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Libyen
Versuch einer staatlichen Neuordnung

Hisham al Awindi zählt zu den Revolutionären der ersten Stunde. Er hatte im August 2011 gemeinsam mit anderen Rebelleneinheiten die Hauptstadt erobert. Heute arbeitet Al Awindi als Dozent an der Universität Tripolis und begleitet aktiv den politischen Prozess in Libyen.

Von Peter Steffe | 22.02.2014
    Hisham al Awindi zählt zu den Revolutionären der ersten Stunde. Der heute 26 Jährige hatte im August 2011 gemeinsam mit anderen Rebelleneinheiten, die Hauptstadt Tripolis erobert. Als einer der Ersten stand er damals in den Privaträumen des gestürzten Machthabers Gaddafi und erbeutete dessen Militärmütze, Goldkette und Zepter. Die Bilder des jungen Mannes, wie er mit Gaddafis Insignien der Macht im völlig zerstörten Militärcompound steht gingen um die Welt. Heute arbeitet Al Awindi als Dozent an der Universität Tripolis und begleitet aktiv den politischen Prozess in Libyen….
    Al Awindi hat gemeinsam mit anderen politischen Aktivisten in den vergangenen Wochen landesweite Massendemonstrationen gegen den libyschen Nationalkongress und die Übergangsregierung organisiert. War Talkgast in zahlreichen Fernseh- und Radiosendungen und seine Meinung ist gefragt. "Wir befinden uns an einem kritischen Punkt in der Übergangsphase von einer Diktatur hin zu Demokratie", sagt er. Die Wahl der Verfassungskommission zum jetzigen Zeitpunkt war richtig. Der 26 Jährige macht jedoch eine Einschränkung:
    "Ich weiß nicht, wer in dem Verfassungsgremium künftig sitzen wird. Ich hoffe allerdings, dass es Leute sind, die die Stimmung der Straße repräsentieren, wenn sie das Grundgesetz formulieren."
    Mit der "Stimmung der Straße" meint Al Awindi die riesige Unzufriedenheit vieler Libyer mit den derzeit politisch Verantwortlichen. Speziell mit den 200 Abgeordneten des Übergangsparlaments:
    "Im Nationalkongress wurde einfach beschlossen, die Legislaturperiode um 11 Monate zu verlängern, ohne Legitimation der Wähler. Keines ihrer formulierten Ziele wurde erreicht. Viel Zeit wurde verplempert. Klar, dass die Libyer sauer sind, weil sich nichts verändert hat. Die Leute wollen Taten sehen."
    Probleme mit der Sicherheit
    Es wurde viel versprochen, aber nichts davon umgesetzt, so der allgemeine Tenor vieler Bürger, die in den vergangenen Wochen ihren Protest auf die Straße getragen haben:
    "Wir haben ein großes Problem mit der inneren Sicherheit, sie ist quasi nicht vorhanden, wir haben viele Entführungen. Schon bei der ersten Wahl vor zwei Jahren drängten politische und religiöse Parteien sowie Stammesvertreter an die Macht, wollten nur regieren, nichts anderes, das geht nicht."
    "Wir haben ihnen 18 Monate Zeit gegeben, nichts haben sie umgesetzt. Und dann verlängern sie einfach so ihr Mandat im Nationalkongress. Auch die Übergangsregierung hatte ihre Chance. Wo sind beispielsweise die 86 Milliarden Dollar hingekommen, die im Staatshaushalt eingestellt waren? Was ist mit dem Bildungssystem und dem Aufbau der Infrastruktur?"
    Stattdessen Grabenkämpfe zwischen der Mehrheit der Islamisten im Übergangsparlament und der von Premierminister Zeidan geführten Übergangsregierung. Gleich 5 Kabinettsmitglieder, die dem Lager der Muslimbruderschaft zugerechnet werden, verließen in den vergangenen Wochen die Regierung. Wollten so Premier Zeidan zu stürzen. Der Regierungschef, inzwischen ein Meister des Taktierens, verkündete eine Regierungsumbildung bei gleichzeitiger Reduzierung der Ministerien. Ließ damit die Islamisten vorläufig ins Leere laufen. Schon seit Monaten blockiert im Osten des Landes eine den Föderalisten in der Hafenstadt Benghazi nahestehende Miliz Ölquellen und Verladeterminals. Der wirtschaftliche Schaden: bislang mehr als 15 Milliarden US Dollar. Erst vor einigen Tagen hatte der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates Sulaiman Hash in einem ARD-Interview erklärt:
    "Wir haben durchaus die Möglichkeit, die Ölfelder aus den Händen der Jedran-Miliz zu befreien. Gleichzeitig befürchten wir aber eine Aufspaltung des Landes durch die Föderalisten, das wollen wir vermeiden. Wir haben zwar im Verteidigungsministerium über eine mögliche Militäraktion gesprochen, um die Kontrolle über die Ölfelder wieder zu bekommen. Wir wollen es aber erst im Dialog versuchen. Wenn das nicht funktioniert, dann werden wir wohl Gewalt einsetzen müssen."
    Chaos und Terror in weiten Teilen des Landes
    Im Osten und Süden Libyens agieren ungehindert von staatlichen Sicherheitskräften islamistische Extremisten und Al Khaida nahestehende Gruppen, verbreiten Chaos und Terror. Der Handel und Schmuggel mit Waffen aus ehemaligen Depots von Langzeitherrscher Gaddafi floriert. Und auch einige Milizen, die gegen das alte Regime gekämpft haben, melden immer wieder ihren Machtanspruch an. Wie in den Tagen vor der Wahl der Verfassungskommission, als versucht wurde, Regierung und Parlament zu stürzen, bis UN-Vertreter vermittelnd eingriffen.
    Noch ist unklar, welche Vertreter aus den drei historischen Regionen Libyens, der Cyraneica im Osten, Fezzan im Süden und Tripolitanien im Westen, in das Verfassungsgremium gewählt wurden. Klar ist die Aufgabenstellung der 60 köpfigen Kommission. Erarbeiten eines Verfassungsentwurfs, in dem unter anderem die Strukturen der künftigen Regierung festgeschrieben, der Status von Minderheiten wie beispielsweise der Berber und Tabu verankert und geklärt wird, in welcher Form künftig das islamische Recht, die Scharia, Anwendung finden soll. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Gremium unter gewaltigem Zeitdruck steht. Gelingt es nicht, bis Mitte Mai den Grundgesetzentwurf vorzulegen, wird das Verfassungsgremium ebenso aufgelöst wie dann auch das Übergangsparlament und die Übergangsregierung. Mit unabsehbaren Folgen für den weiteren politischen Prozess Libyens.