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Mehr Bildungschancen für Sinti und Roma
Programm "Vorbilder gesucht" fördert Teilhabe am Arbeitsleben

Die Hildegard-Langrenne-Stiftung ist die erste von Sinti und Roma gegründete Stiftung in Deutschland. Sie setzt sich für die Teilhabe und Inklusion im Bildungswesen ein. Helfen soll dabei das Programm "Vorbilder gesucht". Das Ziel: Sinti und Roma zu fördern, die in nicht-akademischen pädagogischen Berufen arbeiten möchten.

Von Elisabeth Gregull | 23.05.2017
    Blick in einen vollen Hörsaal.
    Mit Stipendien fördert die Hildegard-Langrenne-Stiftung die Ausbildung von Sinti und Roma in nicht-akademischen Berufen. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Aurel Dinu war in einer schwierigen Situation. Der junge Familienvater aus Rumänien lebte mit Frau und Kindern in Berlin auf der Straße. Da hörte er von der Hildegard-Lagrenne-Stiftung und nahm Kontakt auf. Ina Rosenthal, die das Stipendienprogramm der Stiftung entwickelt hat, erinnert sich:
    "Wir waren so beeindruckt von seiner Motivation, dass wir gesagt haben: Den nehmen wir jetzt auf."
    Die Stiftung fördert gezielt Sinti und Roma, die in nicht-akademischen pädagogischen Berufen arbeiten möchten. Mit dem Stipendium erhalten sie eine finanzielle Unterstützung, Begleitung durch Mentoren und Fortbildungen. Aurel Dinu machte einen Deutschkurs und ein Praktikum. Inzwischen arbeitet er auf Minijobbasis als Kulturvermittler für Roma-Kinder und -Familien im sozialpädagogischen Bereich. Sein Mentor Radomir Nikolic unterstützt ihn mit Rat und Kontakten. Der erfahrene Sozialarbeiter ist überzeugt:
    "Das Wichtigste ist, dass junge Menschen überhaupt die Chance bekommen."
    Die Stiftung bietet den Stipendiaten verschiedene Fortbildungen an. Heute informiert das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die kleine Runde diskutiert auch über Diskriminierung von Sinti und Roma an Schulen. Radomir Nikolic weiß, dass sie mit Vorurteilen und Beschimpfungen leben müssen:
    "Und das tut weh. Und dann sehe ich auch ein großes Problem, dass diese Kinder moralisch nicht mehr in der Lage sind, mitzumachen, mitzugehen, was Unterricht betrifft ..."
    "Es fehlen einfach Vorbilder"
    Die Hildegard-Lagrenne-Stiftung ist die erste Stiftung, die von Sinti und Roma selbst gegründet wurde. Sie setzt sich für mehr Teilhabe und Inklusion im Bildungsbereich ein. Das Stipendienprogramm steht unter dem Motto "Vorbilder gesucht". Projektleiterin Katrin Summa glaubt, dass Sinti und Roma in pädagogischen Berufen etwas verändern können: "Es fehlen einfach Vorbilder. Also sprich, eine Erzieherin, die selber diesen Hintergrund mitbringt, hat natürlich einen ganz anderen Zugang zu den Kindern. Kann da viel mehr einwirken, kann auch Mut machen."
    Das Programm öffnet Türen in Berufe wie den Erzieherberuf, Sprach- und Kulturvermittlung, Sozialassistenz oder pädagogische Weiterbildungen. Bisher gab es 13 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Für manche ist die Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse ein wichtiges Anliegen. Etwa für Eva Adam, die bereits als Sozialarbeiterin tätig ist. "Also ich habe in Ungarn studiert, soziale Arbeit, aber das ungarische und das deutsche Sozialrecht sind nicht gleich. Und deswegen muss ich das noch nachholen."
    Durch das Stipendium kann sie auf die staatliche Anerkennung ihres Bachelor-Abschlusses hinarbeiten. Doch sie schätzt das Programm noch aus einem anderen Grund: "Das ist nicht nur eine finanzielle Unterstützung, sondern auch seelisch und menschlich."
    Die Stipendiaten können sich mit allen Fragen an Projektleiterin Katrin Summa wenden. Sie sieht in der Vielfalt innerhalb der Gruppe eine besondere Stärke. Junge Menschen am Anfang ihres Berufslebens sind ebenso vertreten wie erfahrene, die sich beruflich umorientieren. Alteingesessene Familien ebenso wie neu eingewanderte. Alle tauschen sich bei regelmäßigen Treffen aus:
    "Und die Gruppe, finde ich, hat so ein Potenzial, dass jede teilnehmende Person einfach davon profitiert."
    Noch nicht alle Ziele erreicht
    Ein Ziel hat die Stiftung allerdings noch nicht erreicht: eine Person bei der Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher zu unterstützen. Bei Interessenten für den Beruf scheiterte es bislang an den nötigen Schulabschlüssen. Aber Ina Rosenthal sieht noch ein anderes Problem: "Die Leute, die erfolgreicher sind in ihren beruflichen Laufbahnen, die outen sich nicht gerne."
    Denn Sinti und Roma werden nach wie vor diskriminiert. Dem möchte die Stiftung mit ihren Projekten etwas entgegensetzen. Ina Rosenthal glaubt, dass das Stipendienprogramm letztlich allen Seiten zugute kommt:
    "Wir wollen eine Lücke schließen, die brachliegt. Und das ist nicht nur im Bereich Sinti und Roma, sondern allgemein eine Förderung von nicht akademischen Berufen, die gesellschaftlich aber dringend gebraucht werden."