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Maler des Glücks?

Pierre Bonnard war das Kind wohlhabender Eltern. Er tat sich leicht in der Schule, er studierte etwas Solides - Jura -, besuchte aber auch die Kunstakademie, wurde erstmal ein vielbeschäftigter Illustrator, bevor er auf ausgedehnte inspirierende Reisen ging - ein Schoßkind des Glücks. Aber hinter freundlichen Erscheinungsformen muss der analysierende Blick Abgründe wenigstens suchen. Das Städtische Museum für moderne Kunst Paris versucht einen anderen Bonnard zu zeigen.

Von Björn Stüben | 03.02.2006
    "Derjenige der singt ist nicht immer glücklich" notiert der 1867 bei Paris geborene Maler Pierre Bonnard als 76jähriger im Januar 1944 in sein Tagebuch. Als er drei Jahre später stirbt, attestiert ihm hingegen die Nachkriegsgeneration von Kunstkritikern, er sei der "Maler des Glücks" schlechthin gewesen. Seine Werke zeigten es doch deutlich. Immer wieder entsteige auf seinen Bildern Ehefrau und Lieblingsmodell Marthe in leuchtende Farbtupfer getaucht Badewannen oder posiere nackt neben einem rosa Kanapee in der Morgensonne. Weit geöffnet auf eine üppig wuchernde Natur strömten die auf Leinwand gemalten Esszimmer und Atelierräume im normannischen Vernon oder im südfranzösischen Le Cannet, wo die Familie Bonnard Häuser besitzt, Harmonie aus. Picasso sieht im "Glücksmaler" Bonnard nichts weiter als einen dekadenten Neoimpressionisten, dessen Malerei für die Entwicklung der Kunst keine "Morgenröte", sondern vielmehr "Dämmerung" dargestellt habe. Das städtische Museum für moderne Kunst in Paris eröffnet jetzt nach zweijährigen Renovierungsarbeiten mit einer Pierre Bonnard gewidmeten, knapp 90 Werke umfassenden Retrospektive, die auch das Klischee vom "Maler des Glücks" endgültig widerlegen soll.

    Bonnard, der sich nach abgeschlossenem Jurastudium zunächst an der Akademie Julien in Paris einschreibt, lernt dort die Maler Maurice Denis und Paul Sérusier kennen und gründet mit ihnen die Künstlergruppe der Nabis. Das Werk "Mann und Frau" aus dem Jahre 1900, das dem Ausstellungseingang gegenüber gehängt als Blickfang fungiert, zeigt Marthe nackt auf einem zerwühlten Bett kauernd mit einer Katze spielend und Pierre Bonnard ebenfalls nackt im Halbschatten am rechten Bildrand stehend. Zwischen den beiden Figuren teilt ein dunkler Paravent die Komposition formal in zwei Hälften. Der Eindruck eines glücklichen Liebespaares will sich beim Betrachter durchaus nicht einstellen. Bonnard thematisiert unmissverständlich die Barriere zwischen den Geschlechtern. Doch derart symbolisch aufgeladene Bilder findet der Besucher in der Ausstellung nur selten. Die großformatigen Dekorationen mit mythologischen Szenen, die Bonnard für das Esszimmer der glamourösen Pariser Kunstsammlerin Misia Sert gestaltet, zeigen ungewöhnlich düstere Farben und wirken formal plump. Die Frühlings- und Herbstdarstellungen auf den riesigen Wandbildern für die Villa des Moskauer Mäzens Morosov hingegen leuchten. Der weitere Ausstellungsverlauf orientiert sich an Bonnards offenkundiger Besessenheit, immer wieder dieselben Themen in unterschiedlichen Varianten darzustellen: Frauenakte in der Badewanne oder bei der Morgentoilette, Stillleben, Esszimmer, Terrassen und Landschaften.
    Auf vier Bildern, entstanden zwischen 1925 und 1945, streckt sich Marthe in einer mit Wasser angefüllten Badewanne aus. Es ist immer die gleiche junge Marthe von knapp fünfundzwanzig Jahren, wie er sie 1893 erstmals malt. Bonnards Kritiker witzeln über diesen Frauenkörper, der sich, einem Stück Seife gleich, allmählich auflösen müsse oder über die Badewanne, die wie ein Sarkophag erscheine. Doch Bonnard geht es nicht um die Darstellung von Realität, denn er malt nie direkt vor dem Objekt, wie etwa der von ihm bewunderte Monet, sondern stets aus der Erinnerung und auch dann gilt ihm der Bildgegenstand wohl nur als Vorwand. 1935 notiert er: "Der Hauptgegenstand [ist für mich] die Oberfläche mit ihre Farbe und ihren Gesetzen losgelöst von den Objekten." Bonnard verlässt in seinen Badewannenbildern die räumliche Darstellung. Vorder- und Hintergrund verschmelzen in kräftigen Farben auf einer Fläche, der Bildleinwand. Ganz im Sinne der Nabis-Gruppe und ihres Vorbilds Gauguin soll der Künstler diese Farben anordnen und nicht hiermit versuchen, Realität abzubilden.

    Bonnard treibt dabei seine Malerei bis an den Rand der Abstraktion. So ist die ausschnitthafte, wie zufällig gewählte Ansicht seines von zitronengelben Mimosen überquellenden Gartens in Le Cannet, die er Anfang der 1940er Jahre malt, erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen. Entstanden ist ein beinahe abstraktes Bild, gemalt jedoch mit der Farbenpalette und dem Pinselstrich eines Neoimpressionisten. Eine Reihe von Selbstportraits revidiert endgültig das Klischee vom "peintre du bonheur", dem "Maler des Glücks". Mal gebeugt mit eingefallenen Wangen oder als Brustbild sich nackt und kahlköpfig aus dunklen Augenhöhlen im Spiegel betrachtend portraitiert sich Bonnard als ein äußerst trauriger Zeitgenosse. Bonnard wusste also nicht nur Glücksmomente, sondern auch seelische Abgründe abzubilden und gleichzeitig seine Malerei formal weiterzuentwickeln wie es die grandiose Pariser Retrospektive deutlich zeigt. Dass Matisse Bonnard sehr geschätzt hat, verwundert daher kaum. Doch warum Picasso Bonnard zur bedeutungslosen Randfigur der Kunstgeschichte abgestempelt hat, muss ein Rätsel bleiben.