Der Sommer ist Geschichte.
Die Tage werden kürzer.
Die Tage, die wir noch zu leben haben, immer weniger.
Der Tod lauert überall
... ob im abgeschiedenen South Dakota, wo Städtchen wirklich "Deadwood" heißen
... oder im tiefen Sibirien in Bunkern, die im Dschugdschurischen Naturschutzgebiet liegen,
... oder in Baltimore, einer der tödlichsten Städte Amerikas
oder gar in Dortmund, einem Städtchen, das sich irgendwo zwischen Deadwood und dem
Dschugdschur befinden dürfte,
... überall wird gestorben.
Und überall werden die Geschichten vom Sterben erzählt
... von langhaarigen Westernhelden, die nie die Welt regieren werden
... von grandios scheiternden Polizisten, die nur versuchen ihren verdammten Job zu machen
… von französischen Staatspräsidenten, die sich ungern als Helden von Krimis wieder finden
Die Krimikolumne
wie immer nur echt mit unserem ausgezeichneten Rezensenten
verarschen kann ich mich selber - Grüße in den Äther!
Das Buch, das wir heute zuerst feiern wollen, ist kein Krimi und doch besser als die meisten Krimis. Spannungsgeladen ist es sowieso.
Es ist Vorbild einer Fernsehserie
Oje.
Aber nicht irgendeiner Fernsehserie, sondern der Besten Fernsehserie aller Zeiten und Welten.
Eine Fernsehserie, so gut, dass sie im deutschen Fernsehen nur versteckt auf irgendeinem unbekannten FOX-Channel lief.
Eine Fernsehserie, die - ungelogen - vom amerikanischen Time-Journalisten Joe Klein für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde.
Und sie hätte ihn verdient: The winner: The wire!
The Wire heißt eine amerikanische Krimi-Serie, die in den Jahren 2002 bis 2008 im amerikanischen Bezahlfernsehen lief. Der Produzent und Autor der Serie um eine Spezialabteilung im Morddezernat von Baltimore war der frühere Gerichtsreporter der Baltimore Sun, David Simon.
Die Serie hatte - bevor sie legendär wurde - sensationell gute Kritiken und ebensolch schlechte Einschaltquoten.
Beim Sender vermutete man, dass die Zuschauer der komplexen Handlung, in der es eine verwirrende Vielzahl von Protagonisten gab, die einen auch für Amerikaner schwer verständlichen Slang sprachen, einfach nicht folgen konnten.
Und was - verehrter Rezensent - hat das mit der Krimikolumne zu tun?
Im Verlag Kunstmann ist jetzt der literarische Vorläufer zu der Serie erschienen.
Mit einer verwirrenden Vielzahl von Protagonisten.
... und einer verwirrenden Vielzahl von Übersetzern: Gabriele Gockel, Barbara Steckhan und
Thomas Wollermann haben das 800-Seiten Werk ins Deutsche übersetzt.
Doch den Titel haben sie vergessen: "Homicide" heißt das Buch im Deutschen wie im amerikanischen Original. David Simon beschreibt darin - so der Untertitel - "Ein Jahr auf mörderischen Straßen".
Es sind die gefährlichsten Straßen der Welt. Ein Tag, in dem in Baltimore kein Mord passiert, ist für das Morddezernat ein guter Tag. Aber es gibt in Baltimore mehr schlechte Tage als gute - bis heute.
Über 200 Menschen werden dort jährlich ermordet. In schlechten Jahren sind es fast 300.
David Simon beschreibt diese mord- und drogendurchtränkte Stadt aus der Sicht des Morddezernats. Es ist eine Stadt, in der das Verbrechen die Normalität ist. In einer Szene etwa beschreibt Simon, wie der erfahrene Polizist Worden manchmal nächtens einfach so durch die Straßen am Fleischmarkt von Baltimore fährt und sich die Gesichter merkt. Er weiß: Er wird diese Gesichter mit großer Wahrscheinlichkeit wiedersehen - entweder als Täter oder als Opfer.
Es gibt für einen Polizisten kein Jenseits des Verbrechens in der Hölle von Baltimore.
