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Jungho Lee
Kunst oder Plagiat?

Mit seinen Bilderbüchern "Schlaf gut, kleiner Bär" oder "Der Sammler der Augenblicke" wurde der Münchner Künstler Quint Buchholz weltweit bekannt. Jetzt gibt es einen Nachahmer: Die Bilder des jungen südkoreanischen Illustrators Jungho Lee rühren an der Grenze zwischen Zitat und Plagiat.

Von Christine Knödler | 22.07.2017
    Symbolbild Lesen, Buch, Literatur
    Wann ist es ein Plagiat, wann ist es eigenständige Kunst? (imago/Westend61)
    Ein Mädchen betritt ein Buch, das hochkant-haushoch auf einem Hügel steht. Sie öffnet die Seiten als öffne sie einen Vorhang. Aus dem Inneren des Buches leuchtet es hell. Bäume recken ihre kahlen Äste in den zartblauen Himmel, verschmelzen mit dem Buchdeckel. Die Atmosphäre ist traumverloren, still, verheißungsvoll. So gesehen könnte es ein Bild des Münchner Künstlers Quint Buchholz sein. Doch das Bild ist nicht von ihm. Es ist aus dem ersten Bilderbuch des jungen südkoreanischen Illustrators Jungho Lee "Promenade". 2016 in Korea erschienen, kommt es nun im August im Moses Verlag raus - und sorgt schon im Voraus für Furore. Erst preisgekrönt - dann des Plagiats bezichtigt. Was ist passiert?
    Im Herbst 2014 sieht Jungho Lee zum ersten Mal Bilder von Quint Buchholz. Ein Freund hat ihm Postkarten mit Buchholz-Motiven von der Frankfurter Buchmesse mitgebracht. Seitdem ist Jungho Lee angesteckt. In einem E-Mail-Interview zu diesem Beitrag sagt er:
    "I like meditative aspects in Quint Buchholz's works. Above all, I was inspired by the atmosphere in his paintings, created with sophisticated and meticulous craftsmanship."
    Ende 2014, Anfang 2015 gibt einen kurzen E-Mail-Wechsel, in dem Jungho Lee sich nach dieser Technik erkundigt. Quint Buchholz, der nicht nur malt, sondern auch unterrichtet, gibt Auskunft. Ab diesem Zeitpunkt, das zeigt die Website von Jungho Lee, tauchen Himmel, Wasser, Weite, die Motive der Bücher als Türöffner in andere Welten, auch bei ihm auf. Sujet, Farbigkeit, Lichtführung, Reduktion in der Erzählweise verweisen dabei auf die Kunst von Quint Buchholz. Aus dessen Verehrung macht Jungho Lee kein Geheimnis, stets nennt er seine Inspirationsquelle:
    "I am usually interested in surrealism of visual language so I tried to study again a kind of surrealism artists such as René Magritte for my project. Especially, I have inspired from German artist Quint Buchholz because he already had worked many paintings about the theme of 'book'. I tried to study his works deeply because I had to avoid same composition when I compared with his works. The most important thing was to find a good composition for a good matching with message through each illustrations, so I tried to throw a light on a book with many angle for observation and to compose with many kind of books as standing, folding and opening a book."
    Auszeichnung für Jungho Lee
    Die Association of Illustrators zeichnet Jungho Lee mit dem World Illustration Award 2016 aus. Es ist ein internationaler Preis, der "Spiegel" wird aufmerksam und gestaltet die Literaturbeilage zu Jahresbeginn mit Illustrationen von Jungho Lee; darauf: Bücher, die betreten werden können, Bücher als Tortenstücke, Bücher als Flugzeugflügel. Künstler-Kollegen rufen Quint Buchholz an, weil sie Bilder von ihm zu sehen glauben.
    Der Skandal ist da. Quint Buchholz bewertet ihn so:
    "Das zentrale Moment ist nicht, dass er sich irgendwie von mir inspirieren lässt. Das tut jeder - kein Maler wäre ohne die Kunstgeschichte und ohne Tausende von Kollegen, die was entdeckt haben und ausprobiert haben, da, wo er heute ist. Kein Künstler. Das baut immer aufeinander auf. Aber das Interessante ist ja: Gehst du ein Stück weiter? Machst du das, was du aufnimmst, zu deinem Eigenen, gibst du was dazu? Und entsteht daraus etwas Neues, das du nicht verwechseln kannst mit dem, woraus du dich bedient hast?"
