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Leben in der DDR
Angst ist der Kitt der Diktatur

Der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn hat 25 Jahre nach dem Mauerfall ein sehr persönliches Buch vorgelegt - über Duckmäuserei und Rebellion, über sein Engagement in der Opposition und seinen Rausschmiss aus der DDR. Das Buch heißt "Wir Angepassten - Überleben in der DDR".

Von Silke Nauschütz | 06.10.2014
    Roland Jahn, Bundesbeauftragter der Stasi-Unterlagenbehörde
    Roland Jahn (Deutschlandradio Kultur / Petra Bock)
    Am 8. Juni 1983 kam Roland Jahn in der Bundesrepublik an, von der Staatssicherheit in einen Zug nach Bayern gestopft, wie ein Lump rausgeschmissen aus der DDR, in der er fast 30 Jahre gelebt hatte. "Erstmals junger Deutscher mit Gewalt aus der Heimat gebracht", titelte die West-Berliner Tageszeitung B.Z. Jahn war im Westen, zurück blieben Heimat, die Freunde und seine Familie.
    "Solange ich in Westberlin war, war ich zwar scheinbar in Freiheit, aber es war nur eine halbe Freiheit, weil ich immer auch die Stimme meiner Mutter am Telefon im Ohr hatte, wie sie weinte und sagte, man hat uns unseren Sohn genommen. Das heißt: Solange diese Mauer stand, war die Freiheit im Westen nur eine halbe Freiheit."
    Jahn erkannte früh, dass es zwei Wahrheiten gab
    Die ganze Freiheit empfand Roland Jahn noch als Kind, im geliebten Thüringen, seiner Heimat. Unbeschwert war er und als Pionier doch schon im Gleichschritt. Das Halstuch trug er fröhlich, wie er schreibt, die Lieder sang er mit, ohne den Sinn der Texte zu verstehen, die meist die SED und den Staat hochleben ließen. Für eine gerechtere Welt wollte er sich einsetzen, das Kind Roland empfand das Sammeln von Spenden für die Kriegsgebeutelten in Vietnam nicht als ideologische Bearbeitung. Seine Eltern versuchten, ihn zum unpolitischen Menschen zu erziehen, der Sohn sollte nicht aufbegehren, sich raushalten, unauffällig sein. Doch Roland Jahn sah schon früh, dass es zwei Wahrheiten gab. Die, die aus dem Westfernsehen in das Wohnzimmer seiner Eltern flimmerte und die, die im Alltag mit FDJ-Hemd abverlangt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren es die kleinen Dinge, gegen die Jahn und seine Freunde sich als Jugendliche auflehnten, zum Beispiel, dass sie ihre Haare nicht lang tragen durften.
    "Wenn ich mich nach all den Jahren heute an diese Episode erinnere, kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie absurd das Ganze war. Da kämpften wir für das Recht auf lange Haare, und ich fand den Anblick der Grenze nicht weiter erwähnenswert. Nicht mal einen Moment des Zorns oder einen Gedanken des Protests gegen die Mauer habe ich damals empfunden."
    Roland Jahn schwieg öffentlich
    Roland Jahn blieb in den Begrenzungen, den vorgeschriebenen Bahnen. Absolvierte das Abitur, diente pflichtgemäß in der Armee, da war er längst in die "Alltäglichkeiten des Verstellens" hineingeraten, wie es Jahn heute nennt. Sich anpassen und widersprechen, mitlaufen und ausscheren, für Jahn war es immer beides. Seinen kritischen Geist nahm er mit zum Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena. Zum Unmut der Eltern, die einen ideologisch verlässlichen Sohn wollten. Als die ersten Freunde wegen öffentlicher Kritik am SED-Regime exmatrikuliert wurden, schwieg der Kommilitone Roland Jahn öffentlich und legte dem betroffenen Freund später lediglich die Hand auf die Schulter. Heute fragt sich Jahn, warum er beim Rektor nicht Protest eingelegt hat.