20 Jahre lang wurde dieses fantastisch komplexe, bedrängend realistische und detaillierte Buch, das die realen Fälle des viel beschäftigten Morddezernats von Baltimore mit großer fiktionaler Wucht beschreibt, als zu kompliziert für den deutschen Markt eingestuft und deshalb ... nicht übersetzt.
Jetzt wirbt man auf dem Cover mit dem Spruch:
Der True-Crime Klassiker des Autors von "The Wire"
... und hoffentlich zahlt sich das verlegerische Wagnis aus.
Denn ernüchternder, realistischer und einfühlsamer ist die Arbeit eines amerikanischen Morddezernates nie beschrieben worden als hier vom ehemaligen Gerichtsreporter David Simon.
Ein grandioses, ein kompliziertes Buch,
... urteilt unser Rezensent über "Homicide" von David Simon, erschienen im Kunstmann-Verlag.
Kein Krimi, aber sicher das beste Buch über Verbrechen, das in diesem Jahrtausend in Deutschland erschienen ist.
Das Buch, das wir heute zuerst feiern wollen, ist kein Krimi und doch besser als die meisten Krimis. Spannungsgeladen sowieso.
Vorbild einer Fernsehserie ...
Moment, den Text hatten wir doch gerade schon?
... und doch ist er immer noch richtig.
Diesmal allerdings geht es nicht um das Beste kriminalistische Sachbuch des Jahrtausends, sondern um ein Buch, das Rezensenten ungestraft "bester Western aller Zeiten" nennen dürfen.
"Deadwood" heißt dieses eigenartige Werk, und erschienen ist es im Verlag Liebeskind. Der Autor ist der famose Pete Dexter, Übersetzung: Jürgen Bürger, Kathrin Bielfeldt.
Auch die Stadt "Deadwood" hat es wirklich gegeben. Sie wurde 1876 irgendwo im noch heute abgelegenen amerikanischen Bundesstaat South Dakota, weit drin im wilden Wilden Westen, gegründet. Eigentlich gehörte das Gebiet den Sioux-Indianern. Dass auf ihrem Gebiet Gold gefunden wurde, war Pech für die Indianer.
Deadwood liegt nahe der legendären "Black Hills" und nicht allzu weit entfernt vom "Little Big Horn", dem Schauplatz jener legendären Schlacht, in der die Indianer unter Sitting Bull genau im Jahr 1876 zum einzigen Mal die amerikanische Kavallerie entscheidend besiegen konnten.
Der Revolverheld "Wild Bill Hickock", sein weibliches Pendant, die ihn anhimmelnde Calamity Jane, und auch der legendäre Wyatt Earp lebten zeitweilig in Deadwood.
Beherrscht wurde die Stadt - im Roman ebenso wie im realen Amerika - von dem Kneipen- und Bordellbesitzer Al Swearengen, der früh auf die Idee kam, dass es lukrativer ist, Goldgräber mit Drogen, Alkohol und Frauen zu versorgen, als selbst nach Gold zu graben.
Mit dem Einzug des alternden Westenhelden Wild Bill Hickock in Deadwood beginnt der Roman "Deadwood".
Wie "Homicide" beruht er auf wahren Begebenheiten. Wie "Homicide" wurde auch "Deadwood" Vorbild für eine legendäre US-Serie.
Wie "Homicide" wurde das wirklich erstaunliche Buch erst jetzt - 25 Jahre nach Erscheinen auf Deutsch veröffentlicht und ...
... wie bei Homicide muss man sich fragen, wieso aller Müll aus dem Amerikanischen übersetzt wird, aber nicht solche Meilensteine der Erzählkunst.
Mit zwei schwarzen Achtern und zwei schwarzen Assen auf der Hand ...
... wird Wild Bill Hickock am Ende des ersten Teils von "Deadwood" während eines Pokerspieles erschossen.
"Jack McCall feuerte in Bills linke Kopfhälfte aus weniger als dreißig Zentimeter Entfernung. Die Kugel trat aus seiner rechten Wange wieder aus und zerschmetterte das linke Handgelenk des Lotsen. Später erzählte er, er habe den Rauch zuerst gesehen und dann erst den Schuß gehört."
