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Konkurrenz und Koexistenz
Warum nicht jede ökologische Nische besetzt ist

Leben mehrere Arten in einem gemeinsamen Lebensraum, werden theoretisch alle verfügbaren Ressourcen gleichmäßig genutzt. In der Realität bleiben aber viele sogenannte ökologische Nischen unbesetzt. Warum, das haben jetzt englische Wissenschaftler herausgefunden.

Von Magdalena Schmude | 19.09.2017
    Rothirsche auf einer Waldwiese im Rauhreif, aufgenommmen im Erzgebirge
    Jede Tierart besetzt ökologische Nische - überlappen sich die Nischen, entsteht Konkurrenz zwischen den Arten (imago / Blickwinkel / S. Meyers)
    Die ökologische Nische, die eine Tierart besetzt, wird anhand der Kombination der verschiedenen Ressourcen beschrieben, die diese Spezies nutzt. Welche Samen eine bestimmte Vogelart frisst zum Beispiel und ob sie ihre Nester hoch oben in den Bäumen baut oder die unteren Äste bevorzugt. Wenn zwei Arten die gleichen Ressourcen nutzen, sich ihre ökologischen Nischen also überlappen, entsteht Konkurrenz, die letztlich eine der Arten zwingt, in eine andere Nische auszuweichen.
    Viele ökologische Nischen bleiben unbesestzt
    Ben Ashby ist Mathematiker an der University of Bath und interessiert sich dafür, wie diese Konkurrenz die Verteilung der Arten in einem Lebensraum bestimmt.
    "Die Theorie besagt, dass durch diese Konkurrenz alle verfügbaren Nischen besetzt sein müssten, aber das stimmt häufig nicht mit der tatsächlichen Situation überein. In der Realität bleiben viele Nischen unbesetzt. Wir wollten verstehen, warum das so ist und wie verschiedene Verteilungsmuster von Arten entstehen."
    Ben Ashby fiel auf, dass viele Studien, die die Besetzung von Nischen untersuchen, sich auf eine einzelne Ressource konzentrieren, um die Konkurrenz zwischen zwei Spezies zu beschreiben. Wenn zwei Vogelarten die gleichen Samen fressen und eine der Arten deshalb auf andere Samen ausweicht zum Beispiel. Ben Ashby und seine Kollegen haben dieses Modell jetzt erweitert.
    Nicht genug Platz für Arten in einem Lebensraum?
    "Wenn die entsprechende Ressource austauschbar ist, also zum Beispiel kleine Samen durch größere Samen oder helle durch dunkle ersetzt werden können, dann verteilen sich die Arten nach einem regelmäßigen Muster und es passen eine ganze Menge davon in einen Lebensraum.
    Aber wenn die Ressourcen nicht austauschbar und dadurch begrenzt sind, wie zum Beispiel die Plätze für den Nestbau, dann ist Platz für deutlich weniger Arten in einem Lebensraum."
    Es reicht nicht aus, nur eine Ressource zu betrachten
    Ben Ashby nahm außerdem an, dass es nicht ausreicht, nur eine Ressource zu betrachten, um die eine Art mit anderen konkurriert. Denn berücksichtigt man alle nicht-austauschbaren Ressourcen, die eine Tierart mit der Besetzung einer Nische beansprucht – und die damit für andere Tiere nicht mehr zur Verfügung stehen – dann ist deutlich weniger Koexistenz möglich.
    "In der Realität bedeutet das, dass viele potentielle Nischen unbesetzt bleiben. Und die, die besetzt werden, sind auch in ähnlichen Lebensräumen nicht automatisch die gleichen. Das hängt auch vom Zufall ab. So können zum Beispiel auf einer Insel zwei Vogelarten leben, von denen eine kleine Samen frisst und ihre Nester unten in den Bäumen baut, während die andere große Samen bevorzugt und in den Baumwipfeln nistet. Und auf einer zweiten Insel kann es genau umgekehrt sein. Es kann dort also eine Vogelart geben, die große Samen frisst und auf niedrigen Ästen nistet und eine zweite, die von kleinen Samen und in den Baumwipfeln lebt."
    Notwendigkeit, verschieden zu sein
    Ähnliches hat auch Sunetra Gupta beobachtet, Co-Autorin der Studie, die an der University of Oxford die Evolution von Krankheitserregern untersucht.
    "Es ist ein grundsätzliches Prinzip, das gleichzeitig auch bedeutet, dass man, um koexistieren zu können, in möglichst allen Bedürfnissen verschieden sein muss. Wenn man Lebensräume nach diesem Prinzip betrachtet, heißt das aber nicht nur, dass viele Nischen unbesetzt bleiben, sondern auch, dass Ökosysteme im Grunde sehr robust gegenüber neu hinzukommenden Arten sind. Denn diese invasive Art muss ertsmal alle anderen Arten verdrängen, mit denen sie um nicht-austauschbare Ressourcen konkurriert. Die Kehrseite ist, dass man, um den Artenreichtum in einem Lebensraum zu vergrößern, nicht nur eine zusätzliche Ressource zur Verfügung stellen muss, also zum Beispiel Bäume pflanzen, die noch größere Samen haben. Sondern auch dafür sorgen müsste, dass es Nistplätze in einer Höhe gibt, die nicht ebenfalls von einer der heimischen Vogelarten genutzt werden."