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Mit Uniabschluss, aber ohne Job

Studieren ist in Portugal zurzeit nicht einfach. Das Land erlebt die schwerste Wirtschafts- und Finanzkrise seit über 30 Jahren. Die Einkommenskürzungen und steigende Arbeitslosigkeit betrifft auch die Akademiker in Portugal.

Von Tilo Wagner | 20.02.2012
    Als Tiago Peixoto vor über einem Jahrzehnt mit seinem Geschichtsstudium begann, war Portugal für viele Europäer noch der Musterschüler innerhalb der EU: Die Wirtschaft boomte, es herrschte Vollbeschäftigung, der Lebensstandard stieg kontinuierlich an. Doch der 33-Jährige hat am eigenen Leib den Niedergang seines Heimatlandes erfahren müssen: Tiago ist einer von fast 70.000 Akademikern, die in Portugal zurzeit arbeitslos sind – das ist fast ein Drittel mehr als noch im Vorjahr. Selbst seinen Job im Callcenter hat Tiago verloren, weil der Arbeitgeber ihm keine Festanstellung anbieten wollte. Die Zukunft sieht Tiago dementsprechend düster:

    "Viele aus meiner Generation haben nicht das nötige Geld, um aus dem Elternhaus auszuziehen und ein eigenes Leben aufzubauen. Wir können uns keine eigene Wohnung leisten, keine Kinder kriegen, keine Familie gründen. Das frustriert uns."

    Die Situation der jungen, arbeitslosen Akademiker wird in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Insbesondere Volks- und Betriebswirte, Psychologen und Bauingenieure finden nur schwer einen Job. Angesichts der düsteren Aussichten auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt sähen immer mehr portugiesische Studenten ihre beruflichen Chancen außerhalb Portugals, sagt Vanessa Mateus, Fachschaftsvorsitzende der Psychologiestudenten an der Universität Lissabon:

    "Die Frage, ob wir woandershin gehen sollen, um Arbeit zu finden, stellt sich heutzutage fast jeder Student in Portugal. Das ist ein ständiges Thema beim Mittagessen und wird natürlich durch die Austauschprogramme wie Erasmus gefördert. Denn die Studenten erfahren, wie die Arbeitsmarktsituation in anderen Ländern ist, und tauschen sich darüber aus."

    Viele Studenten glauben jedoch immer noch, dass ihnen ein Uniabschluss auch in Portugal mehr Chancen als Nachteile bringt. Teresa Pereira studiert Zahnhygiene in Lissabon. Für sie ist das Studium eine Absicherung gegen den sozialen Abstieg:

    "Wir studieren, damit uns nicht das passiert, was viele Portugiesen nun erleben. Sie müssen sich ihre Lebensmittel bei sozialen Einrichtungen abholen."

    Eine Reihe von soziologischen Studien zur Arbeitsmarktsituation in Portugal geben Teresa Pereira recht. Akademiker haben in Portugal weiterhin bessere Chancen, einen Job zu finden, sagt der Soziologieprofessor und Arbeitsmarktexperte António Dornelas:

    "Der Anteil arbeitsloser Portugiesen mit Uniabschluss ist wesentlich niedriger als die Arbeitslosenquote der Restbevölkerung. Akademiker finden in Portugal wesentlich schneller eine Erstanstellung oder einen neuen Job als die Bevölkerung mit niedrigeren Qualifikationen."

    Das allgemeine Bildungsniveau liegt in Portugal weit unter dem EU-Durchschnitt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Portugiesen mit Uniabschluss jedoch fast verdoppelt. Portugiesische Universitäten versuchen in der Krise Anreize zu schaffen, damit die Zahl der Studierenden nicht wieder rückläufig wird. Vanessa Mateus begrüßt diesen Schritt:

    "Die Universität Lissabon ist sehr sensibel gegenüber den finanziellen Problemen der Studenten. Wenn ein Elternteil eines Studenten arbeitslos wird, dann hat der Student Anrecht auf ein Stipendium von 1000 Euro. Damit kann er zumindest die Studiengebühren bezahlen."

    Die Studenten in Portugal bekommen den harten Sparkurs der Regierung trotzdem zu spüren. So wurde etwa der Rabatt des Studententickets für öffentliche Verkehrsmittel um die Hälfte gekürzt.