"Dead Man's Hand" heißt seitdem die legendäre Kombination von schwarzen Achtern und Assen beim Pokern, aber Pete Dexter, der Autor von "Deadwood", geht derart souverän und schnörkellos mit den Fakten der wahren Geschichte von Deadwood um, dass er solche Details, die ein gefundenes Fressen für jeden anderen Autor wären, nicht einmal erwähnt.
Umso genüsslicher referiert er das Urteil der Geschworenen im anschließenden Mordprozess, der im Wirtshaus stattfindet. Die Geschworenen befinden - typisch Deadwood - den Mörder "für nicht schuldig aufgrund seines gerechtfertigten Grolls gegenüber Wild Bill".
Schuldig gesprochen werden muss aber die deutsche Verlagsszene, dass sie zwei so fulminante Bücher wie "Homicide" und "Deadwood" erst dann übersetzen lässt, wenn sie im US-Fernsehen zu Serien gemacht wurden und drüben Legendenstatus besitzen.
Manchmal hat das Fernsehen doch etwas Gutes,
... meint dazu unser einschlägig vorgebildeter Rezensent.
Das Warten auf den ersten richtigen Krimi in dieser Kolumne hat noch kein Ende und lohnt sich doch. Vielleicht ist das Warten auch das Ziel. Denn jetzt kommt ein Buch, das nur deshalb nicht unangefochten das eigenartigste deutsche Buch dieses Jahres ist, weil sein Autor, Heinrich Steinfest, in diesem Jahr bereits mit "Wo die Löwen weinen" seinen ebenfalls eigenwilligen Stuttgart 21-Krimi veröffentlicht hat.
Auch wenn unser nächstes Buch, Heinrich Steinfests "Die Haischwimmerin", erschienen im Piper-Verlag, ein grandioses Buch ist
... auch wenn darin der eine oder andere Detektiv vorkommt
... auch wenn auf Seite 233 wirklich so etwas wie ein Mord geschieht
... und auch wenn Heinrich Steinfest der Autor schon mehrfach den Deutschen Krimipreis gewonnen hat ....
so gehört das Buch doch wegen chronischen Fantasieüberschusses eher zu den krimiähnlichen Büchern.
Selbst das soll heute in der Krimikolumne ein Lob sein. Das Buch ist so gut wie seine Ermittlerin
... und die ist immerhin die Beste der Welt: Auftritt: Lilli Steinbeck, die Entführungsspezialistin mit der Klingonennase, die Steinfest-Jünger unter anderem bereits aus dem köstlichen Roman "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" lieben, verehren und anhimmeln.
Zur Handlung.
Oh, das wird kompliziert.
... diesmal spielt ein Großteil der Handlung in einem riesigen unterirdischen Bunker im sibirischen Dschugdschurgebirge, wo eine Fliegenpilz essende Verbrecherrepublik gegründet wurde, die bei aller Toleranz gegenüber dem Verbrechen einen Mord - anders als die überirdische menschliche Restrasse - in keinster Weise toleriert.
Wie immer besteht Steinfests größte Kunst darin, dass er den allergrößten versponnenen Schmarren so alltäglich in die wirkliche Welt einfädelt, dass man nie weiß, wo genau eigentlich all das, was von der Welt erzählt wird, noch wahr sein könnte und ab welchen Punkt sich da jemand etwas total Verrücktes ausgedacht hat.
Das Dschugdschur-Gebirge etwa - so versichert es uns zumindest Wikipedia - gibt es wirklich. Es soll an der Nordwestküste des Ochotschkischen Meeres liegen.
ach da!
Dass russische Kader dort einen Rückzugsbunker angelegt haben, könnte man sich noch vorstellen. Dass sich allerdings ein verfetteter, dafür aber unverwundbarer Kommissar mit einer Sänfte dorthin tragen lässt, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Von unserem Rezensenten ist hier kein objektives Urteil zu erwarten, er ist seit Urzeiten Ehrenvorsitzender in jenem unterirdisch tagenden Kritikerclub der Steinfestianer, die alljährlich in Jubelarien über ihren Lieblingsautor ausbrechen.
Wie immer ein Wunder, dieser Roman!
... jubelt dann auch unser Rezensent.
Wie immer der Höhepunkt des literarischen Jahres!
