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Olympia 2016
Brasiliens Volleyball in der Krise

Der wichtigste Volleyball-Sponsor hat seine Zahlungen ausgesetzt, das Test-Turnier für Olympia 2016 wurde abgesagt und die Spieler demonstrieren gegen ihren Verband CBV. Zwischen ihm und dem Weltverband eskaliert inzwischen ein Streit, der Brasiliens Medaillenhoffnungen bei den Spielen in Rio de Janeiro gefährden könnte.

Von Carsten Upadek | 10.01.2015
    Brasiliens Nationaltrainer Bernardinho trainiert auch die Volleyball-Damen von Rexona AdeS aus Rio de Janeiro
    Brasiliens Nationaltrainer Bernardinho trainiert auch die Volleyball-Damen von Rexona AdeS aus Rio de Janeiro (DLF / Carsten Upadek)
    In der ersten brasilianischen Volleyball-Liga der Frauen ist das Spiel zwischen Rio de Janeiro und Osasco aus dem Bundesstaat São Paulo ein Klassiker. Die Halle im Norden von Rio ist voll, das Fernsehen überträgt live. Volleyball ist bei den Zuschauern in Brasilien zur beliebtesten Sportart nach Fußball geworden. Der Gastgeber gewinnt deutlich mit 3:0 und verteidigt damit seinen Platz an der Spitze der Superliga. Die Fans warten auf die Spielerinnen, um Autogramme zu bekommen. Doch hinter den Kulissen brodelt es, sagt Hélina Pinto, genannt Fofão, Olympia-Siegerin 2008 in Peking.
    "Wir Athleten wollen retten, was zu retten ist. Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas passieren könnte. Ich bin traurig, weil das Bild des Volleyballs in Brasilien beschmutzt wurde."
    Über das Jahr 2014 strahlte der TV-Sender ESPN Brasil mehrere Reportagen über Unregelmäßigkeiten bei den Sponsoren-Geldern aus, die die Staatsbank Banco do Brasil dem brasilianischen Volleyballverband CBV zahlt. Die Vorwürfe bestätigte Mitte Dezember die Bundes-Generalinspektion Brasiliens. Deren offizielle Untersuchung ergab, dass zwischen 2010 und 2013 umgerechnet knapp zehn Millionen Euro illegal an Firmen geflossen sind, die als Vermittler auftraten. Zitat:
    "Die beauftragten Firmen sind in Besitz von Führungskräften und Ex-Führungskräften des Verbandes oder deren Familienmitgliedern."
    Etwa den Schwiegersöhnen von Ary Graça. Der steht im Zentrum der Untersuchungen. Ary Graça war in der fraglichen Zeit der Präsident des Brasilianischen Volleyball-Verbandes CBV. Inzwischen ist er zum Vorsitzenden des Welt-Verbandes aufgestiegen. Zu den ersten Berichten hatte er noch im März 2014 schriftlich mitteilen lassen:
    "Ich kann die Anschuldigungen nur als feige und neidisch zurückweisen. Sie verstecken sich hinter der Anonymität einer nicht genannten Quelle!"
    Zur Bestätigung der Anschuldigungen durch die Behörden äußerte sich Ary Graça nicht. Aber die Staatsbank reagierte: sie fror noch am gleichen Tag ihre Zahlungen an den Verband CBV ein. Die Banco do Brasil ist deren Hauptsponsor und überweist seit 1991 jährlich knapp 22 Millionen Euro. Veteranin Fofão befürchtet, das werde sich auf die Qualität des brasilianischen Volleyballs auswirken:
    "Das Geld wird fehlen! In der einen oder anderen Art ist der ganze Volleyball daran gebunden. Die Banco do Brasil investiert und fördert den Sport seit ich in der Nationalmannschaft bin, das sind viele Jahre. Diese lange Partnerschaft scheitern zu sehen, ist schade."
