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Neo-Western "Slow West"
Verlorengehen im fremden Land

Totgesagte leben länger. Dieser Satz gilt erst recht für den Western. Der britische Musiker John Maclean hat mit Michael Fassbender in der Hauptrolle mit "Slow West" einen Film gedreht, der die Geschichte dieses Genres quasi in sich aufgesogen hat, ihm aber auch wieder neue Varianten abgewinnt.

Von Hartwig Tegeler | 29.07.2015
    Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee) und Silas Selleck (Michael Fassbender) gemeinsam auf dem langen Weg nach Westen.
    Jay Cavendish und Silas Selleck auf ihrem Weg nach Westen. (PROKINO Filmverleih GmbH / Filmstill)
    "Der Osten? Was gibt´s Neues? - Gewalt und viel Leid. - Und im Westen? Träume und Schinderei!"
    Und damit ist der Raum eröffnet. Und damit ist eine Bewegung im Raum anvisiert und eine Richtung. Nach Westen. Jay im Western "Slow West", den es in die Welt verschlägt. Aber ist diese Welt Traum oder Albtraum?
    "(Schüsse) Nimm die Hände hoch, Junge."
    Wildnis, Gewalt, die blutige Schinderei? Frage.
    "Rothaus oder Weißer? - Ähem, Sir, ich bin Brite. Schotte. - Fangt den Wilden."
    Jay. Jay Cavendish. 1870 in Colorado. Das ist die Bewegung im großen Raum, die John Maclean in "Slow West" beschreibt: Von Schottland nach Colorado. In den großen Western suchen die Helden nach dem Gelobten Land, nach den Goldfeldern, nach der finalen Erfüllung ihrer Rachegelüste - einer der großen klassischen Westen heißt "The Searchers". Jay hingegen verzehrt sich nach seiner großen Liebe. In Rückblenden erfahren wir in "Slow West" von seinem erotischen Erwachen in der alten Heimat Schottland. Aber das Mädchen war die Tochter eines Arbeiters von Jays Vater. Der an einem Abend tot vor dem Haus von Rose lag. Irgendwo in Colorado haben sich nun Rose und ihr Vater versteckt. Jay, das Greenhorn ...
    "Dürfte ich einen Anzug anprobieren? - Sicher, bedienen Sie sich."
    Der Unerfahrene in einem gefährlichen Land.
    "Du machst wirklich einen Fehler."
    Jay sucht sie. Aber wir ahnen sehr bald, dass er nicht nur in einer Hinsicht einer Illusion hinterher jagt.
    "Sir, nehmen Sie die Pistole runter."
    Oder auch: Jay - Kodi Smit-McPhee - zieht eine Fährte, an die sich all die Typen heften, die das 2.000 Dollar Kopfgeld für Rose und ihren Vater einstreichen wollen.
    "Jeder wusste von dem Kopfgeld. Abgesehen von Jay. Er führte mich geradewegs zu ihnen", meint Silas. Silas - Michael Fassbender -, der Undurchsichtige. Jays Reisegefährte und Freund? Oder auch nur ein weiterer Kopfgeldjäger? Allerdings einer mit genauer Beobachtungsgabe.
    "Der Junge war ein Wunder. Er sah die Welt mit anderen Augen. Für ihn waren wir in einem Land der Hoffnung und der Zuversicht. Aus meiner Sicht konnte unter jedem Stein, den man umdrehte, ein Schurke hervorkriechen, der dir sein Messer ins Herz rammt, wenn für ihn dabei ein Dollar herausspringen würde."
    "Slow West", dieser Western, der in einem Titel schon die Urbewegung des Genres eingeschrieben hat - immer Richtung Westen - wurde von einem Briten in Neuseeland gedreht. Kann das gut gehen? Es ging gut. Seit Peter Jacksons magischen Neuseeland-Totalen im "Herrn der Ringe" ist die Insel etabliert als Kino-Traumort. Wie vor mehr als einem halben Jahrhundert das Monument Valley. Diese Wüstenlandschaft im Südwesten der USA machte der "The Searchers"-Regisseur John Ford zu einem filmischen Zeichen, das von der Übermacht der Landschaft gegenüber dem Menschen zeugte. "Slow West"-Regisseur John MacLean zitiert nun in seinem Western die genreüblichen Versatzstücke - Greenhorn, Kopfgeldjäger, Indianer, Siedler, Mörder und Gauner:
    "Ein paar von uns gab es noch. Männer jenseits des Gesetzes. Die gefährlichsten sollten zuletzt fallen."
    Aber mit seinem Drehort Neuseeland entfremdet John Maclean seinen Film von der Urlandschaft des klassischen Western, gewinnt aber so einen spannenden Neu-Zugang zum Western. Weil, alles wirkt uns vertraut und doch fremd. Der klassische Western konstruierte den historischen Mythos der Eroberung eines Kontinents. Neo-Western wie Tommy Lee Jones´ "The Homesman" oder das "True Grit"-Remake von Joel und Ethan Coen, aber auch Thomas Arslans Western "Gold" konzentrieren sich eher auf das existenzielle Drama ihrer Helden, wenn die durch das unwirtlich-gefährliche wie magische Land ziehen, wo sogar die Unschuldigen wie Jay nicht mehr unschuldig bleiben.
    "Ich habe gestern eine Frau getötet. - Ein unvermeidliches Übel. - Es stört Sie nicht, in Gesellschaft eines Mörders zu sein? - Ich wäre ein einsamer Mann, wenn es so wäre."
    Und Jays Credo, das er gegenüber seinem erfahrenen Reisegefährten, Schrägstrich Retter Silas formuliert, es ist wahrscheinlich nur Tagträumerei. Oder?
    "Ich meine ja nur, das ist mehr am Leben als Überleben. - Ja, das ist noch der Tod."
    Merkwürdig nur, dass Filme wie "The Homesman" oder "True Grit" und auch jetzt - nomen est omen - "Slow West" die Bewegung durch den Raum in einer merkwürdigen Langsamkeit inszenieren. Als ob diese Filme nur noch dem Traum respektive dem Albtraum verhaftet sind. Und kann da der Westen, im klassischen Western das Utopia, überhaupt noch wünschenswertes Ziel sein? Dies hier ist ein düster poetischer Satz aus "Slow West", diesem wunderbaren britischen Western aus Neuseeland, in dem John Maclean eine tiefe Verbeugung vor dem Genre vornimmt, das uns noch immer so aufregende Varianten dieser einen Geschichte präsentieren kann, der vom Verlorengehen im fremden Land.
    "Jedenfalls könnt ihr von Glück reden, dass ihr nach Norden reitet, denn Westen, da ist es schlimmer, wirklich übel. Da zieht ein Sturm auf."