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"Im Beruf etwas Abstand bekommen"

Der Ursprung findet sich in der Bibel, im Alten Testament: Sechs Jahre soll man sein Feld bestellen, im siebten Jahr ruhen lassen. Dieses Sabbatjahr, auch Sabbatical genannt, gibt es mittlerweile auch im Arbeitsleben. Fast die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer kann sich gut vorstellen, ein Sabbatjahr einzulegen, doch den Schritt in die Auszeit wagen nur die wenigsten.

Von Michael Hollenbach | 04.01.2006
    "Ich habe vorher immer viel gearbeitet, und ich wollte mal für mich was tun, und auch einen Jugendtraum verwirklichen, weil ich schon nach meiner Schulzeit in die Welt fahren wollte, dann bin ich Vater geworden, habe geheiratet und das Leben sich erst mal anders entwickelt hat."

    Vor zwei Jahren entschied sich Lutz Apel, gemeinsam mit seiner Frau eine Weltreise anzutreten: statt jeden Morgen zur Arbeit zu gehen lieber mit dem Wohnmobil durch Europa touren und anschließend mit dem Rucksack durch Südamerika wandern.

    Lutz Apel gehört jedoch zu den wenigen Arbeitnehmern in Deutschland, die für sich ein Sabbatjahr in Anspruch genommen haben. Zwar kann sich fast die Hälfte aller Arbeitnehmer ein Sabbatjahr durchaus vorstellen, doch es wird relativ selten umgesetzt. Ein Grund: die meisten Arbeitnehmer müssen um ihr Sabbatical kämpfen - lediglich drei Prozent aller Unternehmen bieten die Möglichkeit eines Sabbatjahrs an. Vorreiter ist hier der öffentliche Dienst. Gerade in traditionellen Betrieben rümpfen die Personalchefs oft die Nase beim Thema Sabbatjahr.

    Barbara Siemers, die für ihre sozialwissenschaftliche Promotion die Daten von über 100 Arbeitnehmern ausgewertet hat, die ein Sabbatical gemacht haben, kennt die Vorbehalte der Arbeitgeber:

    "Das ist zu teuer, da müssen wir einen Stellvertreter rein nehmen, wer soll die Arbeit machen, was soll das bedeuten, wenn jemand sagt, er will raus; ist der nicht mehr leistungsfähig genug."

    Gerade im mittleren Management hat Barbara Siemers erhebliche Widerstände gegen ein Sabbatjahr beobachtet. Ein weiterer Grund für die geringen Zahlen: der Arbeitnehmer geht ein Risiko ein. Er erhält - wenn überhaupt - nur die Zusicherung, wieder in das Unternehmen zurückkehren zu können:

    "Eine Arbeitsplatzgarantie, dass ich auf den gleichen Arbeitsplatz wieder zurückkehren kann, gibt es so gut wie gar nicht."

    Gerade in der Unsicherheit aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit sieht Christina Klenner den wesentlichen Grund, warum nur so wenige den Sprung in die Auszeit wagen. Christina Klemmer ist gerade im Sabbatjahr. Sie verweist auf die Einkommenseinbußen: Das gängige Finanzierungsmodell beim Sabbatical sieht so aus, dass man vier Jahre voll arbeitet, aber nur 80 Prozent des Gehalts bekommt; dafür bezieht man die 80 Prozent während des Sabbatjahres weiter:

    "Wenn ich weiß, dass ich eines Tages arbeitslos werden könnte, muss ich ja auch auf das reduzierte Einkommen mein Arbeitslosengeld berechnen oder aber ich kann mir weniger zur Seite legen in der Zwischenzeit, und natürlich auch dieses Gefühl, ich muss mich als unverzichtbar zeigen, dass man mich bei Personalabbau nicht auf die Liste setzt."

    Sie sei oft auf das Sabbatjahr angesprochen worden, weil viele Kolleginnen und Kollegen noch nie von der Möglichkeit gehört hätten, sagt die 50-Jährige, die eigentlich in der Hans-Böckler-Stiftung arbeitet. Dass das Sabbatjahr wenig bekannt sei, das sei auch nicht verwunderlich:

    "Die Bedingungen in Deutschland sind sehr ungünstig, wenn der Staat oder die Bundesagentur für Arbeit oder andere Akteure das nicht wirklich unterstützen und pushen. Dann kann das der einzelne nicht durchsetzen. Und da hapert es dran. In Deutschland wäre es eine große Chance bei der hohen Anzahl von Arbeitslosen, das, was es mal vor Jahren gegeben hat als Dänisches Modell, als job rotation, auch wirklich von offizieller Seite voranzutreiben und auch finanziell zu fördern."

    Das Sabbatjahr könnte nicht nur Arbeitslosen zu einem Job auf Zeit verhelfen, es ist auch für Arbeitnehmer oft dringend erforderlich, hat die Sozialwissenschaftlerin Barbara Siemers bei ihrer Untersuchung beobachtet:

    "Die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen, ist etwas, was viele Menschen heutzutage als Gegengewicht brauchen gegen einen immer stressigeren Berufsalltag, wo Auszeiten, die früher Platz hatten, die fallen immer mehr weg. Auf der anderen Seite gibt es auch andere Ansprüche von Arbeitnehmerseite, zum Beispiel ich möchte mich weiterbilden, ich möchte Zeit für meine Familie haben, ich möchte meinen Horizont erweitern."

    Barbara Siemers hat festgestellt, dass die Motive für das Sabbatjahr durchaus unterschiedlich sind: die Sehnsucht, eine Weltreise zu unternehmen, spielt da eher eine geringere Rolle. Häufiger ist der Wunsch nach einer Weiterbildung, die Notwendigkeit der Familienbetreuung oder das Bedürfnis nach einer privaten bzw. beruflichen Neuorientierung - wie bei Christina Klenner:

    "Ich wollte auch den Abstand, der hatte auch was mit Neuorientierung im Leben zu tun, aber auch im Beruf etwas Abstand zu bekommen."

    "Aus diesem sehr Rastlosen, Nicht-Aufschauenkönnen, immer mit letzter Kraft die Termine irgendwie schaffen, da kann so eine Phase des Ausstiegs mehr Gewinn als Verlust sein."

    "So eine Draufsicht von oben, was habe ich gemacht, Bilanz ziehen, das ist auch eine große Chance."