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Liturgie als Garant des Heiligen

Glaube ist für Martin Mosebach durchaus gelebter Glaube - eine Lebensform, die ein kollektives rituelles Kraftfeld braucht, um Selbstverständlichkeit zu beweisen. Da mag mancher noch zustimmen. Was aber skeptisch stimmt, ist, wie blind sich der Autor gegenüber den kulturellen Einflüsterungen der klassischen Liturgie zeigt.

Von Werner Köhne | 23.05.2007
    Erfahrungen eines Ministranten aus den späten 50er Jahren. Die Mysterien psalmischen Gemurmels: confiteror deo omnipotenti.. Dazu Opferung, Wandlung, Kommunion, das ite missa est - jene Rituale der Verhüllungen und Enthüllungen während einer Messe, die den Morgen beginnen ließ wie die träge Verlängerung eines Traums. All dies ist in lymbischen Hirnwindungen hängen geblieben, auch wenn der Zahn der Zeit an den dahintersteckenden Überzeugungen fraß.

    Martin Mosebach vermisst diese Kindheitsmuster aus katholischem Milieu, was sich verstehen lässt. Zuweilen gibt er Kunde davon, wie jemand, der durch ein wogendes Kornfeld streift und den die Abendglocke daran erinnert, das Leben eine Struktur hat, die man nicht selbst erzeugen muss. Manchmal gerät Mosebach ins Erzählen, und dann ist es schön ihm zuzuhören. Aber natürlich will Martin Mosebach mehr: Seit Papst Paul VI. die klassische Liturgie abschaffte und damit eine nach seine Meinung verheerende Entwicklung einleitete, sieht er sich und wenige Getreue in der Defensive.

    "Wer am klassischen römischen Ritus festhält, wer trotz der erdrückenden Tatsachen an der Verehrung und am Schutz des heiligen Raums festhalten will, der muss wissen, dass er das ohne die mindeste Berechtigung zur Hoffnung, sei es politisch historisch oder soziologisch begründet, tut. Wer dem eintausendfünfhundertjährigen Meß- und Opferritus treu bleibt, schwebt im luftleeren Raum. Dieser Ritus ist von der Hierarchie , die zu seinem Schutz erschaffen worden ist, verlassen. Den Priestern, die in Treue zur Liturgie den Ungehorsam wagen, drohen Bannflüche. All dies ist nicht nur Ergebnis menschlicher Schuld, es ist auch Ausdruck einer kulturellen Entwicklung des Westens, die den modernen irreligiösen, rationalistischen metaphysisch blinden Menschen hervorgebracht hat."

    Man fragt sich, wie dieses Zivilisationslamento auf den konkreten Anlass herunterzubrechen ist, auf das man versteht, was den Autor so erzürnt. Martin Mosebach liefert in seinen Essays, Reden und Prosastücken, die in diesem Band vereinigt sind, viele Argumente, um seine These von der "Häresie der Formlosigkeit" zu befeuern. Entscheidend ist ihm die Unterscheidung zwischen Profanem und Heiligem, ein nicht unbedingt neues Kriterium, um eine Kultur zu qualifizieren. Verwundern mag eher, dass bei ihm die katholische Liturgie der Messe zum einzigen Garanten des Heiligen auserkoren wird, ein unverrückbares Ritual also - und nicht die mystische Versenkung, der Kierkegaardsche Sprung in den Glauben oder eine Bataillesche erotische Vision.

    "Der erste Schritt ist, das Heilige zu sehen und heilig zu halten, im Alltag den Raum und die Zeit für das Heilige abzustecken, das Heilige vom Profanen abzusondern. Das ist das Gebot, das wir befolgen, wenn wir in der großen alten Liturgie dem Auferstehungstag, dem Sonntag das uns von Christus geschenkte Opfer feiern."

    Wir sind mitten in einer kulturphilosophischen und zugleich kirchenpolitischen Auseinandersetzung. Das Mysterium des Christentum: die Fleischwerdung, die Selbstopferung und die Auferstehung von Gottes Sohn, nimmt nach Meinung Mosebachs nur die alte Liturgie so ernst wie es notwendig ist. Sie hat dazu einen Ritus ersonnen, von dem kein Teil genommen werden darf, sonst steht man in jener säkularisierten Welt der Freigeister, lächelnden Soziologen und 68ern, denen der Autor seine alttestamentarische Verachtung entgegenschleudert.

    Glaube ist für Mosebach durchaus gelebter Glaube - eine Lebensform, die ein kollektives rituelles Kraftfeld braucht, um jene Selbstverständlichkeit zu beweisen, die uns seit Luthers subjektiver Verinnerlichung des Glaubens abhanden zu kommen droht. Da mag mancher noch zustimmen.

    Was aber skeptisch stimmt, ist, wie blind sich der Autor gegenüber den kulturellen Einflüsterungen der klassischen Liturgie zeigt. Er betrachtet sie als gefrorene Form von Religion überhaupt, obwohl doch die Urchristen sie nicht kannten und erst das ideologisch hochgetrimmte Mittelalter sie zum Dogma erhob. Aber man muss gar nicht so weit zurückgehen, um der Forderung auf unbedingte Beharrung zu widersprechen. Denn was einst - vielleicht sogar noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts - in einem kulturellen Erzählzusammenhang verbunden schien, eine oftmals bäuerlich geprägte Lebenswelt einerseits und ein Ritus andererseits, das ist heute um Welten voneinander getrennt: die verhüllte Monstranz, das lateinische Gemurmel, die Abgrenzung der Gemeinde vom Altargeschehen, ja selbst der gregorianische Chor: Sie stehen allenfalls für Schimären verlorener und vielleicht auch verlogener Sehnsucht; fügen sich ein in eine Wertediskussion, die irgendwo zwischen Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit geführt wird, in Wirklichkeit aber eine gesellschaftliche Wirklichkeit verschleiert, die heute ganz andere Zusammenhänge zwischen Werte und Lebensformen schmiedet.

    Das mag für Martin Mosebach nach dem alten Muff von '68 riechen. Aber an einem Punkt könnte er ins Grübeln kommen: Immer wieder kommt er auf Anlässe zu sprechen, bei denen die Wirksamkeit der katholischen Liturgie beschworen wird. So wohnt er einer Feier bei in einer verschmutzten Kapelle in der Nähe von Neapel, folgt den spröden Riten zweier Benediktiner und findet dort, was er in den großen Kathedralen vermisst: eine aus Natur, Handlungen und Gesten wachsende Frömmigkeit. Man könnte dabei stehen bleiben und wehmütig anderer Bilder gedenken aus den 50er Jahren. Aber das hieße auch, sich auf diese Zeiterfahrung zu beschränken und nicht wie er polemisch daraus herauszuspringen, um es einigen Feinden, und dazu noch den falschen, zu geben. Die Kolonialisierung der Lebenswelten war nicht das Verdienst fortschrittlicher Priester und Soziologen. Das Reden von Wesen der Religion, dem Kultus, dem Heiligen, dem Geheimnis wird in dem Augenblick zum gestelzten Geraune, wo es in ein Zivilisationslamento mündet, dem sich auch der global player anschließen kann, der in Klausur bei den Benediktinern geht mit Apfelwein, Stundengebet und gregorianischen Gesängen, um daraufhin umso ungehemmter der "Formlosigkeit" der Finanzströme zuzuarbeiten.


    Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und Ihr Feind
    Hanser Verlag
    249 Seiten, 21,50 Euro