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Islamismus-Prävention in Berlin
Schüler stärken gegen Radikalisierungsversuche

Salafisten missionieren unter Flüchtlingen und auch unter Kindern und Jugendlichen, die Szene wächst. Damit sich der radikale politische Islam in Deutschland nicht weiter ausbreitet, haben Bund und Länder die Präventions-Fördertöpfe massiv aufgestockt. Aber welche Maßnahmen sind erfolgreich, welche nicht?

Von Claudia van Laak | 08.03.2018
    Der erste Schritt der Radikalisierung erfolgt meist auf eigene Faust im Internet
    In vielen Fällen beginnt eine Radikalisierung vor dem heimischen Bildschirm. Verschiedene Projekte aus Bundes- und Ländermitteln wollen Schüler dagegen wappnen. (imago stock&people)
    Die Herbert-Hoover-Schule im Berliner Wedding. Die 8d muss an diesem Tag weder Gleichungen mit zwei Unbekannten lösen noch englische Vokabeln pauken. Heute geht es um Identität. Ömer, Hatice, Anastasia, Ibrahim, Ibo und die anderen sitzen im Kreis. José Semedo drückt jedem ein Blatt Papier in die Hand und erklärt:
    "Ihr bekommt zwei Minuten, schreibt in der Mitte Eure Namen, und dann rundherum, was macht Euch aus, zum Beispiel, Herr Semedo, Sport, schicke Frisur, Afrikaner, Religion, whatever. Okay, ihr habt nur zwei Minuten Zeit, legt mal los."
    Ömer schreibt: "Moslem, Palästinenser, Musik", Ibo "Koran, Liebe, Familie."
    "Ich mache gerne was mit Beatboxen. Und Zeichnen. Und ich bete gerne."
    "Beten, das heißt, Religion, Islam."
    Schnell wird klar – den Mädchen und Jungen der Klasse 8d – mehrheitlich muslimisch geprägt – ist Religion sehr wichtig. Sozialpädagoge José Semedo versucht, sie für Anwerbeversuche von Islamisten zu sensibilisieren.
    "Ein Extremist, der dem IS nahesteht, sieht Ibo und will ihn anwerben. Wie würde er das machen?"
    "Ibo ist ja immer auf Facebook dran, und er postet auf Facebook, wie er betet. Und manche Leute schreiben ihn an, Du betest falsch. Wir können Dir beibringen, wie man richtig betet."
    Salafismus-Präventionsprojekt aus Bundesmitteln
    José Semedo nickt. Der Pädagoge hält den Jugendlichen keinen Fachvortrag über Islamismus und IS-Terror. Er versucht, ihnen die Mechanismen von Extremisten klarzumachen – dass diese zum Beispiel bewusst an persönlichen Schwachpunkten ansetzen.
    "Manchmal wird es für einen viel zu viel. Es wird so erdrückend. Und genau in diesem Moment springen diese Gruppen auf. Dann haben die leichtes Spiel, weil man nicht mehr vor Augen hat, was macht mich wirklich aus. Aber solange man das kennt, sich einmal Gedanken gemacht hat, ist es nicht mehr so einfach. Dann kann man sagen, nein, komm, meine Familie gibt mir Liebe. Nicht nur ihr habt die absolute Wahrheit."
    Die Arbeit von José Semedo ist Teil eines vom Bund finanzierten Modellprojekts zur Salafismus-Prävention. Knapp 740.000 Euro lässt sich der Bund dieses Projekt kosten, das derzeit an sechs Schulen erprobt wird.
    Fallen Lehrerinnen und Lehrern Verhaltensänderungen bei ihren Schülern auf – Mohamed betet mehr als früher, gibt Frauen nicht mehr die Hand, Ayse kommt plötzlich komplett verhüllt zur Schule – hat Jose Semedo die Aufgabe zu klären, ob die Jugendlichen sich radikalisiert haben – und wenn ja - wie dieser Prozess gestoppt werden kann. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück hat das Präventions-Konzept erarbeitet:
    "Ziel hierbei ist immer, einerseits den Schulverlauf weiterhin sicherzustellen, also diesen Menschen zum Bildungsabschluss zu führen, aber tatsächlich auch dafür Sorge zu tragen, dass, wenn problematische Haltungen vorliegen, sich diese nicht verfestigen und auch nicht andere Schüler davon angesteckt werden."
    Nur wenige Lehrer kennen sich mit Salafismus aus
    Salafismus ist ein für Deutschland relativ neues Phänomen, bislang kennen sich nur wenige Lehrerinnen und Lehrer damit aus. Dies sei der Grund dafür, dass oft überreagiert werde, bedauert Islamwissenschaftler Kiefer – indem zum Beispiel bei auffälligen Schülern sofort der Staatsschutz in die Schule bestellt werde.
    "Es gibt sowohl Alarmismus – dass jedes Zeichen von islamischer Religiosität schon als Problem angesehen werden oder als Ausdruck von Radikalität betrachtet werden. Aber es gibt natürlich auch Verharmlosung – das ist nur harmloser Jugendprotest, damit müssen wir uns nicht befassen – diese Einschätzung kann genauso falsch sein."
    Wenig Sachkenntnis, wenig Professionalität im Umgang mit politisch radikalen Muslimen stellt der Islamwissenschaftler immer wieder fest. Dies gelte auch für den Bereich der Prävention. Verfassungsschutz, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundeszentrale für politische Bildung, dazu immer mehr Akteure auf kommunaler und Landesebene tummeln sich in der Salafismus-Prävention - sind doch die Fördertöpfe momentan gut gefüllt.
    "Es kann nicht darum gehen, selbst berufene Präventions-Akteure, die keine pädagogischen Fachkenntnisse haben, auf die Menschen loszulassen. Wenn ich eine kaputte Einspritzung an meinem Mercedes habe, gehe ich ja auch nicht zum Bäcker, sondern gehe zur Fachwerkstatt, und in der Prävention gilt das Gleiche."
    Erfolg von Präventionsprojekten schwer einschätzbar
    Das Bundesforschungsministerium hat dieses Problem erkannt und fördert nun mit 1,5 Millionen Euro ein Projekt, das eine wissenschaftlich fundierte Übersicht über alle Präventions- und De-Radikalisierungsansätze und –projekte erarbeitet. Bis zu 1.000 solcher Initiativen existieren momentan – wie viele von ihnen allerdings erfolgreich sind, weiß niemand.
    Ob öffentlich geförderte Präventionsprojekte ihr Ziel erreichen, das wird nur selten überprüft. Für problematisch hält es das Nationale Zentrum für Kriminalprävention, "dass in vielen Fällen weder die Maßnahmen noch begleitende Evaluationen klare, erkennbare Ziele verfolgen".