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Nach der Verausgabung folgt ein Schweigetag

Eine gute Gesangsstimme kommt nicht von alleine. Dazu gehört viel Training und auch eine Aufwärmphase vor jedem Auftritt. Übungen sind bespielsweise das Summen oder das Einsetzen eines aktiven Zwerchfells.

Von Martin Winkelheide | 05.03.2013
    Was macht die Königin der Nacht vor ihrem Auftritt?
    Warum will sie, dass ihre Tochter Tamina Sarastro umbringt?
    Imagination hilft, in eine Rolle hineinzufinden, erzählt die Sopranistin Diana Damrau. Damit die Wut auch wirklich da ist, mit dem ersten Ton.

    Emotionen sind wichtig, das sagt auch Mechthild Georg. Sie ist Professorin für Gesang an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln.

    Mechthild Georg:
    "Man ist immer im Ganzen eingebettet und muss den ganzen Abend durchleben als Rolle. Und die Königin der Nacht ist insofern ein gutes Beispiel, als sie nur zwei Arien hat, ein Ensemble und das Finale. Und der Abend ist aber lang. Und dazwischen ist viel Pause."

    Emotionen haben, das ist einfach….

    Mechthild Georg:
    "Sich hineinsteigern in emotionale Ausnahmezustände, das kommt im Leben oft ja vor."

    Emotionen abrufen zu können, das müssen junge Sänger trainieren. Die Rolle der Königin der Nacht ist aber auch deshalb eine Herausforderung, weil sie so virtuos ist. Formal ist sie eine Bravourarie mit allen gesangstechnischen Finessen. Hochleistungs-Singen ist gefragt. Ohne Training nicht zu schaffen. Auch nicht ohne Aufwärmtraining: vor jeder Vorstellung.

    Mechthild Georg:
    "Warming up, sagen die Amerikaner – das ist auch aus dem Sport entliehen. Ich finde Summen am Anfang immer sehr angenehm. Summen heißt, die Lippen schließen, den Mund offen lassen und ganz weich die Stimmbänder betätigen, mit der sogenannten Stützfunktion, also mit aktivem Zwerchfell. Also weiche Übungen mit weichen Konsonanten, Vokalen, in der Mittellage, ohne große Fortefunktion, sodass dieser Einschwingvorgang, in Ruhe stattfinden kann, und die Stimmbänder sich anwärmen. Wu… in dieser Art, über M, W, U, I, weiche Töne singen, sodass die Funktionen miteinander verknüpft werden. Und das sind nicht Stunden, das sind vielleicht zehn Minuten. Und dann macht man eigentlich Übungen, die sich annähern an die Passagen, die man zu singen hat. Und dann kann man weiter in die Virtuosität gehen, also Staccato-Übungen machen, Oktav-Übungen, Portamenti, alles, was dazugehört, das ganze Repertoire. Das sind alles Errungenschaften aus dem Belcanto. Da gibt es auch enorm viele Kompositionen zu diesem Thema. Schöne Liedkompositionen oder Arietten. Kleine Arien-Formen, in denen alle diese Dinge, die zum Singen gehören, verarbeitet sind, in eine musikalische Form gebracht wurden. Sodass man praktisch simuliert, was später im Ernstfall von einem verlangt wird. So nähert man sich dann dem Niveau an, was man später abliefern muss, denn die Partien sind ja sehr unterschiedlich. Sie haben jetzt mehrfach die Königin der Nacht als Beispiel genommen, ist ja auch eine sehr bekannte Rolle, aber es gibt auch dramatische Partien, die vor allem Kraft und lange Töne gegen ein großes Orchester verlangen."

    Ihren Studenten rät Mechthild Georg zu klugen Karriereplanung. Konkret heißt das: Am Anfang keine Rollen annehmen, die zu viel Kraft fordern. Die die Stimme überfordern. Alles hat seine Zeit. Auch die erste Rolle in einer Wagner- oder Strauss-Oper.

    Mechthild Georg:
    "Das Bad in einem großen Klangvolumen von Orchester und einer leidenschaftlichen Gesangspartie ist natürlich das heimliche Ziel eines jeden Sängers. Und genau hier ist Vorsicht geboten."

    Wer als Sänger seine Stimme erhalten will – der muss sie auch schonen.

    Mechthild Georg:
    "Und im Grunde müsste auch jeder gesunde Sänger, und das tun auch die Klugen unter ihnen, nach einem Abend, wo man sich verausgabt hat, mindestens einen Schweigetag einlegen. Ja. Schweigen ist Gold in diesem Fall."