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Insel Spiekeroog
Unterwegs mit dem Vogelflüsterer

Nur wenige Seemeilen trennen die Insel Spiekeroog von der ostfriesischen Küste - und doch ist es eine ganz andere Welt, mitten im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Eine Oase der Ruhe: für Menschen, Robben und 300 Vogelarten.

Von Katinka Strassberger | 12.10.2014
    Ebbe am Strand
    Ebbe am Strand: Das Wattenmeer im Nationalpark ist Lebensraum vieler Tierarten (Deutschlandradio / Jan-Martin Altgeld)
    Schon bei der Ankunft spürt man den besonderen Zauber dieses sanft hügeligen Eilands. Der Fähranleger mit der angrenzenden kleinen Marina liegt eingebettet in zartblühende Salzwiesen, die gen Norden in weitläufige Heide- und Dünenlandschaften übergehen. Ein sensibles und artenreiches Öko-System, das zusammen mit dem kilometerlangen feinen Sandstrand den größten Teil der Insel ausmacht.
    "Spiekeroog ist ein Vogel-Paradies, weil es den größten Teil der Insel Natur hat, pure Natur, was auf den anderen Inseln so extrem nicht der Fall ist. Ich bin seit sieben Jahren hier, habe ornithologisch sehr viel gearbeitet im In- und Ausland und tobe mich hier jetzt eigentlich richtig aus, das macht so einen Spaß hier!"
    ... schwärmt der Ornithologe Edgar Schonart. Es gibt keinen Zweiten, der sich mit der reichen Vogelwelt auf Spiekeroog so gut auskennt wie er. Ausgerüstet mit Fernglas und Kamera macht sich der ehrenamtlich tätige Nationalparkwart jeden Tag schon in den frühen Morgenstunden auf, um seine gefiederten Schützlinge zu beobachten und zu fotografieren.
    "Ich bin gleichzeitig dafür da, die beiden Vogel-Zivis zu betreuen, die jetzt natürlich keine Zivildienstleistenden mehr sind, sondern Bundesfreiwilligen-Dienst oder freiwilliges ökologisches Jahr. Wir machen zusammen die Brutvogel-Erfassung und die Zählung der Wat- und Schwimmvögel alle zwei Wochen, und so haben wir eigentlich ein großes Betätigungsfeld."
    Erinnern an Naturschutz-Vorschriften
    Dazu gehört auch, Insulaner und Touristen immer wieder an die geltenden Naturschutz-Vorschriften zu erinnern. Edgar Schonart macht das freundlich, aber bestimmt:
    "Hunde anleinen, Leute aus den Schutzgebieten jagen, aus den Dünen ziehen, und dabei versuche ich natürlich auch, die Leute dazu zu kriegen, dass sie beispielsweise nicht an die Seehunde bis Fotoentfernung herangehen, sondern, dass sie im Abstand von 100 Metern den bestaunen und dann möglichst schnell wieder verschwinden, beispielsweise wenn es sich um einen Heuler handelt, dass die Mutter wieder ran kann und nicht weit draußen auf dem Meer ist und wartet, bis endlich wieder Zugang zum Kind ist."
    Im idyllischen Dorf, das mit seinen schönen Friesenhäusern, üppig blühenden Gärten und erstaunlich vielen alten Baumriesen sozusagen den urbanen Kern der Insel bildet, ist Edgar Schonart bekannt wie ein bunter Hund. Durch die fröhliche Art, mit der er für den Naturschutz wirbt, genießt der drahtige und sehr jugendlich wirkende Rentner große Wertschätzung.
    "Unsere Hauptstörenfriede, das sind die Krähen, die auf der anderen Seite eine positive Funktion haben, die fressen das Aas vom Strand weg, es werden dadurch weniger Krankheiten übertragen, aber sie sind in einer Übermacht da, die für die anderen bedrohlich wird."
    Solche Probleme thematisiert Edgar Schonart auch bei seinen Vorträgen, die er im Umweltzentrum Wittbülten hält, einer naturkundlichen Forschungseinrichtung mit kleinem Museum im Osten der Insel. Vor allem aber stellt er Vogelarten vor, von denen die meisten Besucher vermutlich bislang noch nie etwas gehört haben: z. B. Fichtenkreuzschnabel, Trauerschnäpper, Raubwürger, Gänsesäger und Klappergrasmücke.
