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Neuer Kammermusiksaal für Berlin
Barenboims Vision

Der israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim gründete 1999 zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das "West-Eastern-Divan-Orchestra" - und realisierte damit eine Vision des friedlichen miteinander Musizierens. Nun wird bald ein weiterer Traum Realität: die Eröffnung des Pierre-Boulez-Saales.

Von Uwe Friedrich | 13.09.2016
    Der Dirigent Daniel Barenboim steht vor der Staatsoper in Berlin, die auch den neuen Pierre-Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie beherbergt
    Musikalischer Visionär in Berlin: Daniel Barenboim (Rainer Jensen / dpa)
    Musik: Boulez, Dérives 2
    "Pierre Boulez war eine der wichtigsten Figuren im 20. Jahrhundert, nicht nur ein ganz großer Komponist und Dirigent, aber auch jemand, der das ganze Konzertleben weltweit verändert hat."
    Der Pianist und Dirigent, Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, Gründer des West-Eastern-Divan-Orchestra und der Barenboim-Said-Akademie, Daniel Barenboim also, erklärt, warum der neue Berliner Kammermusiksaal nach dem französischen Dirigenten Pierre Boulez benannt wurde.
    "Vision, die Arbeit und die Kunst als Dirigent von Pierre Boulez ist die ganze Zweite Wiener Schule ein organischer Teil der Programmierung aller großen und nicht so großen Symphonieorchester."
    Der Intendant Ole Bækhøj möchte neues Publikum in seinen Saal locken und bietet deshalb "Musik für das denkende Ohr", so das Motto der ersten Saison, die eigentlich bloß ein viermonatiges Eröffnungsfestival ist:
    "Wir wollen ganz bewusst neues Publikum erreichen, neue Programmformate vorstellen, die Menschen neugierig machen und diese Neugier belohnen. Unsere Eröffnungssaison ist repräsentativ für unsere Vision: Ein Ort, an dem Musik entdeckt, erlernt und genossen werden kann."
    Am 4. März 2017 geht es los, selbstverständlich unter der musikalischen Leitung Daniel Barenboims. Mit von der Partie sind auch Jörg Widmann, der an der Barenboim-Said-Akademie Komposition unterrichten wird, Anna Prohaska aus dem Ensemble der von Barenboim geleiteten Staatsoper, das Boulez-Ensemble aus Mitgliedern der Berliner Staatskapelle, deren Chefdirigent auf Lebenszeit Barenboim ist und Daniels Geige spielender Sohn Michael Barenboim. Schon am ersten Abend wird also klar: Das ist eine Familienangelegenheit.
    "Und ein Schwerpunkt Schubert. 1997 hat Fischer-Dieskau die ganzen Schubertlieder in Programmen gemacht und junge Sänger dafür vorgeschlagen, so dass man zum Schubert-Jubiläum alle Lieder von Schubert hören konnte. Ich glaube, das Projekt zustande gekommen, aber Gott sei Dank haben wir die Programme bekommen und wir werden das Projekt in drei oder vier Spielzeiten bringen."
    Musik: Schubert, Rondo A-dur, D 951
    Die "Winterreise" mit Christian Gerhaher, begleitet von Daniel Barenboim, Schubert-Liederabende mit Roman Trekel und Michael Volle, schließlich seine sämtlichen Symphonien mit der Berliner Staatskapelle unter, klar, Daniel Barenboim. Aber auch Zeitgenössisches soll gefördert werden, Kompositionsaufträge gingen bereits an Jörg Widmann und Vladimir Tarnopolski, die Damascus Festival Players stellen neue arabische Musik vor. Lang Lang und Marta Argerich haben ihr Programm noch nicht bekannt gegeben, werden aber sicher für ausverkaufte Häuser sorgen.
    Wenn die Staatskapelle auf dem Podium sitzt, kann der Saal anders bestuhlt werden als für einen einzelnen Pianisten oder beispielsweise ein Streichquartett. Bis zu 680 Menschen fasst der Pierre-Boulez-Saal, in den kleineren Bestuhlungsvarianten entsprechend weniger. Durch die geschickte Anordnung von zwei ovalen Rangebenen scheinen die oberen Sitzreihen beinahe zu schweben, und doch sind selbst die entferntesten Plätze nicht weiter als 14 Meter von den Musikern entfernt. Der amerikanische Stararchitekt Frank Gehry hat den Pierre-Boulez-Saal perfekt in das ehemalige Magazingebäude der Staatsoper eingepasst.
    "Wir hatten nur wenig Spielraum. Wir zeigen nichts an der Fassade, wir haben die Foyers nicht gestaltet, wir sind nur am Saal beteiligt. Wenn ich ein Projekt beginne, mache ich erstmal einen sehr simplen Entwurf. Plätze vor dem Podium, hinter dem Podium. Ganz einfach. In einer ersten Besprechung hatte ich aber Ovale gekritzelt, die dann nicht mehr vorkamen. Daniel Barenboim fragte, wo denn die Ovale geblieben sind, er wollte etwas Besonderes. Ich sagte, wenn wir Hubpodien haben, wird das schwierig. Er antwortete, vergiss die Hubpodien. Auf dieser Grundlage waren die Ovale dann wieder möglich."
    Am 17. Oktober nimmt die Barenboim-Said-Akademie im selben Gebäude wie der Pierre-Boulez-Saal ihre Arbeit auf. Auch die Studentinnen und Studenten aus den Reihen des West-Eastern-Divan-Orchestra werden im Pierre-Boulez-Saal proben und auftreten und haben Zugang zu den Proben und Auftritten ihrer berühmten Kollegen. Der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann unterrichtet dann an der Akademie Komposition und spielt quasi auf der anderen Seite des Flurs Schubert, Weber und eigene Werke. Zur Barenboim-Said-Akademie und zum zeitlichen Ausmaß seiner eigenen Lehrtätigkeit dort wollte Barenboim bei der Programmvorstellung ausdrücklich nichts sagen. Nur am Rande erwähnte Intendant Ole Bækhøj das Budget für seine ambitionierte Programmierung.
    "Erstmal kann ich mehr oder weniger versprechen, dass wir keinen Profit machen werden. Es ist ein Projekt, das sehr eng zusammenhängt mit der Barenboim-Said-Akademie, der Pierre-Boulez-Saal. Ich kann heute nicht die Zahlen aufteilen zwischen Saal und Akademie. Ich kann sagen, dass als Etat vom Bundesministerium für Kultur und Medien eine Zusage ist für 5,5 Millionen als Etat und wir erwarten, dass unser Gesamtumsatz über 7 Millionen liegt. Aber wir werden natürlich auch Tickets verkaufen und wir arbeiten sehr ambitioniert daran, dass wir viele Leute erreichen. Aber ganz genaue Zahlen, wieviele Tickets wir verkaufen werden, kann ich natürlich heute auch nicht geben."