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Niedersachsen
Lehrer wehren sich gegen Mehrarbeit

Rund 300 niedersächsische Gymnasien und Kooperative Gesamtschulen haben bis auf Weiteres alle Klassen- und Kursfahrten gestrichen. Die Pädagogen protestieren damit gegen die Entscheidung der rot-grünen Landesregierung, dass Gymnasiallehrer eine Stunde mehr unterrichten müssen. Leidtragende des Konflikts sind vor allem die Schüler.

Von Alexander Budde | 14.01.2015
    In der Bismarckschule in Hannover sammeln sich die Streikenden. Alexia Kressel hat kurz vor dem Abmarsch noch eine Klausur geschrieben. Pflichtbewusst grübelte die politisch bewegte Schülerin der Klasse 10 über Fragen zum Buddhismus. Doch nicht der Gleichmut und die Duldsamkeit sind an diesem Morgen die gefragten Tugenden: Kressel will auf Klassenfahrt - und sieht die Zeit reif für Revolte:
    "Ab diesem Jahr findet gar nichts mehr statt, noch nicht einmal die erste, in der fünften Klasse findet statt, und die Abschlussfahrt sowieso nicht! Wir wollen uns nicht speziell gegen das Ministerium oder gegen die Lehrer richten, sondern wir wollen einfach dazu auffordern, dass diese beiden Parteien nicht in ihren Ecken einfach sitzen bleiben und rumschmollen, sondern, dass sie wirklich dann miteinander reden und versuchen, eine Lösung zu finden."
    An vielen der rund 300 Gymnasien und Kooperativen Gesamtschulen bieten Lehrer in diesem Schuljahr keine Klassenfahrten an. Ihr Boykott soll die rot-grüne Landesregierung unter Druck setzen. Die Gymnasiallehrer fühlen sich ungerecht behandelt, denn seit Beginn des Schuljahres müssen sie 24,5 und damit eine Wochenstunde mehr als bisher unterrichten. Gestrichen hat Rot-Grün auch die versprochene Altersermäßigung von einer Wochenstunde für Lehrer über 55 Jahre. Ob ausgerechnet der Verzicht auf Klassenfahrten das richtige Kampfmittel im seit Monaten schwelenden Konflikt um die Mehrarbeit ist, darüber streiten indessen auch die Lehrer.
    Die Empörung der Streikenden kann Lars Manns verstehen. Doch unter der Sparpolitik der Landesregierung litten Schüler und Lehrer gleichermaßen, sagt er. Manns, Politiklehrer an der Bismarckschule, Jahrgang 1979, wähnt sich auf der gleichen Seite der Barrikade.
    "Die Referendare, die heute ins Referendariat gehen, sind am Ende häufig schon frustriert, weil Niedersachsen weit zwei oder drei Stellen für ihre Fächerkombination ausgeschrieben sind. Weil man jetzt schon merkt, durch diese Mehrarbeit, es fehlen Stellen. Und das kann ja auch nicht Sinn einer innovativen Schule sein, wenn auf einmal wieder die jungen Jahrgänge an Kollegen mit ihren guten Ideen völlig wegbrechen!"
    Gymnasiallehrer im Landesvergleich im Mittelfeld
    Am Mittag stellt sich Frauke Heiligenstadt den rund 3.000 Protestierenden vor ihrem Amtssitz. Die Kultusministerin von der SPD stellt fest, dass ihr die Hände gebunden seien. Lehrer sind zu Klassenfahrten, die sie aufwendig vorbereiten und oft auch aus eigener Tasche finanzieren, nicht verpflichtet.
    "Ich habe den Schülern deutlich gemacht, dass ich es bedauere, dass Klassenfahrten nicht stattfinden. Ich finde das sehr schade! Ich denke, wir haben wirklich ganz viel an zusätzlichen Entlastungen beschlossen, wie die Verkleinerung der Klassen, wie aber auch zum Beispiel die Einführung eines Abiturs nach 9 Jahren, in dem es auch noch zusätzliche Klassenlehrer-Stunden geben wird und Förderstunden."
    Im Ländervergleich finden sich Niedersachsens Gymnasiallehrer mit ihren 24,5 Wochenstunden im Mittelfeld wieder. Die Ministerin hat eine "Zukunftsoffensive Bildung" ausgerufen, und wie so oft in der Politik, geht es auch bei dieser Reform zuallererst ums Geld. 80 Millionen Euro spart die Landesregierung mit der Verlängerung der Unterrichtszeit für die Gymnasiallehrer nach eigenen Angaben ein. Ganztagsschule, Kita-Ausbau, Inklusion - dringend würden die so frei werdenden Mittel gebraucht.
    "Wir müssen ja ständig Reformen bewältigen! Da wird behauptet, dass die Klassen kleiner werden. Die Klassengröße ist immer noch bei 30 Schülern in der Mittelstufe. Entlastung soll sein, dass weniger Klausuren geschrieben werden sollen. Mein Gott! Davon haben die Schüler nicht viel, vor allem leidet darunter die Qualität des Abiturs. Das wollen wir nicht!"
    Bekundet Horst Audritz - und der streitbare Vorsitzende des Philologenverbandes macht den streikenden Schülern, die auch in heimsuchen, wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung im Konflikt.
    Den langen Atem haben auch die Schüler, sagt Alexia Kressel. Ihr Protest, sagt sie am Ende trotzig, werde weitergehen.
    "Es gab Ideen, dass wir zum Beispiel die Tafel nicht mehr wischen werden. Aber das ist auch irgendwie schwierig, weil es ein Schuss ins eigene Bein wäre. Also, wir versuchen es erst mal mit dem Streik und gucken, ob sich da irgendwas regt, genau!"