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Literatur, Ökologie und Ethik

Künstler und Schriftsteller sind oft die ersten, die sich mit neuen gesellschaftlichen Strömungen und Konflikten auseinandersetzen. Mit der Einmischung von Literatur in den öffentlichen Diskurs befasste sich eine Tagung an der Universität Augsburg.

Von Cajo Kutzbach | 10.03.2011
    Kann man mit Hilfe der Ökologie oder der Ethik die Erforschung von Literatur voran treiben? Man überschreitet dabei zweifellos die Fachgrenzen, aber man kann tatsächlich einen neuen Zugang zu Texten bekommen. Christina Caupert, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Amerikanistik an der Universität Augsburg, hat die 1905 von Edith Wharton veröffentlichte gesellschaftskritische Novelle "The House of Mirth", zu deutsch etwa "Haus der Fröhlichkeit" so betrachtet, in der eine junge Frau an der Oberflächlichkeit und den Konventionen der amerikanischen Gesellschaft um 1900 zerbricht. Christina Caupert fand darin bereits erstaunliche Ähnlichkeiten mit der heutigen Gesellschaft:

    "Ein wichtiger Aspekt ist eben tatsächlich die sogenannte "Comodifizierung" zusammenhängend mit dem Aspekt Konsum-Orientiertheit; eben die Idee Alles letztlich als Ware zu betrachten und nach seinem Nutzwert einzustufen.
    Was mir was nützt, was mir was bringt, wovon ich profitieren kann, ist gut, halte ich für einen Wert. Wenn es das nicht tut, ist es kein Wert, muss ich mich auch nicht drum scheren, kann es eben wegwerfen, zerstören, vernachlässigen."

    Was 1905 vielleicht nur als Hedonismus oder Materialismus kritisiert werden konnte, bekommt durch unser heutiges Wissen über Ökologie und die historische Entwicklung eine zusätzliche Schärfe, denn verantwortungsloser Egoismus führt zwangsläufig zur Zerstörung der Erde.

    Dass die Literaturwissenschaft durchaus profitiert, wenn sie über das Fachgebiet hinaus blickt, bestätigt auch Dieter Schulz, emeritierter Professor der Universität Heidelberg, der sich vorwiegend mit amerikanischer Literatur befasst. Er wunderte sich, weshalb der uralte Begriff vom "Buch der Natur" nicht mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften verschwand:

    "Francis Bacon, der so als einer der Gründer der modernen Naturwissenschaften gilt, verwendet ihn mehrfach, greift diese christliche Vorstellung auf von den zwei Büchern, in denen Gott sich geoffenbart, der Bibel offensichtlich und dann dem "Buch der Natur". Wobei er meint, das Buch der Natur habe einen großen Vorteil, in sofern als es nicht durch den Sündenfall ruiniert worden sei, man also einen direkteren Zugang zum Willen Gottes habe über das Studium der Natur, als über das Studium der Bibel."

    Man könnte sagen, die Bibel steht für Ethik, das "Buch der Natur" für Ökologie. Auch Darwin sah das ähnlich. Aber weil der Begriff zum Klischee verkam, weiß man bei manchen Autoren nicht genau, was sie damit eigentlich meinen.

    Und dann geschah etwas Seltsames: Die Naturwissenschaften ersetzten den individuellen Leser durch eine Fiktion:

    "De facto ist es ja so, dass spätestens im 19. Jahrhundert sich ein Objektivitätsideal durchsetzt, dass die Natur als etwas dem "ich" gegenüber Gestelltes, auch eigentlich etwas Fremdes erfasst und versucht den Betrachter so weit wie möglich auszuschalten. Also durch Experimente und so weiter soll sicher gestellt werden, dass die Erkenntnisse der Naturwissenschaften von jedem Anderen genau so nachvollzogen werden können. Also eigentlich wird der Beobachter dann standardisiert, wenn nicht eliminiert."

    Die Naturwissenschaft versuchte also den Betrachtenden, den Beobachter völlig vom Experiment, der Untersuchung zu trennen. Spätestens seit Schrödinger sein Gedankenexperiment von der Katze, die zugleich tot und lebendig ist, vorstellte, weiß man, dass es Experimente gibt, bei denen das Beobachten das Ergebnis verändert.

