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Israelische TV-Serien
Krampf der Geschlechter

Orthodoxe Juden besitzen nur selten einen Fernseher, aber sie bieten Stoff für neue Fernsehserien wie "Shtisel". Da arrangieren Heiratsvermittler sittsame Treffen im Café oder gemeinsame Spaziergänge, es vergehen mehrere Folgen bis zum ersten Date. Auch bei säkularen Israelis sind die Einblicke ins komplizierte Beziehungsleben beliebt.

Von Gerald Beyrodt | 25.04.2017
    Ein juedisches Paar auf der Promenade am Strand vom Mittelmeer von Tel Aviv. Im Hintergund die Altstadt von Jaffa mit der Kirche St. Peter Church.
    Für orthodoxe Juden ist Dating oft ein schwieriges Thema und daher bestens geeignet als Serienstoff. (imago stock&people)
    David spurtet über die Rolltreppen der New Yorker U-Bahn, rennt aus Versehen eine alte Dame und einen Hund um, um bloß die Verspätung der U-Bahn wieder aufzuholen und noch einigermaßen pünktlich beim Blind Date zu erscheinen - beim orthodoxen Blind Date. Das Essen mit der vielleicht Zukünftigen, mit Sarah, läuft gut, sie ist sympathisch, witzig, hat Verständnis für die Verspätung.
    Alles wunderbar, nur leider ist David nicht mit Sarah verabredet, mit dieser Sarah nicht. Die junge Frau, mit der er verabredet ist, sitzt an einem anderen Tisch im selben Restaurant, heißt auch Sarah, und ist inzwischen mächtig genervt wegen der Verspätung.
    Das Gespräch mit Sarah II läuft gründlich daneben. Und auch sie hat für den schöngeistigen Rabbinatsstudenten nicht wirklich etwas übrig. Sie will viel lieber mit dem netten Jura-Studenten reden, der derzeit am anderen Tisch mit Sarah I ein eher schleppendes Gespräch führt.
    Problemzone Dating
    Eingangsszenen aus der amerikanischen Webserie "Soon by you", "Bald bei Dir". Die junge Filmemacherin Lea Gottfried, ist selbst im Alter ihrer Protagonisten und auch modern-orthodox. Dating ist eins der Hauptprobleme in der jüdischen Orthodoxie. Mit 26 noch keinen Mann fürs Leben oder noch keine Frau fürs Leben gefunden zu haben - ein Problem, weil man endlich eine Familie gründen möchte, weil die Eltern und Verwandten drängen und weil die eigenen Bedürfnisse drängen. Denn Sex vor der Ehe ist tabu, erzählen mindestens die Serien.
    Solche Details aus dem Privatleben der Orthodoxen zu erfahren, das macht in Israel den Reiz der Serien aus, jedenfalls zum Teil. Denn "Religiöse", wie man die Orthodoxen dort nennt, leben in einer völlig anderen Welt als nicht religiöse Israelis. Das betrifft vor allem Liebesangelegenheiten und Sexualität, aber auch die Einhaltung der anderen jüdischen Gebote. Da es am Schabbat verboten ist, Feuer anzuzünden, würden noch nicht einmal gemäßigt Orthodoxe auf die Idee kommen, am Schabbat auf einen Lichtschalter zu drücken oder gar ein Auto zu benutzen.
    Die Serien gewähren den Zuschauern Einblicke ins Leben der Religiösen. Für säkulare Israelis am erstaunlichsten: Orthodoxe beschäftigen sich nicht permanent mit Beten und Religion, sie haben Sorgen im Job, Probleme mit der Erziehung, Streit in der Partnerschaft. Und die Religion bietet auch ihnen nicht für alle Probleme eine Lösung, oft bringt sie einen erst in das Dilemma. Fernsehserien zum Thema Orthodoxie bekommen in Israel hohe Einschaltquoten, räumen bei Wettbewerben Preise ab und werden häufig mit Star-Aufgebot gedreht.
    Nach 50 Dates sehen alle Männer gleich aus
    Das Intro der Serie "Srugim" aus dem israelischen Fernsehen. Sie führt genauso wie "Soon by you" in die gemäßigt-orthodoxe Welt. Srugim bedeutet: die Gestrickten. Gestrickt sind die Kippas, die Kopfbedeckungen, der Männer. Ob eine Kippa glatt oder gestrickt, bunt oder schwarz ist, das ist in Israel keineswegs gleichgültig, sondern signalisiert eine Weltanschauung. Gestrickte Kippa bedeutet: gemäßigte Orthodoxie. Ansonsten tragen junge Männer kurzärmlige Hemden und meist Jeans oder auch Stoffhosen, junge Frauen Rock und Bluse.
    Eine Szene aus "Sgrugim": Der junge Arzt Doktor Nati Brenner setzt sich an den Tisch mit der jungen Frau, mit der er verabredet ist. Und er muss sich rechtfertigen, dass er vierzig Minuten zu spät ist. Nati ist das alles nicht sehr wichtig, er ist nämlich gerade auf eine Liste der zehn attraktivsten orthodoxen Junggesellen gesetzt worden. So setzt er zu einer halbherzigen Entschuldigung an, doch die junge Frau, Sigalit, schneidet ihm das Wort ab. Sie war vor zwei Jahren auf der Liste der interessantesten orthodoxen unverheirateten Frauen, auf Platz eins sogar. Und es war ein Albtraum, erzählt sie.
