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"Man hat sogar die Tür vernagelt"

Es war die historisch bedeutendste Kultureinrichtung in Bosnien-Herzegowina, 124 Jahre alt: Jetzt wurde das Landesmuseum geschlossen. Es fehlt an Geldmitteln, berichtet Kulturredakteur Martin Sander - und das liegt auch an einer weit zurückliegenden politischen Entwicklung.

Das Gespräch führte Doris Schäfer-Noske | 07.10.2012
    Doris Schäfer-Noske: Wenn die öffentlichen Kassen leer sind, dann wird oft an der Kultur gespart. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Frankreich, wo die neue Regierung viele Projekte gestrichen hat, wie das geplante Fotografie-Museum in Paris oder das prähistorische Zentrum von Lascaux. In Sarajevo musste jetzt allerdings eine Institution schließen, die seit 124 Jahren bestanden hatte. Das Landesmuseum von Bosnien-Herzegowina, 1888 gegründet, hatte sogar während der beiden Weltkriege und der jahrelangen Belagerung Sarajevos während des Bosnien-Krieges in den 1990er-Jahren nie seine Pforten ganz geschlossen. Doch nun fehlte das Geld. - Frage an meinen Kollegen Martin Sander: Herr Sander, was ist denn da genau passiert?

    Martin Sander: Am Donnerstag, am 4. Oktober, sind nun endgültig die Pforten des bosnisch-herzegowinischen Landesmuseums in Sarajevo geschlossen worden. Man hat sogar die Tür vernagelt und der Direktor des Museums hat offiziell die Obhut über das Museum der Polizei des Landes übergeben. Das Museum ist also bis auf Weiteres endgültig geschlossen, und zwar deshalb, weil seit über 13 Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt werden konnten. Aber das ist es nicht allein: Auch die laufenden Kosten konnten nicht übernommen werden. Es gab sogar gegenüber anderen Institutionen, Kulturinstitutionen in Sarajevo noch einen gewissen Vorteil des Landesmuseums: Man konnte Heizwärme umsonst abzwacken vom Parlamentsgebäude nebenan. Aber das hat eben auch nicht gereicht.

    Schäfer-Noske: Wofür steht denn das Landesmuseum von Bosnien-Herzegowina und welche Bedeutung hat es?

    Sander: Es ist nicht nur jetzt, sondern historisch die bedeutendste Kultureinrichtung des Landes, vor 124 Jahren gegründet, Sie haben es erwähnt, und zwar in der österreichischen Zeit. Es war eine ganz neue Konzeption, es gab damals noch kein solches Museum, ein Landesmuseum mit Handschriften, mit archäologischen Exponaten, auch mit einer großen Bibliothek, also ungeheuer wertvolle Bestände. International bekannt ist die sogenannte Sarajevo Haggadah, das ist eine Handschrift aus dem 14. Jahrhundert aus Spanien, die Juden, die aus Spanien vertrieben wurden, nach Bosnien mitgebracht haben. Es ist so etwas wie die kulturelle Identität dieses Landes.

    Schäfer-Noske: Welche Gründe gibt es denn jetzt für diese Misere?

    Sander: Die Gründe haben mit der Struktur dieses Landes zu tun. Dieses Land hat ja 1995 in Dayton eine Verfassung bekommen, die Bosnien-Herzegowina de facto in mehrere Teile gespalten hat: in eine kroatisch-bosniakische, also kroatisch-muslimische Föderation in Sarajevo und eine sehr eigenständige serbische Republik. Und für die gemeinsame Kulturpolitik hat man in Dayton gar nichts vorgesehen, da gab es keine Bestimmungen. Im Übrigen ist die Verfassung ja auch nie von den Bürgern bestätigt worden, sie ist also praktisch eine oktroyierte Verfassung. Viele Vertreter in der Föderation mit der Hauptstadt Sarajevo sagen, diese Institutionen wie das Landesmuseum sind gesamtstaatliche Institutionen und sie müssen auch von allen finanziert werden. Die politischen Vertreter der serbischen Republik sind ganz anderer Meinung. Sie sagen, es gibt keine Bestimmung in Dayton, dass es eine gemeinsame Kulturpolitik geben muss, wir machen unsere Kulturpolitik für die serbische Republik in Banja Luka – das ist die Hauptstadt dort – und ihr könnt hier in Sarajevo machen was ihr wollt, und da kommt man nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Deshalb vor allem sind nie Gelder geflossen, sondern immer nur Projektgelder, und im Grunde muss man sagen, dass dieser Streit um das Landesmuseum, aber auch um einige weitere solche Kultureinrichtungen in Sarajevo, auch das Literaturmuseum beispielsweise, übrigens auch die Nationalbibliothek, alle darben und in einer ganz schwierigen Situation sind, im Grunde genommen infolge von Dayton.

    Schäfer-Noske: Hat denn da irgendjemand auch kein Interesse daran, dass es so ein im Prinzip ja doch Nationalmuseum gibt?

    Sander: Vor allen Dingen die politischen Vertreter der serbischen Republik haben daran kein Interesse. Sie haben im Übrigen auch in den letzten Jahren schon Parallelinstitutionen gegründet. Es gibt dort genauso wie in Sarajevo eine Gemäldegalerie in Banja Luka und es gibt eben auch dort schon ein Landesmuseum. Man hat einfach ein Regionalmuseum zum Landesmuseum erklärt. Aber man muss auch sagen, es gibt auch einige Kritiker in Sarajevo, die sagen, ja, man hätte sich auch in Sarajevo selbst etwas mehr bemühen können. Man hat überhaupt nicht versucht, von sich aus etwa mal eine interessante Ausstellung zu organisieren, um auf diese Art und Weise das Museum am Leben zu halten.

    Schäfer-Noske: Wie soll es denn jetzt weitergehen, Herr Sander?

    Sander: Der Direktor des Museums hat jetzt den bosnischen Staat verklagt und es gibt auch eine starke politische Bewegung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, den Dayton-Vertrag zu annullieren und einen neuen gemeinsamen, eben auch in seinen Kompetenzen gemeinsamen Staat zu gründen, also eine neue Verfassung, eine Verfassungsänderung. Aber was dabei herauskommen wird, ist ungewiss, und in den nächsten Monaten wird ganz gewiss nichts passieren.

    Schäfer-Noske: Das Landesmuseum von Bosnien-Herzegowina ist geschlossen worden – nach 124 Jahren. Martin Sander berichtete.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.