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Nach Messerangriff in Grafing
Polizei wehrt sich gegen Vertuschungsvorwürfe

Der Mann, der im bayerischen Grafing einen Menschen mit einem Messer getötet hat, ist in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen worden. Die Polizei muss derweil in sozialen Netzwerken gegen rechte Beiträge ankämpfen, in denen Behörden und Medien die Vertuschung eines vermeintlichen islamistischen Hintergrunds vorgeworfen wird.

11.05.2016
    Blumen und Kerzen am S-Bahnhof Grafing
    Blumen und Kerzen am S-Bahnhof Grafing (dpa / picture-alliance / Peter Kneffel)
    Der Ermittlungsrichter ordnete am Mittwoch keine Untersuchungshaft, sondern die einstweilige Unterbringung in der geschlossenen Abteilung einer Nervenklinik an. Zur Begründung teilte das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) mit, dass der 27-Jährige nach Begutachtung eines medizinischen Sachverständigen an einer psychischen Erkrankung leide. Es lägen "dringende Gründe für die Annahme vor, dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit oder zumindest verminderten Schuldfähigkeit die Taten begangen hat".
    Überlebende laut Polizei in stabilem Zustand
    Die Staatsanwaltschaft wirft dem 27-Jährigen aus dem hessischen Grünberg bei Gießen Mord und dreifachen Mordversuch vor. Der Mann hatte am Dienstagmorgen am Bahnhof in Grafing einen 56 Jahre alten Fahrgast vor Zeugen erstochen und anschließend drei weitere Männer durch Stiche schwer verletzt. Die drei Überlebenden sind nach LKA-Angaben mittlerweile gesundheitlich in einem stabilen Zustand.
    Das Motiv für die Tat blieb auch am Tag nach dem Verbrechen rätselhaft. Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich bekräftigte, dass der 27-Jährige bei seiner Vernehmung wirre Angaben gemacht habe. Zu den Ermittlungen der Sonderkommission beim LKA wurde mitgeteilt, dass ein im Gleisbereich gefundener Rucksack des jungen Mannes auf Spuren untersucht wird. Zudem würden zwei Mobiltelefone ausgewertet. Es sei aber nicht sicher, ob eines der Handys dem 27-Jährigen gehört.
    Im Netz wird aus "Paul H." ein "Rafik Y." gemacht
    Nachdem Zeugen die Ausrufe "Allahu akbar" und "Du bist ein Ungläubiger" von dem Tatverdächtigen bestätigt hatten, gingen viele Medien zunächst von einem islamistischen Hintergrund aus. In rechtsradikalen Blogs und Facebook-Gruppen wurde dennoch die Nachricht verbreitet, dass es sich bei dem deutschstämmigen Täter "Paul H." in Wahrheit um eine Person mit dem Namen "Rafik Y.". Vor allem ein Beitrag des Musikproduzenten Marco Delgardo ("Roxette", "Shaggy", "Kid Rock"), der zuletzt mit rechtslastigen Beiträgen in seinem Blog für Aufmerksamkeit sorgte, fand große Verbreitung.
    Die vermeintliche Erkenntnis: Polizei und "Lügenpresse" kehren den wahren Hintergrund der Tat unter den Tisch. "Erstickt an euren Lügen, verdammte Presse…", kommentierten auch sogleich einige User, berichtet "Spiegel Online". Das Landeskriminalamt Bayern sah sich gar genötigt, diesen Dingen auf Facebook - dort, wo so sich am schnellsten verbreiten - zu widersprechen.
    Bei der Durchsuchung der Wohnung des Mannes in Grünberg (Hessen) wurden ein weiteres Mobiltelefon und laut LKA "mehrere Speichermedien" sichergestellt, die nun ebenfalls ausgewertet werden. "Beweismittel, die auf einen religiös motivierten Hintergrund der Tat oder andere Straftaten hindeuten, wurden nicht gefunden", hieß es weiter.
    Täter bereits stationär behandelt
    Unterdessen wurden weitere Details zum Gesundheitszustand des Täters bekannt. Demnach ließ sich er sich nur zwei Tage vor der Bluttat in einer Klinik stationär behandeln. Das LKA bestätigte Medienberichte, wonach der junge Mann auf Anraten seiner Großeltern wegen seelischer Probleme einen Tag in einem Krankenhaus in Gießen verbrachte.
    Zuvor hatten Angehörige die Polizei alarmiert, weil der Mann einen verwirrten Eindruck auf sie gemacht und von Drogenkonsum gesprochen habe. Er habe "aber einen ruhigen Eindruck gemacht", ohne Hinweise, dass er sich oder andere gefährden könnte, so die Polizei. Am Montagmorgen verließ der 27-Jährige die Klinik wieder.
    Zahlreiche Menschen gedachten in Grafing der Opfer. Vor dem Bahnhof lagen Dutzende Blumensträuße, es brannten Kerzen. Am Abend war in der katholischen Pfarrkirche St. Ägidius eine ökumenische Gedenkfeier geplant.
    (nch/tgs)