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Nicht mehr erste Liga

Erst zu wenige Besucher, dann zu viele. Ein Kurator Götz Adriani auf dem Absprung, der dann doch mit eineinhalb Beinen bleibt. Ausstellungen, die für Furor sorgen - oder für Leere: Die Kunsthalle Tübingen läuft Gefahr, an Renommee zu verlieren.

Von Christian Gampert | 25.07.2013
    Die Tübinger Kunsthalle hat eine ruhmreiche Vergangenheit. Die Gegenwart sieht nicht ganz so rosig aus: exzentrische Ausstellungen, dubiose Werbemaßnahmen. Götz Adriani agiert als Elder Statesman, der geschäftsführende Kurator verließ nun das Haus.

    Seit Götz Adriani die Tübinger Kunsthalle leitet, also seit deren Gründung 1971, gibt es nichts als Probleme. Zuerst war das Problem, dass keiner kam: Die Ausstellungen waren zu elitär, zu abgehoben, keiner verstand etwas. Jedenfalls meinten das die Tübinger. Aber das war in den 1970iger Jahren. Heute gelten Adrianis Ausstellungen zu Franz Erhard Walther, David Rabinovitch oder Joseph Beuys als Großtaten, als Wegweiser im Dickicht der Gegenwartskunst.

    Dann war das Problem, dass zu viele kamen. Die Tübinger Kunsthalle, ein kleiner Bau, ausgelegt für Ausstellungen mittleren Zuschnitts, brach fast zusammen unter dem Ansturm der Bildungshungrigen, die nun endlich die von Adriani entdeckten "Wegbereiter der Moderne" im Original anschauen wollten, von Cézanne bis Toulouse-Lautrec. Das war in den späten 1980iger und frühen 1990iger Jahren, und Tübingen galt plötzlich was in der Kunstwelt.
    Aber jedes goldene Zeitalter hat sein Ende. Adriani wurde umworben und ging doch nicht weg; die großen Kunstinstitute waren nicht sein Ding. Er wasleitete das "Museum für Neue Kunst" am ZKM, nicht immer in Kooperation mit Peter Weibel, er kuratierte für Frieder Burda, er schrieb manche Bücher und Kataloge. Vor allem aber blieb er mit eineinhalb Beinen an der Tübinger Kunsthalle, als eine Art Senior-Chef: Als Vorsitzender der inzwischen gegründeten Kulturhallen-Stiftung. Die Tagesarbeit erledigte ein so genannter geschäftsführender Kurator – derer gab es bislang zwei: den Fotospezialisten Martin Hellmold, der einige großartige Ausstellungen zuwege brachte, und den eher an schräger Gegenwartskunst interessierten Daniel Schreiber, der ebenfalls einige originelle Beiträge lieferte.

    Hellmold ließ den Job nach ein paar Jahren aus privaten Gründen sausen, Daniel Schreiber ging jetzt, offenbar auch für das Kunsthallen-Team völlig überraschend, als Direktor an das Buchheim-Museum im bayerischen Bernried. Nun ist es verständlich, dass jemand, der 47 Jahre alt ist, endlich selber ein Haus leiten möchte, zumal dieses Haus am Starnberger See liegt. Andererseits mehrten sich in letzter Zeit die Anzeichen, dass Daniel Schreibers leicht exzentrische Ideen nicht unbedingt dem Stil der Kunsthalle beziehungsweise: dem Stil Adrianis entsprachen. Neben einer relativ grellen Überblicksausstellung zum Fotorealismus und einer Retrospektive des englischen "Frauen-sind-Sofas"-Pop-Artisten Allen Jones zeigte er etwa die bizarren nackten Körper des Evan Penny, was in der Presse für einen schönen Furor sorgte. Eine Ausstellung zu dem spanischen Performance-Künstler Santiago Sierra hinterließ schon beim Presserundgang einen seltsamen Geschmack: Man sah zwar in Badewannenform gepresste menschliche Fäkalien, die indische Latrinenreiniger gesammelt hatten, aber ansonsten war die Ausstellung merkwürdig leer.

    Einen neuen Höhepunkt bildete nun die Schau der Stuttgarter Kunst-Professorin Birgit Brenner, die einen aus Pappteilchen gebastelten Unfall-LKW in die Kunsthalle stellte und an den Wänden Bremsspuren hinterließ. Obwohl das Kopfkino ihrer grafischen Arbeiten für schöne Irritationen sorgt, irritierte noch mehr die Ungeniertheit, mit der die Ausstellung beworben wurde: sogenannte "spektakuläre Verkäufe" Brenners auf der "Frieze Art Fair in New York" wurden stolz verkündet, ihr Galerist, ergo: Verkäufer Judy Lybke wurde in einer Pressemitteilung der Kunsthalle gefeiert. Brenner sei "höchst angesagt", hieß es. Eigenlob stinkt offenbar doch nicht.

    Es ist schwer vorstellbar, dass Götz Adriani an so etwas Gefallen findet. Daniel Schreiber residiert nun am Starnberger See und hat eine schöne Sammlung expressionistischer Kunst zu betreuen. Götz Adriani aber es im Prinzip egal sein, wer unter ihm Kunsthallen-Chef ist: Er wird als graue Eminenz auf ewig die Geschicke des Hauses bestimmen. Die Kunsthalle wird übrigens wegen Renovierungsarbeiten die nächsten eineinhalb Jahre ab September geschlossen. Nach dem ersten Bauabschnitt gibt es im März 2014 eine Ausstellung zum "Tübinger Vertrag" aus dem Jahr 1514. Einer der beiden Kuratoren: Götz Adriani