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"Man merkte, es läuft ein Ausverkauf"

Die Treuhandanstalt sollte die "volkseigenen" Betriebe der DDR nach der Wende privatisieren: 1994, waren 4000 Betriebe geschlossen; rund zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. Die Treuhandanstalt macht Schulden. Der Dokumentarfilm "Goldrausch zeigt den Fördermittelmissbrauch und diverse Fälle von Wirtschaftskriminalität.

Von Hartwig Tegeler | 29.08.2012
    Der Mann aus dem Westen fährt im Film noch einmal zurück nach Halle, wo er 1990 bis ´92 Treuhanddirektor war. Er erinnert sich an die DDR-Wirtschaft damals. Klaus Klamroth:

    "Abgewirtschaftet und ziemlich verwahrlost."

    Vor allem aber erinnert sich Klaus Klamroth aber an einen Zustand, der für die einen den Untergang, die anderen aber so etwas wie einen ekstatischen Goldrausch bedeutete:

    "Vor uns waren schon die Banker da. Die waren als Allererste da. Die Autoverkäufer, die Berater, Rechtsanwälte noch und noch. Die waren alle schon da."

    Waren schon da, als die Treuhandanstalt ihre Arbeit aufnahm. Ursprünglich stammte die Idee zur "Treuhand" von der DDR-Opposition. Durch den Verkauf der Betriebe, erinnert Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Werner Schulz, sollte der Gewinn unter die Bürger verteilt werden. Werner Schulz:

    "Jeder hat einen Anteil an diesem Volkseigentum. Wir müssen in irgendeiner Weise uns eine Formel einfallen lassen, wie der Einzelne zu seinem kleinen Vermögen kommen kann."

    Eine Vorstellung, die sich im Nachhinein als illusorisch, vielleicht naiv erwies, was auch Werner Schulz bald feststellte. Werner Schulz:

    "Man merkte, es läuft ein Ausverkauf."

    Der 1991 ermordete Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder formulierte das so:

    "Hier wird, was die Treuhandanstalt und die Verfolgung kommerzieller Interessen angeht, nun aber auch wirklich jede Scham beiseitegelegt. Es ist ein bisschen wie im ´Wilden Westen´. Und manche Leute nehmen sich gegenüber der Treuhandanstalt Unverschämtheiten heraus, die in Westdeutschland schlichtweg unmöglich wären."

    Gier der Investoren, Unordnung, Chaos sowie das enorme Tempo, mit dem die Treuhand Firmen, Fabriken und Immobilien veräußerte und mitunter sogenannten Investoren in den Rachen warf: Auch Rohwedder verwendete damals das Bild vom 'Wilden Westen'. Goldrausch eben! Und was tat, was wollte die Politik? Wo war die Kontrollinstanz bei diesem größten wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozess in Deutschland nach 1945? Nicht vorhanden oder nicht effektiv. - Der Dokumentarfilm nimmt nicht die Perspektive der Verlierer ein, die anfänglich das Versprechen der "blühenden Landschaften" noch glauben mochten, sondern "Goldrausch" erzählt die Geschichte vor allem aus Sicht zweier ehemaliger Treuhanddirektoren aus der Innenperspektive der Macht. So wird der Film zu einer spannenden und komplexen Geschichtsstunde. So unterschiedlich die biografischen Hintergründe des "Wessis" Klaus Klamroth und des "Ossis" Detlef Scheunert dabei waren - Scheunert gilt als einer der wenigen Ex-DDR-Bürger, die eine Spitzenposition in der Treuhand einnahmen -, so ähnlich war das bitterböse Erwachen beider Treuhandmänner in der Realität dieser ´feindlichen´ Übernahme der am Boden liegenden Volkswirtschaft. Klamroth hatte am Anfang ein ordnungspolitisches Motiv:

    "Aber wir haben es gemacht, weil es gemacht werden musste."

    Doch dann meint er im Film selbstkritisch, dass die Verantwortung für die, die die "Abwicklungen" betrieben, viel zu groß gewesen sei und sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sein konnten. Und der Ostdeutsche Scheunert, zunächst begeistert über die Chance, den Kapitalismus von innen heraus zu lernen, geriet beim Job, Belegschaften auf die Straße zu setzen, in eine innere Zerreißprobe:

    "Ich habe natürlich dann entsetzt festgestellt, dass manche meiner Kollegen, Direktorenkollegen-West, sich diesem Druck entzogen hatten und hatten Fabriken, die einfach zugemacht gehörten, einfach weiter gepäppelt. Die hatten sich nur in bester politischer Manier West ausgekauft mit Steuergeldern aus dem Druck. Die haben es sich leichter gemacht. Und haben denn einem Investor das Geld verschenkt mit viel Geld. Und der ist dann drei Jahre später Pleite gegangen."

    In "Goldrausch" entsteht so ein verstörend-realistisches Bild der Treuhand, die als komplexes Gebilde erscheint, durchzogen allerdings von Willkür, Inkompetenz und Überforderung. Parlamentarische Kontrolle fand hier nicht statt, was gleichbedeutend war mit einer Einladung zu Korruption und Bereicherung.

    "Man hatte sehr viel Geld in der Hand. Man konnte es hierhin oder dahin schieben. Das wäre kaum aufgefallen."

    Erinnert sich Christoph Partsch, zwei Jahre lang Manager bei der Treuhand, in "Goldrausch". Und Detlef Scheunert erzählt, wie er während seiner Treuhand-Zeit im Wirtschaftsministerium in Bonn war. Er erinnert sich an einen Springbrunnen, der plätscherte, die Sonne schien, und man wäre nicht auf die Idee gekommen, meint er, dass da, wo er herkam, und dass da, wo er war - Westen, Bonn -, das gleiche Land war. Detlef Scheunert:

    "Ich habe gedacht, das ist ein anderer Planet. Das kann nicht wahr sein. Und dass diese Leute die politischen Rahmenbedingungen definierten, das war mir klar, dass das eher grotesk war. Die konnten das gar nicht verstehen."

    So bleibt am Ende des ziemlich aufrüttelnden Dokumentarfilms "Goldrausch" der Eindruck, dass der Prozess der Überführung der DDR- in die West-Wirtschaft zum politischen Desaster werden musste.