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Fluchtspiele aus der Ego-Perspektive

Computerspiele greifen verstärkt tagesaktuelle Debatten auf. Und da seit dem vergangenen Jahr kein Tag vergeht, in dem das Thema Flüchtlinge nicht im Fernsehen, im Radio, in den Nachrichten oder Zeitungen auftaucht, darf es nicht verwundern, dass einige Games sich mit dem Thema Flucht beschäftigen. Das passiert in unterschiedlichen Varianten.

Von Julian Ignatowitsch | 25.05.2016
    Szene aus dem Mobile Game "Cloud Chasers"
    Szene aus dem Mobile Game "Cloud Chasers" (Blindflug Studios / Marchsreiter Communications)
    Ein Vater und seine Tochter verlassen ihr zu Hause. Vor ihnen liegt ödes Land: eine scheinbar endlose Wüste, hohe Sandhügel, ein paar Kakteen, in der Ferne ragt ein Felsen in den Himmel. "Cloud Chasers" heißt dieses Mobile Game, dass den Spieler auf eine gefährliche Reise schickt, bei der es nur ums Überleben geht.
    Spielexperte und Medienpädagoge Sebastian Ring sitzt vor seinem Tablet und steuert die Spielfiguren mit einfachen Handgriffen durch die Landschaft. Sebastian Ring:
    "Man hat die ganze Zeit Angst, dass einem was passiert. Man muss schauen, dass man an Wasser kommt, dass man was zu trinken hat. Man kann Höhlen erkunden, Lastwagen durchsuchen und muss schauen, dass man möglichst lange im Spiel überlebt und von Stadt zu Stadt kommt."
    Eine Fluchtgeschichte, die einen automatisch an die momentane politische Situation denken lässt, auch wenn "Cloud Chasers" keine realistischen Bezüge herstellt, sondern ganz im fantastischen Setting bleibt. Vater und Tochter wollen ins "Land über den Wolken" – eine Metapher, die man auch ohne Germanistikstudium sofort versteht.
    Games, die sich direkt oder indirekt mit der Flüchtlingskrise auseinandersetzen, erscheinen in diesen Tagen vermehrt auf dem Spielemarkt. Diese sogenannten "Serious Games", also ernste Spiele, sind meistens kleine Produktionen von Indie-Herstellern - und stehen für wenig Geld oder ganz kostenlos zum Download bereit.
    Ansprechend und abwechslungsreich
    "Cloud Chasers" oder das noch in der Entwicklungsphase befindliche "HomeBehind" sind kleine Rollenspiele, die den Schwerpunkt mal mehr auf moralische Entscheidungen und Ressourcenmanagement, mal mehr auf physische Auseinandersetzung legen. Optisch ansprechend, spielerisch relativ einfach und kontemplativ.
    "Das ist eher eine interaktive Geschichte. Man wird selber zum Agenten, man handelt selber, man kann Entscheidungen treffen, ich wähle diesen oder jenen Weg – und dadurch taucht man natürlich tiefer in eine Rolle ein. Aber was man von klassischen Computerspielen kennt, das man völlig im Flow abtaucht, weil es ein spannendes, actionreiches Spiel ist, das ist hier eher nicht der Fall."
    Während "Cloud Chasers" und "HomeBehind" das Thema Migration nur am Rand berühren, begeben sich sogenannte "Newsgames" mitten hinein in die Debatte. Journalistische Inhalte werden hier interaktiv aufbereitet, wie bei "Syrian Journey" von der BBC. Der Spieler vollzieht den Weg einer syrischen Familie nach Europa nach, entscheidet z.B., ob er die finanziell billigere, aber gefährlichere Seeroute oder den vermeintlich sichereren und teureren Landweg nimmt. Ähnlich ist das Spielprinzip bei "Refugee" vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Diese Spiele sind kaum mehr als Textinhalte mit Bildern. Die Information steht im Vordergrund. Man spielt echte Geschichten von echten Personen nach. Ring:
    "Es gibt auch viele Leute, die solche Spiele nicht spielen wollen, weil sie nicht mit dem Schicksal anderer Leute, mit einem ernsten Schicksal spielen wollen, was auch nachvollziehbar ist."
    Und dann sind da noch solche Spiele, die nah an der Grenze zur Kunst liegen. Wie zum Beispiel "Frontiers" oder "From Darkness" aus dem österreichischen Studio "goldextra". Fluchtspiele aus der Ego-Perspektive, die mit dokumentarischem Filmmaterial und Interviews kombiniert sind – aber schon aufgrund ihrer speziellen Publikationswege über das Portal "Steam" nur einen kleinen Kreis von Spielern ansprechen dürften.
    Fazit: Eine Bandbreite an verschiedenen Games zum Thema Flüchtlingskrise gibt es, allerdings fehlt ein Titel, der thematische Tiefe und spielerische Raffinesse vereint. Bisher heißt es: entweder – oder. Dass die großen Studios sich einer solchen Produktion annehmen? Kaum vorstellbar. Zu viel Ernsthaftigkeit ist erfahrungsgemäß doch eher schädlich fürs Geschäft.