... fügt er angesichts Heinrich Steinfests neuem Meisterwerk "Die Haischwimmerin" noch ungefragt hinzu, und er lässt sich nicht den Mund verbieten, bevor er noch verkündet hat:
Wie immer auf einer Seite mehr Ideen als sonst in einem ganzen Verlagsprogramm in einem Jahrzehnt.
Und damit genug der gerechten Lobhudelei.
Und damit soll das Warten ein Ende und sich dennoch gelohnt haben. Zum Schluss die beiden besten aktuellen Krimis in der Sparte Taschenbuch national und international.
In der Sparte national ist derzeit der beste Krimi Norbert Horst, "Splitter im Auge", Goldmann-Verlag.
Norbert Horst ist ein klein wenig der deutsche David Simon.
Horst ist selbst Polizist, und seine Krimis gelten immer schon als die realistischsten im deutschen Genre. Diesmal hat es Horsts neuer Held, ein beruflich nicht sonderlich erfolgreicher Ermittler des Einsatztrupps der Dortmunder Polizei, mit einem Serienkiller zu tun, der sich nicht nur seine Opfer sorgsam aussucht, sondern auch gezielt Hinweise auf vermeintliche Täter ausstreut.
Endlich ein richtiger Krimi in dieser Kolumne...
... freut sich unser Rezensent über Norbert Horsts "Splitter im Auge", einem Taschenbuchbändchen, das nur 8,99 Euro kostet, deshalb bundesweit ungeschlagen in der Kosten-Nutzen Analyse ist und obendrein zu Recht der Spitzenreiter in der aktuellen Krimiwelt-Bestenliste.
Derzeit der beste deutsche Krimi!
Den zweiten Platz der Krimiwelt-Bestenliste im Oktober belegt die französische Newcomerin Dominique Manotti. Innerhalb eines Jahres erscheint schon das dritte Buch der inzwischen fast 70-jährigen auf dem deutschen Krimi-Markt, und zum dritten Mal in diesem Jahr wird es hier in der Krimikolumne gelobt ...
…und das immer zu Recht,
meint unser Rezensent zu "Einschlägig bekannt", erschienen als Taschenbuch als ariadne Kriminalroman im Argument-Verlag. Übersetzung Andrea Stephani.
Auch für Dominique Manotti gilt, dass ihr stärkstes Schreib-Aphrodisiakum die wahre Welt ist. In "Einschlägig bekannt" geht es um die brennenden Banlieus, die Pariser Vorstädte, die ein damaliger französischer Innenminister "kärchern" wollte.
Zwar protestierte der Hochdruckreiniger gleichen Namens gegen die Verwendung seines Firmennamens als französisches Verb ... allein es half nichts. Es wurde hart gegen die Protestierenden vorgegangen, und Sarkozy ist inzwischen bekanntlich Modelehemann und Staatspräsidentendarsteller in Frankreich.
Atemlos erzählt die Manotti von einer kaum mehr funktionierenden Ordnungsmacht, die die rassistischen Konflikte, die sie bekämpfen will, durch ihr rücksichtsloses Vorgehen in Wahrheit erst hervorbringt.
Allerorts wird von Lesern und Rezensenten Verzweiflung über die Zustände und Bewunderung für den Stil, in dem sie beschrieben sind, geäußert.
Unser Rezensent
... ist so beeindruckt, dass es ihm die Stimme verschlägt.
Und damit ist die Krimikolumne selbst schon wieder Geschichte. Für all jene, die keine genialen Berichte über die Polizeiarbeit von Polizisten
Homicide von David Simon
lesen wollen und desinteressiert sind am besten Western aller Zeiten
Deadwood von Pete Dexter
oder unserem Rezensenten nicht glauben wollen, dass es derzeit keinen originelleren Schriftsteller unter deutscher Sonne gibt als
den heiligen Heinrich Steinfest ...
... für all diese unbelehrbaren Skeptiker gilt jetzt wie schon von alters her das gleiche Spiel.
Besprochene Bücher:
Pete Dexter: Deadwood (Liebeskind)
Norbert Horst: Splitter im Auge (Goldmann Taschenbuch)
Dominique Manotti: Einschlägig bekannt (Ariadne Krimi 1198 / Argument-Verlag)
David Simon: Homicide (Kunstmann)
Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin (Piper)
Die Tage werden kürzer.
