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"Ostrale 2012" - Ort der künstlerischen Entdeckungen

Unprätentiös und weitgehend theoriefrei zeigt sich die "Internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst" in den Gebäuden eines ehemaligen Schlachthofs in Dresden. Viele Künstler sind international noch unbekannt - aber so ist es auch beabsichtigt.

Von Carsten Probst | 14.07.2012
    Es ist nicht die ganz große Kunst, die man in den historischen Hallen der Dresdner Ostrale zu sehen bekommt. Die Namen der meisten Künstler sind kaum national oder international bekannt, aber so ist es auch beabsichtigt. Kurator Martin Müller setzt weniger auf herausragende Einzelpositionen, als auf einen dichtgesteckten Parcours aus Arbeiten, die sich mit den alten Schlachthofgebäuden gut verbinden lassen. Die Räume im Stil der sogenannten Heimatarchitektur vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeichnen sich durch ländliche Bauweise mit Fachwerk und roh verputzten Ziegelwänden aus, sind lichtarm und dürfen als schwer bespielbar gelten. Die Beleuchtung wurde hier nur notdürftig installiert, von Hochglanzpräsentationen kann keine Rede sein.

    Gerade das macht den Reiz der Ostrale aus. Es geht unprätentiös zu. Man gibt sich weitgehend theoriefrei und setzt auf die Überzeugungskraft der Bilder selbst, wie es heißt. Praktisch von Beginn an war die Ostrale ein Ort der Entdeckungen, gerade Galeristen kleinerer Galerien kommen gern hierher, um Neues zu finden, das sonst womöglich in den Niederungen regionaler Künstlerverbände versteckt bliebe.

    Das Auswahlverfahren für die Ostrale ist eigen und würde an arrivierten Kunststandorten vermutlich für Skandale und Vorwürfe der Intransparenz sorgen. In Dresden jedoch funktioniert es – noch. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer wählt Kurator Martin Müller in Absprache mit der Ostrale-Gründerin Andrea Hilger und Co-Kurator Benjamin Fleig selbst aus, als Grundgerüst, wie er sagt. Die andere Hälfte wird über einen Open Call ermittelt, an dem sich Künstler aus aller Welt beteiligen können. Die Zahl der Bewerber schwankt dem Vernehmen nach jährlich zwischen 500 und 700. Für die Auswahl zählen dann weder Lebenslauf noch Referenzen, beteuert Müller, allein das eingereichte Bildmaterial. Fürsprachen von Galerien oder Institutionen sind nicht zulässig. Fast beschwörend möchte man den Eindruck der Abgehobenheit und des Kunstmarktgeschachers vermeiden. Es ist ihre Bodenständigkeit, die den wachsenden Anklang der Ostrale beim Publikum ausmacht.

    In Dresden, diesem nach wie vor schwierigen Pflaster für Gegenwartskunst, setzt man auf Kommunikation. Ein Großteil des Ostrale-Begleitprogramms besteht aus pädagogischen Angeboten, um gerade Jüngere an die Gegenwartskunst und an das Kunst-Machen heranzuführen. Es gibt Besucherateliers und Mitmachkurse, die Ostrale ist im Grunde genommen ein riesiges kulturelles Bildungszentrum.

    Zu einem der Herzstücke und Alleinstellungsmerkmale der Ostrale hat sich mittlerweile das von Martin Müller mitinitiierte Kunstakademien-Netzwerk "International Art Moves" entwickelt. Jährlich werden mehrere Kunstakademie aus aller Welt eingeladen, Studenten-Projekte auf der Ostrale zu realisieren. In den ehemaligen Futterställen des Schlachthofes sind teilweise bemerkenswerte Gesamtinstallationen oder kleine Einzelpräsentationen zu sehen, etwa von der Akademie für Kunst und Design aus dem polnischen Wroclaw, oder von Kunsthochschulen aus Peru, Hongkong, Montenegro oder Beirut, von denen man in Deutschland normalerweise nicht gerade selbstverständlich etwas zu sehen bekommt und an denen sich hier direkt die Behauptung eines global einheitlichen Kunstmarktes überprüfen lässt.

    Stilistische Vorgaben gibt es auch sonst auf der Festivalsausstellung nicht. Klassisch-expressive Holzskulpturen der Aachener Bildhauerin Brele Scholz haben ebenso Platz wie filigrane Licht-Sound-Installationen des Grafikanimateurs Ludwig Kuckartz. Plakatkünstler Klaus Staeck ist als Special Guest mit einer Plakatwand vertreten, und als Highlight gelten die "Familienbäume", mit Fotografien versehene Holzskulpturen der amerikanischen Konzeptkünstlerin und Politikergattin Emilie Brzezinski.

    Doch deutlich zu spüren ist: Die Ostrale ist am Wendepunkt. Das Teilnehmerfeld wirkt , zumindest was die Künstler aus Deutschland betrifft, etwas einseitig auf Nordrhein-Westfahlen fixiert, dem Bundesland, aus dem Kurator Martin Müller stammt. Je mehr Besucher und Sponsoren sich für die Ostrale interessieren, desto lauter wird die Forderung nach größerer Vielfalt und Qualität bei der Auswahl werden. Es könnte spannend werden für die Gegenwartskunst in den nächsten Jahren in Dresden.