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Lawrence Weiner: Gefragt und Gesagt

Lawrence Weiner ist ein bildender Künstler, dessen Material die Sprache ist. Seine schriftlichen Werkdefinitionen hat er unter anderem auch in Büchern zusammengefasst, häufiger jedoch sind sie auf Ausstellungen oder im Außenraum gezeigt worden. Sie kommen auch auf von ihm gestalteten Plakaten und in seinen Filmen und Tonaufnahmen vor.

Von Joachim Büthe | 02.05.2005
    So ist auf sprachlicher Grundlage ein vielgestaltiges Werk entstanden, das er wiederum kommentierend begleitet hat, besonders mündlich. Die Interviews überwiegen in seinen "Schriften und Interviews", die nun in einem Backstein von Buch gesammelt vorliegend. Die Keimzelle dieser umfangreichen Textsammlung besteht aus wenigen Sätzen. Es ist seine Absichtserklärung, die er variiert, aber bis heute nicht substanziell verändert hat.

    "1. Der Künstler kann die Arbeit herstellen.
    2. Die Arbeit kann angefertigt werden.
    3. Die Arbeit braucht nicht ausgeführt werden."

    Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers, die Entscheidung über die Ausführung liegt beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs.

    Das klingt nach einer Entmaterialisierung des traditionellen Werkes, eine Idee, ein Konzept reicht aus, und Lawrence Weiner wird als führender Vertreter der Konzeptkunst gehandelt. Er selbst hat dieser Zuordnung widersprochen, nicht zuletzt, weil er solchen Klassifizierungen grundsätzlich misstraut. Es geht ihm auch nicht um Entmaterialisierung, sondern um eine noch zentralere Komponente des Werkbegriffs. Wir sind es gewohnt, Kunstwerke als Manifestierung sehr spezifischer, individueller Entscheidungen zu betrachten. Genau das lehnt Weiner ab, und deshalb arbeitet er mit Sprache.

    "Ich glaube, dass Sprache viel genauer ist. Wenn sie "Rot" sagen und ich "Rot" sage, ist es ausgeschlossen, dass wir beide dasselbe Rot sehen. Es ist eine optische Unmöglichkeit. Aber wir wissen, wovon wir sprechen... Wenn jemand ein Bild malt, in dem es um Rot geht, sagt er damit: Mein Rot ist besser als deines – und darum ist es bessere Kunst!"

    Sprache ist genauer, weil sie allgemeiner sein muss und sich nicht um die Details kümmern kann. So geht es häufig zu beim Dialektiker Weiner und zumeist bleibt es im Rahmen seiner Zwecksetzungen plausibel. Er will den Rezipienten nicht festlegen. Das kann dieser, wenn er will, selbst tun. Weiner benutzt Schrift, weil er keine Vorschriften machen will.

    "Künstler sind nur eine von vielen Berufsgruppen in einem soziologischen System, und wenn ich der Überzeugung wäre, dass ihre politischen und gesellschaftlichen Ansichten oder Bedürfnisse über oder unter denen anderer Berufsgruppen stünden, sollte ich meine Tätigkeit beenden. "

    Weiner, der sich weiterhin als einen amerikanischen Sozialisten bezeichnet, ist in den Inhalten seiner sprachlichen Werkdefinitionen nicht politisch, denn das wäre nicht nur eine Vorschrift, sondern einfach fehl am Platz. Obwohl sie nicht unbedingt materiell vorhanden sein müssen, geht es in Weiners Arbeiten immer um konkrete Gegenstände und ihre Beziehungen zueinander. So ist es in der Kunst immer gewesen. Doch in der Radikalität seines Ansatzes zielt er über die Kunstgeschichte hinaus und auf die gesamte Kultur, die verändert werden soll. Kunst, so Weiner, wird aus Zorn gemacht.

    "Kunst (per se) ist die physische Präsentation der wechselseitigen Beziehungen von Gegenständen (Material) zu Gegenständen in Beziehung zu Menschen.
    Die daraus entstehende empirische Realität (Kunst) fügt sich ohne offensichtliche Funktion oder Platz in die Konfiguration ein."
    "Der Punkt, an dem die Konfiguration versucht, diese Realität entweder abzulehnen oder zu akzeptieren, ist der Moment, in dem die Kunst ihre Rolle spielt.
    Eins nach zwei nach drei nach der Tatsache."

    Zu dem soeben verklungenen unvollständigen Satz wird man die drei Realisierungsebenen der Absichtserklärung hinzudenken müssen. Sie haben sich in der Zwischenzeit ausgeweitet zu einem Konzept dreier gleichberechtigt existierender multipler Realitäten. Lawrence Weiners Schriften bewegen sich in der Dialektik von Simplizität und Komplexität. Er selbst ist von der kulturellen Konfiguration akzeptiert worden. Anders als im richtigen Leben wird Radikalität in der Kunst belohnt. Als Bestandteil des internationalen Ausstellungsbetriebs hat er seine Arbeiten immer öfter ausführen müssen und in seinen Präsentationsformen nun doch eine Handschrift entwickelt. Und in einer seiner musikalischen Kollaborationen wird die Absichtserklärung Bestandteil eines Songtextes. Das ist vielleicht eine Selbstbeschädigung des Revolutionärs, mit Sicherheit ist es ein Rettungsversuch.

    "Ja aber wenn man von einem Revolutionär, der nur für das kämpft, an das er glaubt, zum Soldaten wird, kann man sich eigentlich nicht mehr als Revolutionär betrachten, oder? Und dann kann es auch gleich mit einem gewissen Aplomb machen. Warum muss etwas, wenn es von seinem Sockel geholt worden ist, danach weniger wichtig sein, als es vorher war?"

    Gefragt und Gesagt. Schriften und Interviews
    Von Lawrence Weiner
    (Hajte & Cantz Verlag)