    Tatsächlich sehen sich die Bilder zum Verwechseln ähnlich, jedenfalls auf den ersten Blick. Quint Buchholz' Verlag, der Hanser Verlag, lässt auf Plagiat prüfen – justitiabel wird der Vorgang nicht. Die Münchner Illustratorin Rotraut Susanne Berner protestiert bei der Association of Illustrators. Die Jury räumt Ähnlichkeiten ein, eine Kopie könne sie allerdings nicht erkennen. Sie bleibt bei ihrer Preisentscheidung. "Ein internationaler Preis als Belohnung für Diebstahl", wie Rotraut Susanne Berner schlussfolgert? Jungho Lees Sicht der Dinge geht so:
    "The pictures in my book 'Promenade' have been conceived as a person who loves books long before I know Quint Buchholz's works. The 'Book' is one of several categories of topics I've been thinking about since a long time ago. I am longing for the inner scenery that can only be reached when I am absorbed through listening to music, watching a movie, reading or imagination, and I have often taken those images to my work. 'Promenade' is also part of that. And this book is an ode to the book that has allowed us to grow our spiritual world over countless years."
    Da spricht ein Illustrator, der Einblick geben will in den Entstehungsprozess seiner Bilder. Einer, der für sich in Anspruch nimmt, künstlerisch zu arbeiten.
    Und so muss sie wieder geführt werden, die Debatte über Kunst und Originalität, gerade angesichts der Tendenz des Sich-Bedienens in der gegenwärtigen Kunst, in der collagiert, gesampelt, zitiert, remaked wird.
    Es muss nachgedacht werden über den Umgang mit kollektiven Bildvorräten einerseits und mit einer stetig steigenden Flut neuer Bilder andererseits, die heute alle jedermann überall zugänglich sind. Und vor allem muss nachgedacht werden über die Grenze zwischen Inspiration und Imitation, zwischen Zitat und Plagiat.
    Von Letzterem spricht man übrigens erst, wenn einer seine Bilder mit dem bewussten Ziel, zu täuschen, anfertigt. Das Problem: Was Naivität, was Kalkül, was Zufall, was Absicht ist, lässt sich im Nachhinein kaum auseinander dividieren und noch schwerer beurteilen.
    Nachahmung zur Hommage umdefiniert
    Nachahmung zur Hommage umzudefinieren, war aber jedenfalls noch nie und ist auch jetzt kein plausibler Ansatz. Aber einmal mehr bestätigt sich: Es gibt keinen Schutz vor der Übernahme von Ideen. Allerdings machen Ideen allein noch keine Kunst.
    Und vielleicht ist das ja die eigentliche Frage, die sich in diesem Fall stellt: Was Kunst ist? Eine Definition soll mehr Klarheit bringen. Die Kunsthistorikerin Birgit Löffler, die als Erste über Illustration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts promoviert hat, sagt:
    "Wenn ich den Anspruch an Kunst stelle, dass sie etwas Eigenes mitbringt - darüber hinaus, dass ich das Motiv leicht verändere -, sondern dass ich wirklich etwas Eigenes in die Bildende Kunst hineintrage, dass ich etwas schaffe, was auch bei der zweiten Betrachtung noch Neues, Ansprechendes freigeben kann aus dem Werk, wenn ich auch meinen eigenen Ansprüchen gerecht werde, dann sind drei wesentliche Kriterien für Kunst erfüllt."
    Anspruch auf Kunst und der Anspruch an die Kunst als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen beschreibt Quint Buchholz so:
    "Das zentrale Wort ist ja immer die Haltung. Das ist für mich wichtiger als Technik und schlaue Gedanken und als alles Mögliche. Die Frage, auf die es wirklich ankommt, und das sieht man eben in Bildern oder in Kunstwerken, ist, mit welcher Haltung ist jemand unterwegs. Und wie viel ringt er und wie sehr geht er in die Tiefe. Ich habe ja an dieser Art, in Bildern was Bestimmtes zu erzählen - an der hab ich ja sehr lange gearbeitet. Und jetzt kommt einer einfach daher und zieht sich diesen Mantel an, an dem jemand anders ganz lang genäht und gewebt hat und ihn ausprobiert hat und ihn verdreckt hat und ihn geflickt hat und alles, was dazu gehört, und er nimmt ihn sich einfach und tut so, als könnte er das."
    Jungho Lee bewertet sein Vorgehen so:
    "I just want to continue and develop my work steadily like many great artists including Quint Buchholz."
    Birgit Löffler stellt klar:
    "Kunst ist das sicher nicht."
    Keine Kunst also, aber was dann? Was spielt mit in diesem Fall, der viel aussagt über den Stand der Illustration als angewandte Kunst innerhalb der Kunst und über das Kunstsystems insgesamt? Pavin Nasimi, die Bildredakteurin des "Spiegel", die Jungho Lees Illustrationen ausgesucht hat, findet die ganze Debatte und besonders den Vorwurf des Plagiats "aus tiefster Überzeugung absurd".
