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Neue Messtechniken
Biologisch abbaubare Elektronik in der Medizin

Elektronik kompostieren? Klingt unglaublich, könnte aber künftig zumindest teilweise wahr werden. Forscher entwickeln elektronische Bauteile, die biologisch abbaubar sind - für medizinische Implantate beispielsweise, die ihre Funktion nur für einen begrenzten Zeitraum erfüllen.

Von Hellmuth Nordwig | 22.03.2019
Am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik in Dresden wird an biodegradierbaren Implantaten geforscht, die ihre Funktion für einen begrenzten Zeitraum erfüllen und sich danach vollständig auflösen sollen
Elektronische Materialien in der Medizin müssen vor allem biologisch verträglich sein (Bild: Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP)
Blutdruck, Zucker, Sauerstoff - der menschliche Körper liefert jede Menge Messwerte. Die wollen Forschende wie die Doktorandin Stephanie Schreiber vom Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik und Plasmatechnik in Dresden bei Bedarf laufend elektronisch überwachen. Zukünftig etwa nach Operationen am Gehirn.
"Dass man das im Hirn für verschiedene Hirnströme nutzen könnte, um die Signale aufzunehmen, zu verarbeiten und dann eben zu beschließen, wie eine medizinische Anschlussversorgung stattfinden soll. Das wäre im Prinzip eine dünne flexible Folie, die in den Kopf direkt eingebracht werden könnte. Und beispielsweise könnte man dann noch eine Elektronik mit integrieren, die dann die eigentliche Rechenarbeit erledigen würde."
Materialien müssen biologisch verträglich sein
Ein Messstreifen direkt unter der Schädeldecke: Das ist noch Zukunftsmusik. Elektronik auf Plastikfolien gibt es zwar schon, zum Beispiel um die Kühlkette bei Lebensmitteltransporten zu überwachen. Doch für den Einsatz im Körper stehen solche elektronische Materialien erst am Anfang. Sie müssen biologisch verträglich sein und sich oft nach einer gewissen Zeit wieder selbst abbauen. Daran wird noch geforscht, genau wie an verschiedenen Techniken, um die Schaltungen auf die Kunststoffe aufzubringen. Oft werden sie einfach gedruckt, wie beim Unternehmen Si-Cal bei Boston. Geschäftsführer Jaye Tyler hat ein Beispiel:

"Ein EKG-Pflaster mit zwölf Kanälen. Das kleben Sie sich selber auf. Es nimmt die Daten auf und sendet sie an einen Laptop oder direkt in eine Arztpraxis. Die Mitarbeiter dort können die Daten überprüfen, Sie dann anrufen und sagen: Alles in Ordnung. Da müssen Sie nie in die Praxis."

Kein stundenlanges Warten, nur um ein EKG zu machen - das klingt auch hier zu Lande attraktiv. Und bei diesem Konzept gelangen die Elektroden ja nicht in den Körper, sie werden aufgeklebt. So kann die Firma einfach dünne Folien aus dem Kunststoff PET verwenden, wie er für Getränkeflaschen verwendet wird. Darauf wird dann eine Schaltung aus Silber gedruckt. Das Ganze braucht auch nicht biologisch abbaubar zu sein, denn nach Gebrauch wird das Pflaster einfach abgezogen.
Im Prinzip könnten die Materialien recycelt werden, dafür gibt es aber noch kein Konzept. Eine andere Schaltung wird aufs Schienbein geklebt und soll dabei helfen, Blut aus den Beinen zum Herzen zurück zu pumpen. Denn das funktioniert nicht immer richtig.

"Bei Diabetikern gibt es da Probleme, bei einer Thrombose in den Beinen, oder bei alten Menschen, die sich nicht viel bewegen oder bettlägerig sind. Da wird das Blut nicht so schnell aus dem Bein herausgepumpt, wie es sein sollte. Unser Pflaster, das man auf dem Schienbein trägt, stimuliert den Blutfluss. Wir haben in diesem Jahr fast eine Million Stück produziert und weltweit vertrieben."
Elektronisches Plaster überwacht Patienten
Ein anderes Produkt der Firma ist eine Erfindung einer Chirurgin vom Massachusetts General Hospital. Es geht darum, Patienten während einer Operation zu überwachen, ob sie genug Sauerstoff bekommen. Normalerweise gibt es dafür ein Gerät, das an einem Finger festgeklammert wird. Das war der Ärztin nicht zuverlässig genug.
"Unser Produkt wird bei einer Operation auf den Oberkörper aufgeklebt. Es wertet Messdaten direkt aus der Lunge aus und misst so sehr präzise den Sauerstofffluss während des Eingriffs. Wenn der aus irgendeinem Grund gestört ist, bekommt der Chirurg ein Warnsignal."
Etwa 50.000 Mal hat das Unternehmen nach eigenen Angaben diesen Sensor zum Aufkleben bisher produziert. Große Stückzahlen sagen allerdings nichts darüber aus, ob Patienten von der Elektronik am Körper wirklich profitieren. Ob also Störungen der Sauerstoffversorgung so zuverlässig bemerkt werden wie bisher. Oder ob es bei Diabetikern seltener zu Durchblutungsstörungen kommt, wenn sie die elektronische Plastikfolie auf ihr Bein kleben. Normalerweise wird so etwas in klinischen Studien untersucht, doch die fehlen bisher.
"None that I know of."
Er wisse nichts von solchen Studien, sagt Jaye Tyler. Hier besteht also noch großer Nachholbedarf.