    Streit mit Weltverband
    Nur einen Tag nach dem Unterschlagungs-Skandal erreichte den brasilianischen Volleyball-Verband eine Nachricht des Weltverbandes: Die FIVB verkündete Strafen gegen drei Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft und gegen Trainer Barnardo Rezende, genannt Bernardinho. Der wurde für zehn internationale Spiele gesperrt. Angeblich hat das nichts mit dem Skandal in Brasilien zu tun, sondern mit der WM in Polen im vergangenen September. Da unterlag die brasilianische Herren-Nationalmannschaft dem Gastgeber im Finale unglücklich. Nach einem nervenaufreibenden Spiel flog ein Handtuch gegen den FIVB-Tisch und die Brasilianer erschienen auch nicht zur Pressekonferenz. Stattdessen machte sich Trainer Bernardinho im Interview mit dem Sender SporTV Luft:
    "Das waren so viele hässliche Dinge, die hier passiert sind! Der Weltverband agiert auf unterstem Niveau! Ich habe Dinge gesehen, die uns destabilisieren sollten."
    Trainer Bernardinho fühlte sich während der WM in Polen benachteiligt und machte dafür den Präsidenten des Weltverbandes verantwortlich: Ary Graça – gleichzeitig Hauptakteur im brasilianischen Sponsorengelder-Skandal. Ins Rollen hatte den der Journalist Lúcio de Castro mit seinen Recherchen gebracht.
    "Ohne Zweifel war die Bestrafung eine Vergeltung vom Präsidenten des Weltverbandes Ary Graça, weil Bernardinho und die Spieler gegen Korruption protestiert haben. Zehn Spiele Sperre? Das ist eine Vergeltung und ein Versuch, sie mundtot zu machen."
    Verzicht auf Testturnier
    Auf diesen Versuch des Weltverbandes reagierte die brasilianische Föderation CBV: sie kündigte an, auf die im Juli geplante Ausrichtung der Finalrunde der Volleyball-Weltliga in Rio de Janeiro zu verzichten. In der Mitteilung der CBV heißt es:
    "Die CBV lehnt die Haltung des Weltverbandes ab – einen Tag nachdem sein Präsident Ary Graça erneut ins Zentrum der Berichterstattung in Brasilien geraten ist. Das ist eine klare Vergeltung für die Haltung der CBV im Bezug auf die vorgelegten Beweise der Generalinspektion über Unregelmäßigkeiten."
    Doch das sei ziemlich opportunistisch, sagt Journalist Lúcio de Castro. Die heutige CBV-Spitze distanziere sich von Ex-Präsident Graça, obwohl sie 23 Jahre mit ihm zusammengearbeitet habe. Ihr hat die Bundes-Generalinspektion nun Maßnahmen zur inneren Reform verordnet. Doch Lúcio de Castro findet, es bedürfe externer Kontrollen:
    "Wir haben ein großes Vakuum bei der Überwachung des Sports. Es geht um viel Geld, viel öffentliches Geld und es gibt wenig Kontrolle. Wir sprechen von einer Konföderation, deren Management als Vorbild für andere Verbände gilt, sogar Preise dafür gewonnen hat. Aber unter dem Teppich ist da viel Dreck. Der brasilianische Volleyball steckt ohne Zweifel in seiner schlimmsten Krise."
    Er schätzt, dass die Gelder nach kleineren Reformen wieder fließen werden. Zumal sich selbst der Präsident des brasilianischen Olympia-Komitees eingemischt- und gefordert hat, das Sponsoring fortzusetzen, um die Medaillen-Hoffnungen bei den Olympischen Spielen nicht zu gefährden. Die Brasilianer wollen 2016 unter besten zehn Nationen kommen. Für dieses Ziel sind Medaillen bei Volleyball und Beachvolleyball fest eingeplant.
    "Es ist eine Tragödie, sich zu überlegen, dass der Präsident des Nationalen olympischen Komitees besorgt ist um vier Medaillen und nicht darum, eine effektive Kontrolle öffentlichen Geldes einzuführen. Scheiß auf die Medaillen – es muss gesellschaftlich etwas passieren!"
    Die Generalinspektion hat ihre Erkenntnisse an die Bundes-Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die könnte Ermittlungen gegen den brasilianischen Volleyball-Verband einleiten und gegen Ary Graça, den Präsidenten des Weltverbandes.