Die Tage, die wir noch zu leben haben, immer weniger.
Der Tod lauert überall
... ob im abgeschiedenen South Dakota, wo Städtchen wirklich "Deadwood" heißen
... oder im tiefen Sibirien in Bunkern, die im Dschugdschurischen Naturschutzgebiet liegen,
... oder in Baltimore, einer der tödlichsten Städte Amerikas
oder gar in Dortmund, einem Städtchen, das sich irgendwo zwischen Deadwood und dem
Dschugdschur befinden dürfte,
... überall wird gestorben.
Und überall werden die Geschichten vom Sterben erzählt
... von langhaarigen Westernhelden, die nie die Welt regieren werden
... von grandios scheiternden Polizisten, die nur versuchen ihren verdammten Job zu machen
… von französischen Staatspräsidenten, die sich ungern als Helden von Krimis wieder finden
Die Krimikolumne
wie immer nur echt mit unserem ausgezeichneten Rezensenten
verarschen kann ich mich selber - Grüße in den Äther!
Das Buch, das wir heute zuerst feiern wollen, ist kein Krimi und doch besser als die meisten Krimis. Spannungsgeladen ist es sowieso.
Es ist Vorbild einer Fernsehserie
Oje.
Aber nicht irgendeiner Fernsehserie, sondern der Besten Fernsehserie aller Zeiten und Welten.
Eine Fernsehserie, so gut, dass sie im deutschen Fernsehen nur versteckt auf irgendeinem unbekannten FOX-Channel lief.
Eine Fernsehserie, die - ungelogen - vom amerikanischen Time-Journalisten Joe Klein für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde.
Und sie hätte ihn verdient: The winner: The wire!
The Wire heißt eine amerikanische Krimi-Serie, die in den Jahren 2002 bis 2008 im amerikanischen Bezahlfernsehen lief. Der Produzent und Autor der Serie um eine Spezialabteilung im Morddezernat von Baltimore war der frühere Gerichtsreporter der Baltimore Sun, David Simon.
Die Serie hatte - bevor sie legendär wurde - sensationell gute Kritiken und ebensolch schlechte Einschaltquoten.
Beim Sender vermutete man, dass die Zuschauer der komplexen Handlung, in der es eine verwirrende Vielzahl von Protagonisten gab, die einen auch für Amerikaner schwer verständlichen Slang sprachen, einfach nicht folgen konnten.
Und was - verehrter Rezensent - hat das mit der Krimikolumne zu tun?
Im Verlag Kunstmann ist jetzt der literarische Vorläufer zu der Serie erschienen.
Mit einer verwirrenden Vielzahl von Protagonisten.
... und einer verwirrenden Vielzahl von Übersetzern: Gabriele Gockel, Barbara Steckhan und
Thomas Wollermann haben das 800-Seiten Werk ins Deutsche übersetzt.
Doch den Titel haben sie vergessen: "Homicide" heißt das Buch im Deutschen wie im amerikanischen Original. David Simon beschreibt darin - so der Untertitel - "Ein Jahr auf mörderischen Straßen".
Es sind die gefährlichsten Straßen der Welt. Ein Tag, in dem in Baltimore kein Mord passiert, ist für das Morddezernat ein guter Tag. Aber es gibt in Baltimore mehr schlechte Tage als gute - bis heute.
Über 200 Menschen werden dort jährlich ermordet. In schlechten Jahren sind es fast 300.
David Simon beschreibt diese mord- und drogendurchtränkte Stadt aus der Sicht des Morddezernats. Es ist eine Stadt, in der das Verbrechen die Normalität ist. In einer Szene etwa beschreibt Simon, wie der erfahrene Polizist Worden manchmal nächtens einfach so durch die Straßen am Fleischmarkt von Baltimore fährt und sich die Gesichter merkt. Er weiß: Er wird diese Gesichter mit großer Wahrscheinlichkeit wiedersehen - entweder als Täter oder als Opfer.
Es gibt für einen Polizisten kein Jenseits des Verbrechens in der Hölle von Baltimore.
