Dienstag, 19. März 2024

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Johann Sebastian Bach
"Zur Ehre Gottes und Recreation des Gemüths"

Die Werke von Johann Sebastian Bach schlagen auch heute noch viele Menschen in ihren Bann. Gerade diese Wirkung machte sie in Kirchenkreisen mehr als verdächtig. Ihm wurde vorgeworfen, eine Musik mit "teuflischer Versuchung" zu schaffen. Nach seinem Tod verzichtete die Stadt Leipzig auf einen Nachruf.

Von Burkhard Reinartz | 13.12.2013
    "Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden. Wenn man Gott mit seiner Musik nicht ehrt, ist die Musik nur ein teuflischer Lärm und Krach." (Johann Sebastian Bach)
    "Wenn man bedenkt, dass so viele Philosophen und Theologen Tage und Nächte damit verloren haben, nach Gottesbeweisen zu suchen, und den eigentlichen verloren haben. Nach einem Oratorium, einer Kantate oder einer Passion muss er existieren. Sonst wäre das ganze Werk des Kantors nur eine herzzerreißende Illusion." (Émile Michel Cioran)
    Was Generationen von Theologen in Reflexion und Predigt zu verkündigen, zu ergründen und zu beweisen versuchten, scheint der Musik von Johann Sebastian Bach jenseits der Worte zu gelingen. Bis in die Gegenwart erreichen seine Klänge nicht zuletzt auch Menschen, die sich schon lange vom Christentum verabschiedet haben.
    Thomas Neuhoff, Dirigent und Kirchenmusiker, musikalischer Leiter des Kölner Bachvereins und anderer Chöre:
    "Wenn heute Publikum in die Aufführung eines Bachschen Oratoriums kommt, bringt es ganz andere Voraussetzungen mit als das Publikum, was seinerzeit in die Thomaskirche in Leipzig gekommen ist. Ich kenne viele Leute aus unserem Konzertpublikum, die mit geistigen Inhalten eigentlich gar nicht viel zu tun haben, die sich aber von Bachs Musik ganz besonders ansprechen lassen und die dabei ein - ich nenn das jetzt mal spirituelles Erleben haben - was in einem Gottesdienst und einer Predigt so nicht mehr möglich ist."
    "In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäuspassion des göttlichen Bach gehört, jedes Mal mit dem Gefühl der unermesslichen Verwunderung. Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium." (Friedrich Nietzsche)
    "Ich würde ihm absolut recht geben. Das Hören einer Passionsaufführung. Matthäuspassion oder Johannespassion, gibt einem die Möglichkeit zu einem religiösen Grunderlebnis, was möglicherweise Seiten im Menschen anspricht, die verbal nicht unbedingt zugänglich gewesen wären."
    Ohne seinen protestantischen Hintergrund ist das Werk Johann Sebastian Bachs kaum zu verstehen. Der Protestantismus war zu seinen Lebzeiten kein einheitliches Gebilde. Pietisten und Reformierte hatten eine skeptische Haltung zur Kirchenmusik. Sie lenke vom Wort ab, führe zu emotionaler Aufruhr. Bachs Kantaten wurden als "fleischlich", "luxuriös" und "sinnlich" abgelehnt. Manche Kritiker verstiegen sich zu der Warnung, sie führten zu "teuflischer Versuchung", erzählt Thomas Neuhoff.
    Zu viele Emotionen in der Kirche
    Ein eng beschriebenes Notenblatt
    Teil eines Faksimiles einer bisher unbekannten Komposition von Johann Sebastian Bach (AP)
    "Bach hat selber eine Art Schockerlebnis gehabt, als seine Johannespassion zum ersten Mal aufgeführt wurde und sich das Leipziger Bürgertum ereifert hat in der Weise, dass man sagte: das ist ja eine richtige Oper, die man uns in die Kirche reinbringt, hier werden Emotionen angesprochen, die geistiger Musik überhaupt nicht anstehen."
    Zu seinem Glück gab es lutherische Förderer, die verstanden, das Musik und Glaube sich nicht widersprechen, im Gegenteil. Was sich in Worten nur nacheinander ausdrücken lässt, erklingt in Bachs Musik gleichzeitig. Das entspricht dem menschlichen Erleben und macht seine Musik hochmodern. Ambivalenz, widerstreitende Gefühle in ein- und demselben Augenblick.