    Dieter Schulz weist darauf hin, dass auch das Lesen ein Vorgang ist, bei dem etwas zwischen Text und Leser geschieht:

    "Dem gegenüber scheint es mir wichtig zu sein einen Aspekt dieser "Natur-gleich-Buch" Metapher im Auge zu behalten, zu reaktivieren, dass der Betrachter eben nicht ausgeschaltet werden kann, so wie der Leser beim Lesen des Buches ja auch nicht ausgeschaltet werden kann, sondern ganz im Gegenteil: Das Buch wird überhaupt erst Realität im Bewusstsein, in der Fantasie des Lesers. Das hat ja in der Literaturwissenschaft vor allem diese Rezeptionsästhetik sehr stark betont, dass in 'nem Buch Leerstellen sind, die unsere Fantasie ausfüllt. Sodass also das Lesen der Natur - wenn man den Begriff wirklich ernst nimmt als Lesen - eben den Leser mit seiner Subjektivität, aber auch seiner Verantwortung gegenüber dem, was er da tut, wieder voll zur Geltung bringt."

    Viele neuere Bücher (und die auf ihnen basierenden Filme) handeln von Katastrophen. Vermutlich spiegelt das die erschreckende Erkenntnis, dass der Mensch eben doch nicht fähig ist, die Welt nach seinen Wünschen zu gestalten, wie man noch vor fünfzig Jahren glaubte.

    Silvia Mayer, Professorin für Amerikanistik an der Universität Bayreuth hat sich mit dem Thema Risiko in modernen amerikanischen Romanen befasst. Dabei stieß sie auf drei Risiken, mit denen sich schon der Risikoforscher Ulrich Beck beschäftigt hatte:

    "Worauf ich mich stark gestützt habe ist Ulrich Becks Modell der Weltrisiko-Gesellschaft. Und Beck definiert Typen von Risiken, die sehr spezifisch und auch neu sind in unserer Zeit, die er Reflexive Moderne nennt. Dazu gehören dann eben globale Risiken, und Risiken, die auf Entwicklungen der Moderne und auf Entwicklungen von Modernisierungsprozessen reagieren. Also die drei Beispiele, die ich heraus gesucht habe, die eben auch in meinen Romanen eine Rolle spielen, sind die Risiken globaler Umweltbedrohungen, der globale Terrorismus, oder auch die globale Finanzwirtschaft."

    Zwar war das Leben schon immer lebensgefährlich, aber diese Risiken sind neu und sie haben einen hohen Gruselfaktor, denn weder Terroristen noch die Vielen, die unsere Umwelt gefährden, oder die Finanzjongleure in irgend welchen Glaspalästen haben ein Gesicht, ja man kennt oft nicht mal ihren Aufenthaltsort.

    Andererseits können sie das Leben jedes Einzelnen verändern. Der Einzelne fühlt sich anonymen Mächten ausgeliefert und die Helden der besprochenen Geschichten versuchen allein, oder in einer kleinen Gruppe die Welt zu retten. Und was gäbe es Bedrohlicheres als einen Weltuntergang?

    So einen Ansatz könnte ein Bestsellerautor gezielt einsetzen, um eine hohe Auflage zu erzielen. Silvia Mayer hatte nicht den Eindruck, dass das bei den vier besprochenen Autoren eine Rolle spielte:

    "Ich würde auch gar keinen Unterscheid machen zwischen Bestsellerautor und Autor, der mit kleineren Auflagen operieren muss. Ja ich würde, glaube ich, wirklich die eigene Beschäftigung und dadurch auch eine Intention der Autoren voraussetzen, die sich einfach sehr bewusst mit den gesellschaftlichen, politischen auch ökonomischen Zuständen, Umständen, in denen sie leben, auseinander setzen."

    Es handelt sich also oft um Mischungen aus Roman, Streitschrift, und wissenschaftlicher oder sozialer Fiktion. Silvia Mayer:

    "Michael Crichton hat wirklich einen politischen Zweck im Sinne gehabt. Er hat sich sehr intensiv mit der Materie auseinander gesetzt, hat dann für sich die Schlussfolgerung gezogen, dass die wissenschaftlichen Belege für die globale Erderwärmung, oder für den Klimawandel nicht vorliegen und hat dann wahrscheinlich tatsächlich nach einem bestimmten Muster, nach Schema F seinen Roman verfasst.
    Dazu muss man auch sagen: Der Roman hat große Wellen geschlagen bis hin, dass er thematisiert wurde in einer Sitzung des Senats des amerikanischen Kongresses."

    Literatur mischt sich also eindeutig in gesellschaftliche Debatten ein. Deshalb lohnt es auch ihre ethischen und ökologischen Aspekte zu untersuchen. Wenn das dann zusätzlich auch noch neue Erkenntnisse über die Werke liefert, um so besser.