Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Im Poesiealbum der Liebe

Das Generalthema der ersten echten Arbeitstage in Cannes nach einer mäßig glamourösen Auftaktveranstaltung ist klar. Um Liebe geht's - genauer gesagt um den Liebesschmerz, der im Lauf der Zeiten und im Spiegel der Kulturen jeweils anders ausfällt.

Von Josef Schnelle | 16.05.2009
    Der chinesische Regisseur Lou Ye möchte in seinem Film "Spring" davon erzählen, wie es geschehen kann, dass inmitten der Liebesverwirrungen einiger junger Leute im heutigen Nanking sämtliche Protagonisten ihre wahre Liebe verpassen. Er möchte aber auch ein paar chinesische Tabus ankratzen, vor allem möchte er der homosexuellen Liebe eine Bahn brechen. Weswegen seine Geschichte von tragischem Orientierungswechsel handelt, harten schwulen Sex zeigt und sich dann doch irgendwie verheddert zwischen der Lust, es den Zensoren (die diesmal bei einer vorwiegend französischen Produktion nicht hineinreden konnten) einmal richtig zu zeigen und der mangelnden Konsequenz in der Erzählhaltung. Weswegen man in dem Film von der Existenz von Transvestitenbars in Nanking erfährt, aber im Gewusel der Story doch schnell den Überblick verliert. Die Liebe wird geschüttelt wie ein Cocktail. Kein Wunder dass dabei die Ewigkeit auf der Strecke bleibt.

    Im London des Jahres 1818 ist das noch ziemlich anders. Da ist die körperliche Liebe eine ziemlich fremdartige Angelegenheit, besonders wenn der junge Dichter John Keats kein Geld hat und die Stickerin Fanny im Nachbarhaus kein Interesse an Lyrik. Regie führte bei dieser romantischen Liebesgeschichte die Neuseeländerin Jane Campion, die 1992 schon einmal mit "Das Piano" die goldene Palme gewonnen hat. Jetzt ist sie zurück mit einer sehr britischen Liebesromanze, in der die ewige Liebe nur in den Gedichten triumphiert. Zum Beispiel in dem Titel gebenden Gedicht: "Bright Star". Jane Campion bekennt, mit dieser Geschichte Neuland betreten zu haben.
    "Ich habe mich gefühlt, als würde ich einen anderen Planeten betreten. Und ich wusste auch nicht, wie ich meinen Weg durch diese Geschichte finden würde. Sie ist so verzaubernd und zugleich so schmerzhaft. Von ihr geht eine ganz besondere Faszination aus. Die kann man erforschen zum Beispiel in Keats Briefen, die so lebendig sind. Ich liebe das Abenteuer, dass ich bei dieser Recherche gemacht habe und bin traurig, dass das jetzt zu Ende geht."

    Der romantische Dichter John Keats hatte zu seinen Lebzeiten keinen Erfolg. Er starb mit 25 Jahren. Heute ist er ein Klassiker. Eine unerfüllte Liebe war ihm beschieden. Die Nachbarstochter Fanny allein mit seiner Sprache verführt. Natürlich nicht zu sexuellen Handlungen, zu denen es in einem asiatischen Film nach spätestens fünf Minuten kommt.

    Die Liebe von John und Fanny ist eine Liebe aus dem Poesiealbum mit Blumen, Schmetterlingen und zarten Küssen, doch wenn sie dann am Tod des Liebsten scheitert, dann ist sie von tragischer herzzerreißender Tiefe. Irgendwann ist Fanny, die doch lieber Tanzen und über Flirtscherze lachen möchte, endlich bewusst geworden, dass Keats die Liebe ihres Lebens ist. Sie liegt auf dem Bett. Ein Windzug weht herein. Ihr Kleid wölbt sich. Das ist alles.

    So ein Bild würde Park Chan-Wook, dem Meister der drastischen Geschichten aus Korea niemals genügen. Und dennoch erzählt er mit seinem extrem blutigen - na klar - Vampirfilm "Durst" ebenfalls die Geschichte einer Liebe, die ewig sein möchte. Da haben Vampire einiges zu bieten.

    Doch Sang-Hyun ist katholischer Priester, hat Schuldgefühle und möchte alles richtig machen, bis er von einer seltsamen Blutkrankheit befallen wird. Viele vampiristische Pointen später - es ist auch ein lustiger, ironischer Film, der die koreanische Gesellschaft gekonnt auf die Schippe nimmt - sitzt Sang-Hyun mit der Liebe seiner Jugend, die er zu einer blutrünstigen Mitvampirin gemacht hat, einfach da und erwartet das Ende aller Zeit - den Sonnenaufgang. Vorher hat er ihr versichert, auch in der Hölle zu ihr zu halten. Sie findet sich hingegen ganz unkatholisch damit ab, dass sie sich ins Nichts auflösen wird. So ist das mit der Liebe, wenn sie nicht schmerzt, kann man's auch gleich sein lassen.