20 Jahre lang wurde dieses fantastisch komplexe, bedrängend realistische und detaillierte Buch, das die realen Fälle des viel beschäftigten Morddezernats von Baltimore mit großer fiktionaler Wucht beschreibt, als zu kompliziert für den deutschen Markt eingestuft und deshalb ... nicht übersetzt.
Jetzt wirbt man auf dem Cover mit dem Spruch:
Der True-Crime Klassiker des Autors von "The Wire"
... und hoffentlich zahlt sich das verlegerische Wagnis aus.
Denn ernüchternder, realistischer und einfühlsamer ist die Arbeit eines amerikanischen Morddezernates nie beschrieben worden als hier vom ehemaligen Gerichtsreporter David Simon.
Ein grandioses, ein kompliziertes Buch,
... urteilt unser Rezensent über "Homicide" von David Simon, erschienen im Kunstmann-Verlag.
Kein Krimi, aber sicher das beste Buch über Verbrechen, das in diesem Jahrtausend in Deutschland erschienen ist.
Das Buch, das wir heute zuerst feiern wollen, ist kein Krimi und doch besser als die meisten Krimis. Spannungsgeladen sowieso.
Vorbild einer Fernsehserie ...
Moment, den Text hatten wir doch gerade schon?
... und doch ist er immer noch richtig.
Diesmal allerdings geht es nicht um das Beste kriminalistische Sachbuch des Jahrtausends, sondern um ein Buch, das Rezensenten ungestraft "bester Western aller Zeiten" nennen dürfen.
"Deadwood" heißt dieses eigenartige Werk, und erschienen ist es im Verlag Liebeskind. Der Autor ist der famose Pete Dexter, Übersetzung: Jürgen Bürger, Kathrin Bielfeldt.
Auch die Stadt "Deadwood" hat es wirklich gegeben. Sie wurde 1876 irgendwo im noch heute abgelegenen amerikanischen Bundesstaat South Dakota, weit drin im wilden Wilden Westen, gegründet. Eigentlich gehörte das Gebiet den Sioux-Indianern. Dass auf ihrem Gebiet Gold gefunden wurde, war Pech für die Indianer.
Deadwood liegt nahe der legendären "Black Hills" und nicht allzu weit entfernt vom "Little Big Horn", dem Schauplatz jener legendären Schlacht, in der die Indianer unter Sitting Bull genau im Jahr 1876 zum einzigen Mal die amerikanische Kavallerie entscheidend besiegen konnten.
Der Revolverheld "Wild Bill Hickock", sein weibliches Pendant, die ihn anhimmelnde Calamity Jane, und auch der legendäre Wyatt Earp lebten zeitweilig in Deadwood.
Beherrscht wurde die Stadt - im Roman ebenso wie im realen Amerika - von dem Kneipen- und Bordellbesitzer Al Swearengen, der früh auf die Idee kam, dass es lukrativer ist, Goldgräber mit Drogen, Alkohol und Frauen zu versorgen, als selbst nach Gold zu graben.
Mit dem Einzug des alternden Westenhelden Wild Bill Hickock in Deadwood beginnt der Roman "Deadwood".
Wie "Homicide" beruht er auf wahren Begebenheiten. Wie "Homicide" wurde auch "Deadwood" Vorbild für eine legendäre US-Serie.
Wie "Homicide" wurde das wirklich erstaunliche Buch erst jetzt - 25 Jahre nach Erscheinen auf Deutsch veröffentlicht und ...
... wie bei Homicide muss man sich fragen, wieso aller Müll aus dem Amerikanischen übersetzt wird, aber nicht solche Meilensteine der Erzählkunst.
Mit zwei schwarzen Achtern und zwei schwarzen Assen auf der Hand ...
... wird Wild Bill Hickock am Ende des ersten Teils von "Deadwood" während eines Pokerspieles erschossen.
"Jack McCall feuerte in Bills linke Kopfhälfte aus weniger als dreißig Zentimeter Entfernung. Die Kugel trat aus seiner rechten Wange wieder aus und zerschmetterte das linke Handgelenk des Lotsen. Später erzählte er, er habe den Rauch zuerst gesehen und dann erst den Schuß gehört."
