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Kevin Phillips. Die amerikanische Geldaristokratie

Die USA sind die führende Wirtschaftsmacht in der Welt, in den Händen einiger ihrer Bürger ist zudem ein unglaublicher Reichtum akkumuliert. Reich zu werden, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen, ist ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlichen wie individuellen Strebens in den Vereinigten Staaten. Da kann die Armut einzelner Bevölkerungsgruppen, die Ungerechtigkeit noch so krass sein: die Ideologie von der Chancengleichheit aller hält sich hartnäckig. Doch wie ist die amerikanische Geldaristokratie entstanden? Das Buch von Kevin Phillips zeichnet die politische Geschichte des Reichtums in den USA nach. Barbara Eisenmann hat es gelesen:

Von Barbara Eisenmann | 15.03.2004
    Der US-amerikanische Publizist und politische Kommentator Kevin Phillips, der als eine der einflussreichen Stimmen in den Vereinigten Staaten gilt, hat ein gewichtiges Buch vorgelegt: gut 470 klein gedruckte Seiten, eine politische Geschichte des Reichtums und - damit zusammenhängend - der Ungleichheit in seinem Land. Der Autor schlägt darin einen ziemlich weiten und höchst interessanten Bogen: Er analysiert nicht nur die Zusammenhänge von Reichtum und Politik von der Zeit der britischen Kolonien bis heute, sondern er spannt die Geschichte von Amerikas Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht in einen international vergleichenden historischen Kontext. Er nimmt Aufstieg und Niedergang einst führender Wirtschaftsimperien - Spanien, die Niederlande und Großbritannien – mit in den Blick und kann seinen Hypothesen zur Zukunft der Supermacht USA, die er deutlich bereits in ihrer Spätphase sieht, so größeres rhetorisches Gewicht verleihen. Der historische Vergleich, der aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive nicht ganz hieb- und stichfest sein mag, ist jedoch ermutigend, denn er macht auch deutlich, dass Phänomene wie die Globalisierung und die Finanzialisierung der Wirtschaft Vorläufer in der Geschichte haben und immer bloß vorübergehende Erscheinungen waren.

    In der Geschichte der Vereinigten Staaten sieht Phillips von Anbeginn an einen Dualismus walten: schon in der Frühzeit der Republik am Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich die Gründerväter in zwei Lager gespalten. Der erste Finanzminister der USA, Alexander Hamilton und sein Programm der Förderung reicher Eliten galt Thomas Jefferson als Verrat am revolutionären Ideal einer egalitären, agrarisch geprägten Gesellschaft. Eines der wiederkehrenden Muster zeigt sich bereits hier, dass nämlich die Voraussetzung für die Bildung von Reichtum in der Nähe zur Regierungsmacht zu suchen ist. Kriege und ihre Finanzierung sollten dabei immer wieder eine wichtige Rolle spielen.

    In den Städten und auf den Plantagen nahm die Kluft zwischen reich und arm nach dem Unabhängigkeitskrieg stetig zu, und schon Mitte des 19. Jahrhunderts standen die größten amerikanischen Vermögen den europäischen in nichts mehr nach. Vor allem nach dem Bürgerkrieg setzte sich dann die Wirtschaftsphilosophie des vermeintlichen Laisser-faire hemmungslos durch und die Polarisierung wuchs. Das von Mark Twain so genannte Gilded Age, das Vergoldete Zeitalter, war vor allem durch den Bau der Eisenbahn und das Geschäft mit Kohle und Stahl geprägt. Doch die boomenden Eisenbahnunternehmen hatten durch die Staatenregierungen in Form von Landschenkungen und Subventionen erhebliche Förderung erfahren. Das Credo vom freien Markt und seiner selbstregulativen Kraft, die Adam Smith´sche Theorie der invisible hand, der unsichtbaren Hand des Markts, die schon dafür sorgen würde, dass Eigennutz sich in Gemeinwohl verwandele, sie straft Phillips Geschichte immer wieder Lügen

    Man mochte die Märkte verehren oder den Reden über Laisser-faire applaudieren, aber nur die Regierung konnte die Gesetze ändern. ... Nach dem Bürgerkrieg kam es nicht auf Grund von Laisser-faire zum Wachstum der Unternehmen und zum Aufschwung, sondern in beträchtlichem Maße deshalb, weil die Eisenbahnen und andere Giganten groß genug waren, um die Legislativen der Bundesstaaten systematisch zu übernehmen und zu dominieren; damit brachten sie gleichzeitig den US-Senat und einen Großteil der Bundes- und Staatsgerichte unter ihre Kontrolle.

