich betrachten wir bestimmte Dinge genauer. Es ist uns zum Beispiel aufgefallen, dass wir bei Texten drauf achten müssen, dass sie nicht auch für Rechte, Böhse Onkelz, Freiwild, whatever-Fans zugänglich sind. Da muss man als Slime eben ganz genau drauf achten. Denn leider, leider gibt es eine Schnittmenge. Es gibt also Nazi-Bands, die Slime gecovert haben, "Linke Spießer". Und natürlich "ACAB", ganz klar, denn die sind auch gegen Cops.
    Buchmann: "All Cops are Bastards".
    Jora: Ja genau. Sie sind gegen Cops, sie sind gegen Linke Spießer. Sie waren auch gegen Atomkraft, sie haben in Brockdorf übrigens auch am Zaun damals gestanden. Also das sind Sachen, die wir sicherlich differenzierter betrachten. Für uns geht es eher darum, dass die Inhalte die Gleichen bleiben aber die Form sich ein bisschen gewandelt hat. Man will das Ganze halt ein bisschen wie Banalität des Bösen: Er ist kein Nazi, aber. Und man zählt diese ganzen Vorurteile auf. Also, ich habe ja nichts gegen Türken, weil Ali verkauft mir das Gemüse, so. Dass man das in so einer Form mal bringt und nicht nur immer ganz klar mit der Holzhammer-Methode. Ich denke, die Inhalte sind letztendlich die Gleichen geblieben. Uns geht es eher darum, die Form ein bisschen zum Teil auch selbstreflektieren lernen, ein bisschen Satire, Ironie, es ist ein bisschen Sarkasmus da teilweise mit drin, darum geht es uns letztendlich, Form und Inhalt.
    Buchmann: Das ist tatsächlich eine schwierige Sache, denn es geht ja oftmals darum, dass man Themen, die man immer schon propagiert hat, oder wo man immer schon eine klare Meinung zu hatte, dass die manchmal von Anderen, einer völlig konträren politischen Bewegung auch aufgegriffen werden, mit allerdings einem ganz anderen Hintergrund. Also das ist, glaube ich, wirklich die Schwierigkeit, die Sie gerade beschrieben haben, oder?
    Jora: Ja, das ist so. Auf jeden Fall. Es ist so, dass das der rechten Bewegung zum Beispiel, sie waren sich auch nicht zu schade, auch Outfitmäßig, wenn man sich das anguckt, wie diese neue junge Rechte, diese Alternativen Identitären und so wie sie sich nennen, dass die auch vom Outfit her ja tatsächlich auch dann den Linksradikalen ähneln. Sie haben sehr, sehr viele Sachen übernommen, sie nennen sich 'Anti-Antifa'. Und das geht also sowohl von - da sind wir wieder bei Form und Inhalt - also sowohl die Form haben sie übernommen, als zum Teil dann eben auch leider die Inhalte. Und da müssen gerade wir als Slime natürlich tierisch aufpassen, dass wir nicht plötzlich kompatibel werden für rechte Bewegungen und so. Ganz vermeiden lässt sich so was leider, leider nicht. Aber da gehen wir differenzierter vor und gucken dann noch mal genauer hin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.