    "»Anpassung« ist die Haltung, die für mich den Alltag unter den Bedingungen einer Diktatur stark geprägt hat. Es ist ein vielschichtiges Verhalten, stetig gefangen in einer Dynamik zwischen der Abwägung der Kosten oder dem Nutzen des Anpassens und der Kosten oder dem Nutzen des Widersprechens. Die Kosten für den Widerspruch - sie waren beträchtlich. Für einen selbst und für die Menschen, die einem viel bedeuteten. Aus dem Dilemma kam niemand sauber raus. Wie sollte man sich da entscheiden?"
    Transportarbeiter mit Abitur
    Knapp ein Jahr später war es der Student Roland Jahn, der exmatrikuliert wurde. Er hatte in einer Diskussion öffentlich die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann kritisiert. Seine Seminargruppe stimmte, bis auf einen, für seinen Rausschmiss aus der Universität. Da wusste er noch nicht, dass die Staatssicherheit vorher seine Mitstudenten unter Druck gesetzt hatte, gegen ihn zu stimmen. Jahn wurde Transportarbeiter mit Abitur. "Angst ist der Kitt der Diktatur", resümiert er in seinen Aufzeichnungen. Gegen die Angst tat er sich mit Gleichgesinnten zusammen, den Lebensmut wollten sie sich nicht nehmen lassen und zeigen, dass auch alles ohne Staat funktionierte. Der DDR-Staat schlug zurück, überarbeitete das Strafgesetzbuch, Paragrafen wurden verschärft, normale Verhaltensweisen kriminalisiert. Viele saßen daraufhin, vom Rest der Gesellschaft unbemerkt, im Gefängnis. Jahn nennt es einen "großen, blinden Fleck im kollektiven Gedächtnis" Die Frage "Bleiben oder gehen?" fiel immer öfter. Möglicherweise nie zurückkehren können? Roland Jahn hatte Frau und Kind. Er blieb, glaubte, noch etwas bewegen zu können. Sich Gegebenheiten anpassen, das kleine Glück bewahren. Der Tod eines engen Freundes in der Stasi- Untersuchungshaft in Gera änderte aber alles. Für ihn hieß es ab da: Keine Kompromisse mehr. Die Auflehnung war stärker als die Angst - bis er selbst im Gefängnis landete und aus dem Land geworfen wurde. Viele Jahre später, Jahn arbeitete inzwischen als Journalist, hatte er eine unerwartete Begegnung.
    "Wenn man dann unterwegs ist als Journalist und seinen eigenen Stasi-Vernehmer trifft, dann hat man diese Genugtuung und sagt; jetzt stell' ich die Fragen, jetzt kann er mich hier nicht mehr drangsalieren in der Vernehmung, sondern ich stelle die Fragen und er darf frei antworten, er darf aber auch wieder gehen. Die Rollen sind umgekehrt, nur auf einer demokratischen Grundlage. Das war natürlich so ein Moment, wenn der Stasi-Vernehmer sagt: Jetzt wollen sie wohl Rache und ich sage, leicht lächelnd nur: Nein, Gerechtigkeit."
    Wie Anpassungsmechanismen funktionieren
    Roland Jahn hat ein Buch geschrieben gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen und gegen das Schweigen ohne moralische Abrechnung. Er beschreibt, wie die Anpassungsmechanismen auch bei ihm funktionierten. Und er will sagen: Niemand war nur Angepasster oder nur Rebell. Es gibt diese Schubladen Täter, Opfer, Mitläufer nicht, denn dahinter stecken immer Biografien, die man erzählen, zu denen man sich bekennen sollte. Roland Jahn will sein Buch als eine Einladung zum Erzählen verstanden wissen. Und er wünscht sich...
    "...dass die Menschen sich zu ihrer Biografie bekennen, dass sie offen legen, wie sie sich verhalten haben damals und Verantwortung übernehmen, wenn die Karten auf dem Tisch liegen, auch von den Tätern, dann können wir eine differenzierte Aufarbeitung leisten."
    "Wir Angepassten. Überleben in der DDR"
    Piper-Verlag, 192 Seiten, 19,99.