    Abweisen der Vorwürfe
    Bilder würden heute an so vielen Orten im Internet gezeigt, da sei es nicht leistbar, jedes Einzelne auf seine Herkunft zu überprüfen. Ihr haben die Illustrationen von Jungho Lee einfach gefallen. Der World Illustration Award war zusätzliche Expertise. Quint Buchholz' Bilder hat sie vorher nicht gekannt.
    Der Moses Verlag, bei dem "Promenade" im August erscheinen wird, wiederum erklärt, er sei lediglich Lizenznehmer, und beruft sich ebenfalls auf den Preis. Und auf den "Spiegel". Immerhin habe dieses "relevante deutsche Medium" Auszüge aus dem Buch veröffentlicht. In seiner Verlagsvorschau wirbt er sogar mit Quint Buchholz als Referenz.
    Zu einem Interview steht der Verlag nicht zur Verfügung. Aber in einer Stellungnahme heißt es:
    "Gegenseitige Inspiration ist in der Kunstgeschichte nichts Neues, sondern vielmehr die Regel, sei es motivisch, technisch oder kompositorisch (...) Wir habe uns in die Arbeiten des jungen koreanischen Künstlers verliebt und haben das Buch daher – obwohl es vollkommen singulär in unserem Programm steht – bei uns publiziert."
    Einer schiebt's dem anderen in die Schuhe. Verantwortlich ist wie so oft keiner. Aber Sollbruchstellen lassen sich benennen: Da ist ein Künstler, der sich bedient, und zwar nicht "motivisch, technisch oder kompositorisch", sondern "und".
    Da ist eine Jury, die sich mit ihrer Preisentscheidung selbst disqualifiziert. Und da ist der deutschsprachige Verlag, der sich bei seiner Programmgestaltung lieber von Gefühlen leiten lässt als von Kriterien. Dass Liebe blind macht, bekommt in diesem Kontext jedenfalls einen ganz neuen Bedeutungszuwachs.
    Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Jungho Lee antwortet:
    "It is difficult to say about this because no definite direction has been set. Anyway, I am preparing my second picture book right now."
    Von Quint Buchholz wird im Herbst ein Liederbuch im Hanser Verlag erscheinen. Darin findet sich auch das Bild, vielmehr der Schattenriss eines übergroßen Mannes, der vor dem Abendhimmel Geige spielt. Sein Mantel reicht bis auf den Boden – und vielleicht ist es ja dieser lang getragene, vielfach geflickte Mantel der Buchholzschen Kunst. Ob man das so sehen will, liegt im Auge des Betrachters. So wie auch die Bilder von Jungho Lee.
    Buchholz Bilder sind keine Wohlfühl-Schmusebilder
    Die zeigen eine schöne heile Welt in freundlichem Design. Wasser ist sternenüberzuckert, Leitern ragen in den Himmel, weiß-wolkig betupft. Selten kommen so etwas wie Gewitterwolken auf, dafür entschwebt hinten rechts ein roter Luftballon. Hier dräut nichts. Hier wird nichts in Zweifel gezogen. Alles ist Dekoration. Ist Bestätigung einer unhinterfragten Schönheit. Es sind Wohlfühl-Schmusebilder im Kontext des Sujets Buch. Eine zweite Ebene gibt es nicht.
    Das macht den Unterschied zum Werk von Quint Buchholz:
    "Ich glaube, dass auch in meinen allerschönsten Bildern, die oft auch sehr ästhetisch oder sogar harmonisch wirken, man weiß, dass das Leben brüchig ist. Und dass es immer auch eine andere Ebene gibt. Meine Schönheit erzählt auch immer von der Verwundbarkeit von Schönheit oder von der Abwesenheit von Schönheit in anderen Zusammenhängen. Meine Schönheit behauptet nicht, die Welt wäre schöner als sie ist, sondern meine Schönheit erzählt vielleicht von den Möglichkeiten, wie schön wir die Welt auch machen könnten. Und trotzdem wissen wir und, glaube ich, spüren auch in den Bildern, dass ich das andere nicht verschweige und das auch weiß."
    "Ich glaube", sagt Quint Buchholz. Und vielleicht kommt genau das dem schwer greifbaren eigenen Anteil am nächsten. Man kann es Haltung nennen. Oder Kunst. Die einen werden davon berührt, die anderen nicht - aber zwischen den Polen Etwas-zu-erzählen-Haben und einem involvierten Betrachten, zwischen den Polen Entstehen und Erkennen liegt vielleicht der Zwischenraum der Kunst und der Freiraum für die Kunst.
    Nachmachen kann das so schnell keiner.