"Dead Man's Hand" heißt seitdem die legendäre Kombination von schwarzen Achtern und Assen beim Pokern, aber Pete Dexter, der Autor von "Deadwood", geht derart souverän und schnörkellos mit den Fakten der wahren Geschichte von Deadwood um, dass er solche Details, die ein gefundenes Fressen für jeden anderen Autor wären, nicht einmal erwähnt.
Umso genüsslicher referiert er das Urteil der Geschworenen im anschließenden Mordprozess, der im Wirtshaus stattfindet. Die Geschworenen befinden - typisch Deadwood - den Mörder "für nicht schuldig aufgrund seines gerechtfertigten Grolls gegenüber Wild Bill".
Schuldig gesprochen werden muss aber die deutsche Verlagsszene, dass sie zwei so fulminante Bücher wie "Homicide" und "Deadwood" erst dann übersetzen lässt, wenn sie im US-Fernsehen zu Serien gemacht wurden und drüben Legendenstatus besitzen.
Manchmal hat das Fernsehen doch etwas Gutes,
... meint dazu unser einschlägig vorgebildeter Rezensent.
Das Warten auf den ersten richtigen Krimi in dieser Kolumne hat noch kein Ende und lohnt sich doch. Vielleicht ist das Warten auch das Ziel. Denn jetzt kommt ein Buch, das nur deshalb nicht unangefochten das eigenartigste deutsche Buch dieses Jahres ist, weil sein Autor, Heinrich Steinfest, in diesem Jahr bereits mit "Wo die Löwen weinen" seinen ebenfalls eigenwilligen Stuttgart 21-Krimi veröffentlicht hat.
Auch wenn unser nächstes Buch, Heinrich Steinfests "Die Haischwimmerin", erschienen im Piper-Verlag, ein grandioses Buch ist
... auch wenn darin der eine oder andere Detektiv vorkommt
... auch wenn auf Seite 233 wirklich so etwas wie ein Mord geschieht
... und auch wenn Heinrich Steinfest der Autor schon mehrfach den Deutschen Krimipreis gewonnen hat ....
so gehört das Buch doch wegen chronischen Fantasieüberschusses eher zu den krimiähnlichen Büchern.
Selbst das soll heute in der Krimikolumne ein Lob sein. Das Buch ist so gut wie seine Ermittlerin
... und die ist immerhin die Beste der Welt: Auftritt: Lilli Steinbeck, die Entführungsspezialistin mit der Klingonennase, die Steinfest-Jünger unter anderem bereits aus dem köstlichen Roman "Die feine Nase der Lilli Steinbeck" lieben, verehren und anhimmeln.
Zur Handlung.
Oh, das wird kompliziert.
... diesmal spielt ein Großteil der Handlung in einem riesigen unterirdischen Bunker im sibirischen Dschugdschurgebirge, wo eine Fliegenpilz essende Verbrecherrepublik gegründet wurde, die bei aller Toleranz gegenüber dem Verbrechen einen Mord - anders als die überirdische menschliche Restrasse - in keinster Weise toleriert.
Wie immer besteht Steinfests größte Kunst darin, dass er den allergrößten versponnenen Schmarren so alltäglich in die wirkliche Welt einfädelt, dass man nie weiß, wo genau eigentlich all das, was von der Welt erzählt wird, noch wahr sein könnte und ab welchen Punkt sich da jemand etwas total Verrücktes ausgedacht hat.
Das Dschugdschur-Gebirge etwa - so versichert es uns zumindest Wikipedia - gibt es wirklich. Es soll an der Nordwestküste des Ochotschkischen Meeres liegen.
ach da!
Dass russische Kader dort einen Rückzugsbunker angelegt haben, könnte man sich noch vorstellen. Dass sich allerdings ein verfetteter, dafür aber unverwundbarer Kommissar mit einer Sänfte dorthin tragen lässt, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Von unserem Rezensenten ist hier kein objektives Urteil zu erwarten, er ist seit Urzeiten Ehrenvorsitzender in jenem unterirdisch tagenden Kritikerclub der Steinfestianer, die alljährlich in Jubelarien über ihren Lieblingsautor ausbrechen.
Wie immer ein Wunder, dieser Roman!
... jubelt dann auch unser Rezensent.
Wie immer der Höhepunkt des literarischen Jahres!
