Freitag, 10. Mai 2024

Archiv


Nutznießer des Menschen

Umwelt. - Städte sind groß, grau und kahl. Das war viele Jahrzehnte lang die feste Überzeugung der meisten Naturschützer. Aber dieses Bild stimmt nicht. Immer mehr Pflanzen und Tiere folgen den Menschen und passen sich an das Leben in der Stadt an.

Von Monika Seynsche | 30.05.2008
    "Ich hatte das Glück in Berlin zu studieren. In West-Berlin genauer gesagt. Eingemauert. Und die Botaniker, die Biologen haben halt dort mehr vor ihrer eigenen Haustür geschaut als anderswo."

    Und dabei eine überraschende Vielfalt entdeckt, erzählt Ingo Kowarik. Er ist mit kurzen Unterbrechungen in Berlin geblieben und hat an der Technischen Universität die Stadtökologie zu seinem Spezialgebiet gemacht. Die umfasse wesentlich mehr als die üblichen Verdächtigen, wie Ratten, Kakerlaken und Tauben meint auch Frank Klingenstein vom Bundesamt für Naturschutz in Bonn.

    "Denken Sie mal an den Mauersegler, die kommen eigentlich von Felsen, weil die brüten eben auf so Felsritzen, brauchen die. Und die Städte schaffen dann Standorte für die in alten Gemäuern, Häusern, unter den Dachrinnen irgendwo, wo so Ritzen sind. Na ja, und die haben hier einen tollen Lebensraum gefunden und sind dadurch auch viel häufiger geworden als sie in der Naturlandschaft waren."

    Aber von der Erkenntnis, dass Städte sogar artenreicher sind als die umgebende Landschaft waren die meisten Forscher dann doch überrascht. Kowarik:

    "Das liegt daran dass hier einerseits sehr viele unterschiedliche Lebensräume auf engstem Raum zusammen vorkommen, dass viele Relikte ursprünglicher Lebensräume, Wälder Moore, Felder, in der Stadt vorhanden sind und drittens, dass Städte Ausbreitungszentren für neue Arten sind, für Neophyten, die dann auch die Stadtflora sehr stark kennzeichnen."

    Solche Neophyten sind Pflanzen aus anderen Teilen der Welt, die vom Menschen bewusst oder unbewusst hierhergebracht wurden. Und noch eines komme hinzu – Störungen. In jeder Stadt gibt es Bauflächen, Brachen, Erdarbeiten und scharrende Hunde. Und sie alle liefern ideale Lebensbedingungen für Pflanzen die offenen Boden brauchen, um wachsen zu können. Eine solche Art ist der Heilige Pippau, ein Unkraut, das mit Vorliebe die Baumscheiben auf Bürgersteigen besiedelt. Dieses Frühjahr haben französische Forscher beobachtet, dass der Heilige Pippau extra schwere Samen entwickelt hat, die nicht mehr mit dem Wind auf die Straße oder in die Kanalisation geweht werden, sondern einfach auf das Fleckchen Erde direkt neben der Mutterpflanze plumpsen. Ingo Kowarik ist begeistert von der Entdeckung seiner französischen Kollegen:

    "Das war sensationell, weil es ein Beispiel ist für eine Mikroevolution, Anpassung an urbane Standorte im Zuge von vielleicht zehn, zwanzig Generationen. Das ist eine kurzlebige Art, es geht also innerhalb von zehn, zwanzig Jahren, dass sich Arten an spezifische städtische Bedingungen anpassen."

    Städte sind nicht nur kleinräumiger und gestörter als die Umgebung, sie sind auch trockener und durchschnittlich um etwa zwei Grad wärmer als das Umland. Und das macht sie für Ökologen besonders interessant. Denn wer es schafft, unter diesen Bedingung zu überleben, könnte sich in wenigen Jahren auch außerhalb von Städten wohlfühlen, vermutet Frank Klingenstein vom Bundesamt für Naturschutz.

    "Man muss jetzt in den Städten gucken, was da passiert, was da verwildert, und von da aus werden quasi Zentren sein der Ausbreitung dann in das Umland."

    Jetzt schon entdecken die Botaniker tropische Südfrüchte, die in der Nähe von Gemüseläden verwildern und immergrüne Zierpflanzen die aus Gärten in nahegelegene Parks oder Wälder auswandern.