    "Die Sumpfohreule, die liegt mir ganz besonders am Herzen, aber auch so was wie Löffler, das Schwarzkehlchen, das sind einfach wunderschöne und interessante Vögel. Die Kornweihe gehört selbstverständlich auch dazu, auch wenn sie für uns als Brutvogel wahrscheinlich verloren ist."
    Kenntnisreiche und humorvolle Vogel-Porträts
    Auf Spiekeroog lassen sich knapp 300 Vogelarten nachweisen. Welche davon er gerade beobachtet hat und wo, das verrät Edgar Schonart immer aktuell auf seiner Internetseite, ergänzt durch exzellente Fotografien, die er darüber hinaus in Form von Kalendern und Postkarten herausgibt. Auch die ebenso kenntnisreichen wie humorvollen Vogel-Porträts, die er regelmäßig für die Zeitung "Inselbote" schreibt, erfreuen sich großer Beliebtheit, erzählt Herausgeber Hartmut Brings:
    "Edgar Schonart hat einfach einen unbeschreiblichen Humor und das Tolle ist, er nimmt sich dabei nicht zu ernst, das kommt ja zwischen den Zeilen immer wieder raus, wenn er sich auch selber einbringt mit seinen Beobachtungen. Es gibt wohl kaum jemanden, der nichts von ihm lernen könnte."
    Die kilometerlange unbewohnte Ostplate, die sich östlich des Hermann-Lietz-Internats und des Umweltzentrums durch angeschwemmten Sand immer weiter ausdehnt, gehört zu den wichtigsten Vogelschutzgebieten Ostfrieslands. Diese wildromantische Naturlandschaft darf nur auf wenigen besonders gekennzeichneten Pfaden betreten werden. Eine unendlich erscheinende Weite von Dünen, Strand und Meer, wo man selbst zur Hochsaison nur ein paar einsame Wanderer antrifft.
    Ein besonders faszinierendes Schauspiel lässt sich im Herbst beobachten, wenn Tausende von Vögeln auf dem Flug in ihre südlichen Winterquartiere die Region als Rastplatz ansteuern, um sich für die Weiterreise zu stärken.
    Mehr als 10.000 Besucher kommen alljährlich zu den "Zugvogeltagen", die die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer seit 2009 veranstaltet. Mehrere Festlandsgemeinden und alle ostfriesischen Inseln beteiligen sich an diesem besonderen Programm für Naturfreunde, die mehr über die wunderbare Welt der Vögel erfahren möchten.
    "Wir bieten an: einmal jeden Tag das "Sea-Watching", zwei bis drei Exkursionen, die hier in die typischen Landschaften gehen, u. a. auch bis zu den Salzwiesen, wo dann bei auflaufend Wasser langsam die ganzen Watvögel sich nähern und man sie wunderbar sehen kann, wenn man ruhig stehen bleibt, wir haben ja viele Spektive dabei, und das war das, was immer am gefragtesten ist. Das brachte auch mir sehr, sehr viel, denn man konnte wirklich den Leuten zeigen, wie schön die Arten sind, die man sonst nur von Weitem sieht und das macht mir auch unheimlich Spaß, dass die Leute das Aha-Erlebnis bekommen. Das berührt alle, sowohl den Laien und auch uns."
    Ziehende Einsen
    Mit etwas Glück kann man darüber hinaus auch geradezu kunstvolle Flugformationen beobachten.
    "Es sind vor allem die Großvögel, diese ziehende Eins, wie das von den Kranichen vor allem bekannt ist. Die Menge von Gänsen, die wir haben, die bilden nicht eine Eins, sondern eine Menge von Einsen verkettet, man kennt die genauen Gründe dafür noch nicht ganz.
    Man glaubt ja so viel zu wissen, aber da sind immer wieder neue Fragen, die plötzlich geklärt werden, und zwar ganz anders als man sich das vorgestellt hätte. Man hat vor einigen Jahren beispielsweise eine Pfuhlschnepfe mit einem Sender versehen und hat plötzlich festgestellt, dass die 11.000 km ohne Nahrungsaufnahme nonstop über vier Tage geflogen war, bis sie im Überwinterungsgebiet in der Antarktis angekommen war. Das sind Dinge, die hat man sich nicht vorstellen können. Und so, denke ich, kommt noch viel ans Tageslicht, dass man da noch lange forschen kann."