... fügt er angesichts Heinrich Steinfests neuem Meisterwerk "Die Haischwimmerin" noch ungefragt hinzu, und er lässt sich nicht den Mund verbieten, bevor er noch verkündet hat:
Wie immer auf einer Seite mehr Ideen als sonst in einem ganzen Verlagsprogramm in einem Jahrzehnt.
Und damit genug der gerechten Lobhudelei.
Und damit soll das Warten ein Ende und sich dennoch gelohnt haben. Zum Schluss die beiden besten aktuellen Krimis in der Sparte Taschenbuch national und international.
In der Sparte national ist derzeit der beste Krimi Norbert Horst, "Splitter im Auge", Goldmann-Verlag.
Norbert Horst ist ein klein wenig der deutsche David Simon.
Horst ist selbst Polizist, und seine Krimis gelten immer schon als die realistischsten im deutschen Genre. Diesmal hat es Horsts neuer Held, ein beruflich nicht sonderlich erfolgreicher Ermittler des Einsatztrupps der Dortmunder Polizei, mit einem Serienkiller zu tun, der sich nicht nur seine Opfer sorgsam aussucht, sondern auch gezielt Hinweise auf vermeintliche Täter ausstreut.
Endlich ein richtiger Krimi in dieser Kolumne...
... freut sich unser Rezensent über Norbert Horsts "Splitter im Auge", einem Taschenbuchbändchen, das nur 8,99 Euro kostet, deshalb bundesweit ungeschlagen in der Kosten-Nutzen Analyse ist und obendrein zu Recht der Spitzenreiter in der aktuellen Krimiwelt-Bestenliste.
Derzeit der beste deutsche Krimi!
Den zweiten Platz der Krimiwelt-Bestenliste im Oktober belegt die französische Newcomerin Dominique Manotti. Innerhalb eines Jahres erscheint schon das dritte Buch der inzwischen fast 70-jährigen auf dem deutschen Krimi-Markt, und zum dritten Mal in diesem Jahr wird es hier in der Krimikolumne gelobt ...
…und das immer zu Recht,
meint unser Rezensent zu "Einschlägig bekannt", erschienen als Taschenbuch als ariadne Kriminalroman im Argument-Verlag. Übersetzung Andrea Stephani.
Auch für Dominique Manotti gilt, dass ihr stärkstes Schreib-Aphrodisiakum die wahre Welt ist. In "Einschlägig bekannt" geht es um die brennenden Banlieus, die Pariser Vorstädte, die ein damaliger französischer Innenminister "kärchern" wollte.
Zwar protestierte der Hochdruckreiniger gleichen Namens gegen die Verwendung seines Firmennamens als französisches Verb ... allein es half nichts. Es wurde hart gegen die Protestierenden vorgegangen, und Sarkozy ist inzwischen bekanntlich Modelehemann und Staatspräsidentendarsteller in Frankreich.
Atemlos erzählt die Manotti von einer kaum mehr funktionierenden Ordnungsmacht, die die rassistischen Konflikte, die sie bekämpfen will, durch ihr rücksichtsloses Vorgehen in Wahrheit erst hervorbringt.
Allerorts wird von Lesern und Rezensenten Verzweiflung über die Zustände und Bewunderung für den Stil, in dem sie beschrieben sind, geäußert.
Unser Rezensent
... ist so beeindruckt, dass es ihm die Stimme verschlägt.
Und damit ist die Krimikolumne selbst schon wieder Geschichte. Für all jene, die keine genialen Berichte über die Polizeiarbeit von Polizisten
Homicide von David Simon
lesen wollen und desinteressiert sind am besten Western aller Zeiten
Deadwood von Pete Dexter
oder unserem Rezensenten nicht glauben wollen, dass es derzeit keinen originelleren Schriftsteller unter deutscher Sonne gibt als
den heiligen Heinrich Steinfest ...
... für all diese unbelehrbaren Skeptiker gilt jetzt wie schon von alters her das gleiche Spiel.
Besprochene Bücher:
Pete Dexter: Deadwood (Liebeskind)
Norbert Horst: Splitter im Auge (Goldmann Taschenbuch)
Dominique Manotti: Einschlägig bekannt (Ariadne Krimi 1198 / Argument-Verlag)
David Simon: Homicide (Kunstmann)
Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin (Piper)