    Nicht nur unter den Protestanten war Bach umstritten. 200 Jahre nach Martin Luthers Reformation lehnte der Katholizismus die Bachsche Musik als Musik der Abtrünnigen ab. Zur Ehre Gottes durften nur einstimmige gregorianische Gesänge ertönen. Im strengen Ritual der katholischen Messe gab es damals keinen Raum für Orgelwerke, Kantaten und Oratorien.
    "Erst durch die Tonkunst ward die christliche Lyrik zu einer wirklichen Kunst: die kirchliche Musik ward auf die Worte des dogmatischen Begriffs gesungen; in ihrer Wirkung löste sie aber diese Worte wie die durch sie fixierten Begriffe, bis zum Verschwinden ihrer Wahrnehmbarkeit auf." (Richard Wagner)
    Johann Sebastian Bach wird am 21. März 1685 in Eisenach geboren und zwei Tage später in der Georgenkirche getauft, in jenem Gotteshaus, in dem Martin Luther in den ersten Wochen nach der Reformation predigte. Bach entstammt einer in Sachsen und Thüringen weit verzweigten Musikerfamilie. Der Vater, Johann Ambrosius, bringt ihm schon früh das Geigenspiel bei. Sein älterer Bruder Johann Christoph führt ihn in die Kunst des Orgel- und Klavierspiels ein. Mit 18 Jahren tritt Bach in Arnstadt seine erste Stelle als Organist an. Hier entstand das mit Abstand bekannteste Orgelwerk der Barockmusik: die Toccata und Fuge in d-Moll.
    "Endlich soll auch die Endursache aller Musik und also auch des Generalbasses seyn nichts anderes als nur Gottes Ehre und Recreation des Gemüths; wo dies nicht in Acht genommen ist, das ist keine recht eigentliche Musik." (Johann Sebastian Bach)
    "Bachs eigene Frömmigkeit wird zum Beispiel bei der Vertonung eines Chorals wie 'Wer nur den lieben Gott lässt walten' besonders authentisch, weil es seine eigene Religiosität darstellt. Er hat wirklich Gottvertrauen, er hat auch seine persönlichen Schicksalsschläge mit seinem Gottvertrauen überhaupt verdauen können."
    Viele zeitlose Werke geschaffen
    Unermüdlich preist Bach Gott und verleiht der göttlichen Liebe immer wieder einen eigenen musikalischen Ausdruck. So verstärkt er das Gefühl von Geborgenheit, seine hoffnungsvolle Freude im Angesicht von Leid und Endlichkeit. Allein sechzehn seiner Kantaten handeln ausdrücklich vom Lob Gottes. Bach hatte das Glück, ein Getrösteter zu sein.
    "Das Besondere bei Bach war, dass er wirklich hinter jedem Inhalt stand, den er vertont hat und er hat sich selber immer als kleinen, bescheidenen Menschen, den er alle Musik gewidmet hat, verstanden."
    Auch wenn der Komponist nach Berichten von Zeitzeugen auch eine strenge, widerspenstige Seite hatte und oft in Konflikt mit seinen jeweiligen Dienstherren in Kirche und bei Hofe lag.
    "Fragt man mich nach dem fünften Evangelium, so nenne ich ohne Zögern die musikalische Übersetzung der Erlösungsgeschichte, die ihren Höhepunkt in Johann Sebastian Bach erreicht hat." (Nathan Söderblom)
    "Ich denke, er ist der heute am leichtesten zugängliche Evangelist."
    Jedes Bachsche Werk ist von lutherische Frömmigkeit durchdrungen - auf dem Boden seiner Auseinandersetzung mit geistigen Fragen und theologischen Antworten. So wird er in gewissem Sinn zum Prediger, der den Bibeltext musikalisch auslegt und seine Gemeinde auffordert, darauf zu antworten. Denn jede Kantate schließt mit einem Kirchenchoral ab. Er verhilft dieser Musikform, die um 1600 in Italien entstand, zu einem Glanz, der die Jahrhunderte überdauerte. Mit den Suiten für Solo-Violine und Solo-Cello sowie den Goldbergvariationen und Präludien und Fugen des "Wohltemperierten Klaviers" hat Johann Sebastian Bach zeitlose Werke geschaffen, die noch lange in den Konzertsälen der Welt erklingen werden.
    "In den Präludien und Fugendes Wohltemperierten Klaviers liegt eine in ihrer Grundstimmung religiöse Musik vor, keiner kann sie hören ohne das es stille in ihm wird."
