Montag, 06. Mai 2024

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Herrscherdynastie der Ernestiner
Beschützer des Luthertums

Bismarck nannte die Ernestiner etwas despektierlich "das Gestüt Europas". Der thüringische Zweig des Geschlechts der Wettiner prägte 500 Jahre lang die Geschicke um Weimar, Gotha, Eisenach und Meiningen. Eine große Landesausstellung in Weimar und Gotha zeigt nicht nur die Rolle der Ernestiner bei der Reformation.

Von Henry Bernhard | 25.04.2016
    1918 haben ihre Vorfahren abgedankt. Doch noch immer haben die Prinzen und Prinzessinnen Freude an dem Mummenschanz auf dem Gothaer Schlosshof. An Männern mit mächtigen Bärten und bunten Uniformen, mit Pickelhauben und Fellmützen. Am Ende Böllerschüsse. Prinz Michael nimmt die zackige Meldung entgegen und strahlt wie ein kleiner Junge zu Weihnachten. Dann kann die feierliche Eröffnung der Ernestiner-Landesausstellung mit 20 Minuten Verspätung beginnen. Das Publikum hat gern gewartet in der eiskalten Gothaer Schlosskapelle. Prinz Michael revanchiert sich mit dem Kompliment, die Ausstellung über seine Familie, die Ernestiner, erreiche den "Himalaya der Ausstellungsansprüche":
    "Die Verleugnung der eigenen Identität Thüringens, gepflegt zwischen 1918 und 1990, seit 1990 mehr oder weniger geduldet, ist ab heute beendet."
    Große Worte, die er ergänzt im Grußwort des sehr gelungenen Ausstellungskataloges, dass Thüringen mehr biete – so wörtlich - "als Rennsteig, Goethe und Buchenwald". Doch die bei allem pathetischen Geschichtsbezug eben auch geschichtsvergessenen Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine große, eine gelungene Ausstellung handelt.
    Sie wirft in den Residenzschlössern und herzoglichen Museen in Weimar und Gotha einen umfassenden Blick auf einen Zweig des mächtigen mitteldeutschen Wettiner-Geschlechts, das nach der Leipziger Teilung 1485 in die albertinische und die ernestinische Linie zerfiel. Die verlorene Schlacht bei Mühlberg setzte dem Glanz der ernestinischen Linie nur 60 Jahre später ein Ende: Johann Friedrich der Großmütige konnte sich glücklich preisen, dass er neben Zweidrittel seines Territoriums und der Kurwürde nicht auch noch sein Leben verlor.
    Aber aus der Niederlage erschufen die Ernestiner sich neu, mit erheblich geringerer politischer Macht, aber als Beschützer der Reformation. Denn wie wäre die verlaufen, hätte nicht Friedrich der Weise die Ächtung Luthers verhindert und sein Versteck auf der Wartburg gedeckt? Karin Kolb, die Kuratorin des Weimarer Ausstellungsteils:
    "Die Ernestiner finden sich hier also in einer Art Gründungsmythos wieder, als Schutzherren der Reformation. Und diese Botschaft, wir sind die Schutzherren der Reformation; wir haben Luther bewahrt; wir haben aktiv den Protestantismus bewahrt, verbreitet und beschützt, zieht sich über alle Jahrhunderte bis ins 20. Jahrhundert."
    Verpflichtung zur Bildung
    Der lutherische Glaube aber, ernst genommen, verpflichtete zu Bildung. So führte Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha schon im frühen 17. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht für Kinder ab fünf Jahren ein. Die Ausstellung zeigt den damals zwingenden Zusammenhang zwischen Glaube, Bildung und Wissenschaft in Gemälden, Briefen, Münzen, wissenschaftlichen Geräten und fürstlichen Anweisungen.
    Und so buchstabiert die Thüringer Landesausstellung die Themenfelder aus, mit denen die Ernestiner ihr Land 500 Jahre lang geprägt haben: Reformation und Glaube, Kunst, Kultur, Wissenschaft, Aufklärung, effiziente Landesverwaltung trotz starker Zersplitterung. Luther, Bach, Herder, Goethe, Liszt sind dabei prägende Namen, aber auch die der Fürsten an vielen europäischen Höfen, etwa in England, Belgien, Portugal, Russland, Bulgarien, die durch kluge Heiratspolitik der Ernestiner Einfluss und Kontakte sicherten.
    Die Weimarer und Gothaer Schau macht Thüringer Landesgeschichte im europäischen Kontext exemplarisch verständlich, setzt, gerade im Weimarer Ausstellungsteil, gut ausgewählte Exponate als Glanzlichter in Szene, und erklärt, warum Thüringen zu dem wurde, was es heute ist.
    Unverständlich, warum sich Gotha nicht dem gediegenen Design der Weimarer angeschlossen hat. Zumal die barocken Säle des Gothaer Schlosses viele Stücke eher verschlucken als sie herauszustellen. Sollte es der historisch gewachsenen Konkurrenz zwischen dem Kosmos Weimar und dem barocken Universum Gotha geschuldet sein, wäre das schade.