    Nach 50 Dates sahen alle Männer gleich aus. Und vor allem: sie redeten alle dasselbe. Weißt du was, schreib dir meine Nummer auf, wenn alles vorbei ist mit dieser schrecklichen Liste und du mich sehen willst, dann ruf mich an. Jetzt ist Nati wirklich platt: Diese jungen Frau, die ihm gerade die Leviten liest und im Begriff ist, das Café zu verlassen, könnte sich in Zukunft ein Date mit ihm denken? Warum nicht, sagt sie. Du bist nett, nur jetzt ist der falsche Zeitpunkt, dich kennen zu lernen. Bye, und Tschüs.
    "Moralisch zweifelhaft"
    Jahrelang war "Srugim" im israelischen Fernsehen erfolgreich, wohl weil die Serie ohne Polemik auskommt: weder versucht sie zu zeigen, wie verbohrt Religöse seien. Noch versucht sie, säkulare Israelis auf den angeblich rechten Pfad der Religion zu bringen.
    Trotz des großen Erfolges hat die Serie einzelnen aber nicht gefallen. Ein orthodox-zionistischer Rabbiner belegte sie zwischenzeitlich sogar mit einem religiösen Bann, weil sich einzelne religiöse Figuren "moralisch zweifelhaft" verhielten.
    Nach dem Erfolg von "Srugim" hat sich das Fernsehen in die ultraorthodoxe Welt vorgewagt. In eine Welt mithin, wo Fernseher eine Rarität sind. Eine Welt, in der kaum jemand eine säkulare Schule oder die Armee besucht hat, die sonst in Israel Männer wie Frauen absolvieren. Zahlreiche Ultraorthodoxe lehnen den Staat Israel ab, weil es ein solches Land erst geben könne, wenn der Messias kommt. Und so sind die Charedim, wie man sie nennt, vielen säkularen Israelis ähnlich fremd wie die Palästinenser. Die Serie "Shtisel" spielt im Jeruselamer Stadtteil Geula, wo fast ausschließlich Ultraorthodoxe leben.
    Was bist du? Geschieden, Bettnässer, ein Verrückter?
    Der junge Rabbi Akiba trägt wie alle Männer ein schwarzes Jackett, Schläfenlocken und einen schwarzen Hut. Auch sein Name lässt auf Ultraorthodoxie schließen: Kein säkularer Israeli trüge jemals den Namen Akiba, des berühmten Rabbiners aus dem Talmud. Jedenfalls hatte Akiba einen angedeuteten Flirt im Park mit der Mutter eines Schülers aus der religiösen Schule, wo er unterrichtet. Sich mit der nicht mehr ganz jungen Frau einfach zu verabreden, das wäre undenkbar. In der ultraorthodoxen Welt arrangiert die Heiratsvermittlerin oder der Heiratsvermittler sittsame Treffen im Café oder, bei größerer Intimität, auch Spaziergänge. Und so will Akiba seinen Vater von einem arrangierten Treffen überzeugen. Leider muss der junge Rabbiner ein paar Notlügen benutzen.
    Ein Heiratsvermittler aus dem Ort Bnei Brak habe angerufen mit einem interessanten Angebot. Akiba macht eine Pause. Eine Dreißigjährige. Noch eine Pause. Eine Witwe. Und noch eine Pause. Mit kleinem Sohn. Der Vater ist fassungslos, dass Akiba überhaupt darüber nachdenkt. Hat er so was denn nötig? Was bist du?, fragt der Vater. Geschieden? Bettnässer? Völlig durch den Wind?
    Eine Frechheit, eine Chuzpe, von dem Heiratsvermittler aus Bnei Brak, so was in Jerusalem überhaupt anzubieten. Doch dann kommt Elisheva, die nicht mehr ganz junge Frau, zum Haus von Akiba Shisels Famlie. Durch den Regen ist Elishava gelaufen, hat eine nasse Perücke, lächelt und sieht trotz sittsamer Kleidung erotisch aus.
    Vorsicht, heiß!
    Auch in der sittsamen Welt der jüdischen Orthodoxie können sich die Gemüter und die Leidenschaften erhitzen. Vielleicht gerade dort. Der Serie "Shtisel" ist intime Milieukenntnis anzumerken. Zwei Autoren mit ultraorthodoxen Wurzeln zeichnen für die Storyline verantwortlich. Auch "Shtisel" denunziert seine Protagonisten nicht, sondern schafft bei säkularen Zuschauern Verständnis und bringt die Charedim vor die seltenen Fernseher.
    Und ein Ultraorthodoxer bot sich sogar für eine Nebenrolle oder als Komparse an. Noch sind die beiden Welten so weit voneinander entfernt, dass das ein Grund zum Staunen ist.