    Man erkennt sich in den Personen der Passion wieder
    Cover: "Johann Sebastian Bach: Markus-Passion BWV 244"
    Cover: "Johann Sebastian Bach: Markus-Passion BWV 244" (Deutsche Grammophon)
    Bachs religiöse Musik kulminiert in den großen Oratorien, die er in der Leipziger Zeit komponiert: das Weihnachtsoratorium, die Johannespassion und die Matthäuspassion. In die Leidensgeschichte Jesu sind die existenziellen Themen des Menschseins eingewoben: Angst, Liebe, enttäuschte Erwartungen, Verrat, Reue, Freude und Verzweiflung. Doch immer gehen diese Emotionen durch einen für Bach typischen Ausdrucksfilter.
    "Das, was man im weitesten und tiefsten Sinn als Leidenschaft bezeichnen kann, finden Sie bei ihm nicht. Nicht Schmerz und Freude, sondern verklärter Schmerz und verklärte Freude reden zu uns." (Albert Schweitzer)
    Bach zieht seine Hörer mitten ins Passionsgeschehen hinein. Man nimmt Anteil an den Personen der Passion, weil man sich in ihnen wieder erkennt. In dieser Musik türmen sich nicht nur "wahre Schmerzgebirge" auf, wie Rainer Maria Rilke über den Eingangschor der Matthäuspassion schrieb. Gleichzeitig vermittelt die Musik einen Trost, der rein verbal ausgedrückt, zynisch klingen würde.
    "Wenn man zum Beispiel den Schlusschoral der Johannespassion hört: "Ach Herr, lass Dein lieb Engelein" - da geht es darum, wenn ich selber sterbe, dann möchte ich deine Nähe Nähe spüren. Und ich kenne kaum Chorsänger, auch die abgebrühtesten, die bei diesem Choral nicht in besonderer Weise ergriffen werden."
    Ob Komponisten der Gegenwart oder die Heroen der Wiener Klassik. Kaum jemand von ihnen haben die Bachschen Klänge kalt gelassen. Ludwig van Beethoven soll gesagt haben, eigentlich müsse der Barockkomponist "Meer heißen, und nicht Bach", so weit und strömend sei seine Musik.
    "Die Schönheit des Andante aus dem Violinkonzert von Johann Sebastian Bach ist so groß, das man ernstlich nicht mehr weiß. wo man sich hinsetzen soll, um des Anhörens würdig zu sein. Sie bleibt einem lange im Sinn, und man wundert sich beim Hinaustreten auf die Straße, dass der Himmel nicht blauer ist und der Pantheon nicht aus der Erde emporwächst. Doch das wilde Hupen der Autobusse rückt die Dinge schnell wieder an ihren Platz." (Claude Debussy)
    Kein Nachruf für den umstrittenen Komponisten
    In seinen letzten Lebensjahren verdichtet Bach verschiedene ältere Kompositionen zur "h-moll-Messe": Diese Messe, im Laufe von 25 Jahren entstanden und doch aus einen Guss, lässt sich auch als Beitrag zu einer interkonfessionellen Spiritualität lesen. Er, der unter manch konfessionellem Streit gelitten hat, der als Hofkomponist für den katholischen Kurfürsten eines protestantischen Landes tätig war, integriert das "Credo in unum deo" der mittelalterlichen Messe in einen der letzten Sätze der "h-moll-Messe".
    "Man kann weltweit erleben, dass Menschen beim Singen von Bachs Musik - und die ist nun mal sehr stark an die Texte angelegt - und ist eine Art Ausdeutung oder Erhöhung dieser biblischen Texte, dass sie beim Anhören dieser Musik, in einer ganz besonderen Weise angesprochen werden. Und das ist offenbar ein internationales Phänomen."
    Im Werk Johann Sebastian Bachs vereinen sich geistliche und weltliche Dimension, Instrumentalmusik und Gesang, lebhafter Ausdruck und strenge Ordnung, kosmische Weite und Präzision im Detail. Er ist in der Tradition verwurzelt und experimentiert mit neuen musikalischen Formen.
    Als letztes großes Werk schreibt Bach das polyphone - vielstimmige - Meisterwerk. "Die Kunst der Fuge". Kurz darauf erblindet der Komponist. Als er den Tod nahen fühlt, diktiert er seinem Schwiegersohn eine Orgel-Variation des Chorals "Vor deinen Thron tret ich hiermit".
    Johann Sebastian Bach stirbt am 28.Juli 1750 und wird drei Tage später auf dem Johannisfriedhof in Leipzig begraben. Der Rat der Stadt Leipzig verzichtet auf einen Nachruf zu Ehren des umstrittenen Komponisten.