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Netzbetreiber zur Sonnenfinsternis
"Es war eine extreme Anspannung"

Die Ingenieure des Stromnetzbetreibers Tennet in Bayreuth mussten dafür sorgen, dass in Deutschland nicht die Lichter ausgehen. Tennet-Pressesprecherin Ulrike Hörchens sagte im DLF: "Die Sonnenfinsternis hat uns als Übertragungsnetzbetreiber vor sehr, sehr große Herausforderungen gestellt".

Ulrike Hörchens im Gespräch mit Ralf Krauter | 20.03.2015
    Partielle Sonnenfinsternis: Mond schiebt sich vor die Sonne
    Die Sonnenfinsternis brachte Netzbetreiber ins sprichwörtliche Schwitzen. (imago / Matteo Gribaudi)
    Ralf Krauter: In Köln, wo unser Funkhaus steht, war von der Sonnenfinsternis leider gar nix zu sehen. Dichter Nebel verhüllte alles. Und man brauchte schon reichlich Phantasie, um sich einzureden, dass der Himmel gegen halb elf einen Tick dunkler geworden war. Dumm gelaufen für die Kölner, aber anderswo gab's dafür strahlende Gesichter. In Bayreuth zum Beispiel, da war der Himmel blau als es drauf ankam. Nur die Ingenieure des Übertragungsnetzbetreibers Tennet, der dort seine Zentrale hat, die hatten gar nix davon. Denn die mussten dafür sorgen, dass in Deutschland nicht die Lichter ausgehen. Wie stark die Experten in der Schaltwarte dabei unter Strom standen, das habe ich vorhin Tennet-Pressesprecherin Ulrike Hörchens gefragt.
    Ulrike Hörchens: Also, es war eine extreme Anspannung für die Kollegen in der Warte, für die Schaltingenieure. Das konnte man bereits gestern Abend und auch heute ganz früh am Morgen fast mit Händen fühlen, wie groß die Anspannung ist. Die Sonnenfinsternis hat uns als Übertragungsnetzbetreiber vor sehr, sehr große Herausforderungen gestellt, weil es zum ersten Mal eine Sonnenfinsternis war mit etwa 38.000 Megawatt installierter Solarerzeugung.
    "Mit Regelleistung vorbeugen"
    Das gab es bei den Sonnenfinsternissen in den Jahren davor nicht. Die letzte 2003 hatte gerade mal, da gab es gerade mal 300 Megawatt PV-Erzeugung. Sie sehen, für uns als Netzbetreiber ist damit die Unsicherheit sehr stark angestiegen, was passiert während der Sonnenfinsternis, wie stark schwankt die Solareinspeisung, was hat das für Folgen für die Frequenz, all das musste bedacht werden. Wir haben viele Szenarien durchgespielt, viele Maßnahmen überlegt und haben dann schließlich mit den anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern uns dazu entschlossen, mit sehr viel Regelleistung den Auswirkungen der Sonnenfinsternis vorzubeugen.
    Krauter: Es gab ja im Vorfeld dann Simulationsrechnungen, die Ihre Experten sicher auch vorliegen hatten. Und das schlimmste Szenario war so in etwa, dass in relativ kurzer Zeit elektrische Leistung in der Größenordnung von 12 Gigawatt wegbrechen könnte durch die Photovoltaik. Ist es letztlich so schlimm gekommen? Wie viel Regelleistung mussten Ihre Experten dann nachpulvern in der heißen Phase?
    Hörchens: Wir haben sehr große Erzeugungsschwankungen gehabt in der ersten Phase, als der Mond sich vor die Sonne geschoben hat, sind etwa 7.000 Megawatt Solarerzeugung weggegangen innerhalb von etwas weniger als einer Stunde; und in der zweiten Phase, als sich der Mond dann wieder von der Sonne wegbewegt hat, sind etwa 15.000 Megawatt Solarenergie wieder ans Netz gekommen und haben für ordentlich Arbeit in der Schaltwarte gesorgt. Diese Erzeugungsschwankungen haben dann eben auch zu Schwankungen im Netz geführt, also bei der Frequenz, und wir haben dann mit Regelleistung dagegen gesteuert.
    "Am Rand einer kritischen Situation"
    Das heißt, wir haben, als die Erzeugung weggegangen ist, Regelleistung zugeführt, und als die Erzeugung, als dann wieder sehr viel Solarenergie am Netz war, haben wir wieder Regelleistung weggenommen, einfach um dieses Gleichgewicht zu wahren. Wir haben dabei zeitweise bis zu 2.000 Megawattregelleistung eingesetzt, das ist sehr viel, das hätte uns an einem normalen Tag an den Rand einer kritischen Situation gebracht, weil wir in der Regel nicht mehr Regelleistung vorhalten. Aber extra für die Sonnenfinsternis haben wir ganz gut vorgesorgt und gut aufgestockt, sodass wir das ohne Probleme meistern konnten.
    Krauter: Wie viel von diesen Regulierungsmaßnahmen läuft automatisch, und wo sind wirklich Ihre Experten dann noch manuell gefragt?
    "Es haben sich sehr viele Netzbetreiber beteiligt"
    Hörchens: Sehr viele laufen automatisch, gerade die Regelleistung, die innerhalb von Sekunden zur Verfügung steht, das passiert einfach automatisch. Aber wir haben eine dreistufige Regelleistung, eine, die innerhalb von Sekunden zur Verfügung steht, eine, die innerhalb von fünf Minuten da sein muss, und eine, die innerhalb von 15 Minuten da sein muss. Und gerade die Letzte, die wird noch händisch abgerufen. Die kommt dann zum Zug, wenn die beiden automatisierten Regelleistungen nicht mehr ausreichen. Und wir haben heute alle drei gebraucht.
    Krauter: Können Sie denn jetzt schon sagen, wo letztlich dann der Reservestrom konkret hergekommen ist, den Ihre Experten heute ins Netz geleitet haben, um abzufedern?
    Hörchens: Den haben wir gestern und vorgestern ausgeschrieben. Und da haben sich sehr viele Kraftwerke beteiligt. Das reicht von Biogasanlagen über Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke, Wasserkraftwerke, also, da ist die Bandbreite sehr, sehr groß. Man kann es nicht im Einzelnen sagen. Es haben nicht nur große Kraftwerke mitgemacht, es waren auch sehr viele kleine Erzeuger dabei.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.