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Jugendarrest
Schulunterricht hinter Gittern

Studierende aus Halle und Umgebung unterrichten junge Häftlinge in der Jugendarrestanstalt Halle. Der Arrest ist die letzte erzieherische Möglichkeit, bevor straffällig gewordene Jugendliche eine Jugendstrafe bekommen. Die Einrichtung wirbt ganz bewusst um Lehramtsstudenten oder künftige Sozialarbeiter, die den Unterricht gestalten sollen.

Von Christoph Richter | 16.06.2015
    Eine unbewohnte Zelle in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen), aufgenommen am 28.07.2014. Foto: Marius Becker/dpa
    Leben hinter vergitterten Fenstern (dpa / Marius Becker)
    Acht Jugendliche schlurfen in einen nüchternen Raum mit vergitterten Fenstern. Die einen kommen in Jogginghosen und T-Shirt, andere in Jeans und Markenturnschuhen. Sie schauen unsicher, sind müde. Junge Männer mit Flaum statt Bart, alle zwischen 16 und 22. Da auch in der Arrestanstalt Halle die Schulpflicht gilt, wird auch unterrichtet.
    Mit dem Unterschied, dass es keinen festen Lehrplan gibt. Höchstens fünf Unterrichtsstunden täglich erhalten die Arrestanten.
    Lara: "Wir begrüßen euch ganz herzlich. Einige waren letzte Woche schon da, andere ganz neu. Für die noch mal, ich bin Lara."
    Julia: "Und ich bin Julia."
    Lara:"Wir sind Studentinnen."
    Und so was wie Jung-Lehrerinnen in der Jugend-Arrestanstalt Halle.
    "Ist auf jeden Fall ungewöhnlich. Durchaus."
    Lara Männig studiert an der Hochschule Merseburg den Bachelorstudiengang Soziale Arbeit, indem Sozialarbeiter ausgebildet werden. In ihrem Praxissemester beschäftigt sich die Anfang 20-jährige mit Sexualpädagogik und Familienplanung, von daher kam ihr die Anfrage gerade recht, sagt sie. Denn Dienstagnachmittag steht immer eine Doppelstunde Sexualkunde-Unterricht auf dem Plan.
    "Weil es für uns eine riesige Chance ist, uns auszuprobieren. Das Theoriewissen einfach mal in die Praxis umzusetzen. Zu gucken, funktioniert das überhaupt, was wir lernen, wie kann man es anwenden, wie sind die Hürden in der Praxis."
    Sexualkunde hinter Schwedischen Gardinen
    Ziel sei es, erzählt Lara Männig, mit den straffällig gewordenen Jugendlichen über ihre Ängste und Befindlichkeiten zum Thema Sexualität zu sprechen, damit sie ihr eigenes Verhalten reflektieren. Völlig irritiert – auch weil es höchst private bis intime Dinge sind - verschränken die meisten im Unterricht aber nur die Arme, sagen, „mir doch egal." Erst im Laufe des Unterrichts zeigen sie ein bisschen Interesse, doch es fällt ihnen schwer mitzumachen.
    Heute sollen sie erzählen, was sie sich unter Liebe vorstellen, wie ihre Freundin sein sollte.
    Lara: "Ist deine perfekt?"
    Arrestant:"Ja, auf alle Fälle. Ist blond, hat nen Po, hat Titten, schlank."
    Lara:" Hat die auch Ecken und Kanten?"
    Arrestant:"Na ja, ist ein bisschen zu sensibel."
    Kein Ausfragen
    Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, können maximal vier Wochen in die Arrestanstalt kommen. Die Bandbreite der Delikte reicht von Körperverletzung und Einbruch bis Schulschwänzen. Doch von all diesen Dingen wollen die studentischen Lehrkräfte nichts wissen.
    "Wenn sie was erzählen möchten, dann macht man das auch. Aber sonst wird da nichts ausgefragt."
    Bammel vor dem Unterricht in der Jugendarrestanstalt, ja die hatte sie anfangs schon ein bisschen, gesteht die 25-jährige Julia Stanford. Sie studiert wie ihre Kommilitonin im 3. Semester Soziale Arbeit in Merseburg. Zur Sicherheit bekommen die Studierenden ein Notfalltelefon.
    Für die Jugendlichen ist der Unterricht eine willkommene Abwechslung vom eintönigen Arrest-Alltag. Denn tagsüber sind sie in ihren Zellen eingeschlossen. Zum Nachdenken, wie es heißt.
    "Langweilig ist es hier. Den ganzen Tag ist man auf Zelle, das bisschen Schule ist ein bisschen Abwechslung."
    Sagt Karl, der im richtigen Leben anders heißt. Er ist hier, weil er gegen diverse Auflagen des Gerichts verstoßen hat. Wie viele der Arrestanten hat er keinen Schulabschluss. In vier Wochen könne man bei den jungen Menschen nicht viel ausrichten, nur Denkanstöße geben, sagt Anstaltsleiterin Manuela Leske. Die Studentinnen, sagt sie noch, seien aber ein Glücksfall.
    "Und da ist das spektakulär Tolle, dass die Lehrenden und die Lernenden ein Alter sind. Und die Lernenden von den Lehrenden sehen, mit ein bisschen mehr Anstrengung, wär aus mir was geworden. Ohne, dass ich das mit dem erhobenen Zeigefinger thematisieren und aussprechen muss. Die sehen das, weil die, die sie unterrichten, fast das gleiche Alter haben."
    Das mache auch Hoffnung, schiebt Jugendrichterin Manuela Leske noch schnell hinterher. Denn wenn es die studentischen Lehrkräfte schaffen, dass sich die Arrestanten aufraffen; wenn sie lernen, dass ihnen die eigene Freiheit so wichtig ist, dass sie sie nicht weiter aufs Spiel setzen, dann wäre der Einsatz der Studentinnen in der Jugendarrestanstalt Halle, so Leske weiter, doch eine echte Erfolgsgeschichte.