    Auch im 19. Jahrhundert hat es den Widerstreit der zwei Lager gegeben. Auf der einen Seite die egalitär-demokratischen Kleinproduzenten, auf der anderen Seite die neue Gruppe der Unternehmer und Spekulanten. Und es gab auch immer wieder Versuche, gegen die Marktapologeten politisch Stellung zu beziehen. So in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts, durch die Farmer, wenn auch mit wenig Erfolg. Sie waren die Verlierer der Industrialisierung. Dann gab es weiteren Widerspruch in der Zeit der progressiven Reformbewegung vor dem 1. Weltkrieg, als man wieder an die Tradition von Thomas Jefferson anzuknüpfen versuchte. Doch sollte es erst Franklin D. Roosevelt, nach den kapitalistisch entfesselten 20er Jahren und der an der Wall Street ausgelösten Weltwirtschaftskrise von 1929 mit seinem Reformprogramm des New Deal gelingen, die erste wirkliche politische Neuordnung des großen Reichtums seit dem Bürgerkrieg vorzunehmen. Der damals eingeführte Einkommensspitzensteuersatz für Einzelpersonen von 91 Prozent hatte übrigens noch lange nach dem 2. Weltkrieg Bestand. Nach ökonomisch relativ ausgewogenen Jahrzehnten mit einer breiten Wohlstandsentwicklung bis in die früher 70er Jahre hinein, einem Zyklus, den Phillips die "Great Compression" nennt, haben sich die politischen Verhältnisse dann wieder umgekehrt und dem Laisser-faire erneut Tor und Tür geöffnet. Vom neoliberalen Umbau ist längst überall auf der Welt die Rede, und selbst vielen kritischen Kommentatoren und Politikern scheint diese Entwicklung inzwischen unausweichlich. Dass es sich dabei jedoch weder um Schicksal noch um ein Naturgesetz handelt, zeigt Kevin Phillips Blick in die Geschichte.

    In den letzten Kapiteln seines Buches nimmt er gezielt die Frage des Volkszorns und des Widerstands gegen ökonomisch aus den Fugen geratene, extrem polarisierte Gesellschaften in den Blick. Die Entwicklung früherer Weltwirtschaftsmächte zeige, dass immer dann, wenn die Eliten ihr Vermögen nur mehr an der Börse zu vermehren trachteten, bloß im Ausland investierten und die einheimische Produktion aus den Augen verloren hatten, das Ende meist schon nah gewesen sei. In Phillips zyklisch konzipierter Geschichtsdarstellung zeigt sich aber auch, dass es in den USA immer wieder einen Regimewechsel gegeben hat. Auf Phasen der "unsichtbaren Hand", in denen der Primat des ungezügelten Markts und der Privatinteressen herrschte, folgten Phasen, in denen der Staat zugunsten des Gemeinwohls und sozialer Gerechtigkeitsvorstellungen intervenierte. Derartige Umbrüche traten zumeist in Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs auf. Zeichen einer Kehrtwende hat Phillips schon in den letzten Präsidentschaftswahlen ausgemacht, doch der 11. September und der große Krieg gegen den Terror hätten die Wahrnehmungsdispositive der Amerikaner erst einmal verschoben.

    Ob für die im November anstehenden Wahlen genug Zorn gegen die ökonomische Elite, die gerade einmal wieder selber im Kabinett mit am Tisch sitzt, verfügbar ist und vor allen Dingen, ob er artikulierbar gemacht werden kann, wird sich erst noch zeigen. Ganz wesentlich ist dabei aus Phillips Sicht, klar zu machen, dass Demokratie und Kapitalismus nicht dasselbe sind, sondern dass, ganz im Gegenteil, das weltweit wachsende demokratische Defizit und der Aufschwung der Märkte zusammengehören.

    Ob die Amerikaner des 21. Jahrhunderts die Politik wiederbeleben, die Plutokratie matt setzen und die Theorie des Marktes auf die Wirtschaft beschränken können, hängt davon ab, wie erfolgreich sich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Demokratie und Kapitalismus wieder ins Bewusstsein rücken lässt. Es geht darum, Märkte wieder als Anhängsel und nicht als entscheidende Kriterien für Demokratie und repräsentative Regierung zu sehen.

    In einem Interview mit Kevin Phillips anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs in den USA im Jahr 2002 hieß es, dass dieses umfangreiche, mit statistischen Tabellen versehene Buch wohl weniger gelesen würde, dafür aber sicher eine Menge kontroversen Gesprächsstoff liefern dürfte. Nun, diskutiert haben es vor allem die Liberalen, die, die Phillips Sorgen um sein Land, das in der Hand einer kleinen Clique von Superreichen ist, ohnehin teilen. Ob es ihnen gelingen wird, die Wut gegen die herrschenden Plutokraten zu mobilisieren und Themen wie Demokratiedefizit, Armut und Ungleichheit auf die Wahlagenda zu hieven, darauf darf man gespannt sein.

    Barbara Eisenmann war das über Kevin Phillips’: Die amerikanische Geldaristokratie. Die politische Geschichte des Reichtums in den USA. Das im Campus Verlag erschienene Buch hat 476 Seiten und kostet 29.90 Euro.