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Paris
Von allen deutschen Buchhändlern verlassen

Die deutschen Buchhandlungen in Paris waren immer mehr als bloß Buchhandlungen, sie waren Kulturvermittler. Doch schon bald könnte es keine mehr geben. Und das hätte nicht nur wirtschaftliche Gründe.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 02.01.2015
    Die deutsche und die französische Nationalflagge wehen aus Anlass des Besuches von Frankreichs Regierungschef Manuel Valls vor dem Bundeskanzleramt in Berlin am 22.09.14.
    Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen sind merklich abgekühlt. (afp / Odd Andersen)
    Wenn in irgendwelchen Sonntagsreden von Europa die Rede ist, von der Freundschaft und dem Zusammenwachsen der Völker und Nationen, von einer Schicksalsgemeinschaft, der bloß noch ein bisschen das Bewusstsein einer solchen fehle, dann fällt unweigerlich das Zauberwort Kultur. Und wahrhaftig: Es werden vielfältige Anstrengungen unternommen, um diese europäische Kultur, die es nicht gibt und die höchstens in einem Austausch der verschiedenen Kulturen bestehen kann, zu fördern.
    Besonders wichtig dabei sind, wie wir seit den Freundschaftsverträgen von Versailles wissen, die deutsch-französischen Beziehungen: Nicht nur, weil die beiden Länder die wirtschaftlichen Schwergewichte unseres Kontinents bilden, nicht nur, weil sie einander über lange Zeit in kriegerischer Rivalität gegenüberstanden, sondern auch, weil sie die führenden Kulturnationen sind und jede der beiden von der anderen auf tiefgründige Weise fasziniert ist.
    Den wichtigsten Faktor dieser kulturellen Faszination bildet die Literatur. Wenn wir an Frankreich denken, denken wir an den Mythos einer wirkmächtigen, intellektuellen Publizistik, an eine Kultur des Schreibens und Streitens, die mit dem Namen Paris verbunden ist, sowie an eine außerordentlich lebhafte und selbstbewusste Literaturszene – und weil Paris so ein besonderer Ort des Wortes ist, hatten und haben deutsche Autoren schon immer das Bedürfnis, daran teilzuhaben und dort präsent zu sein.
    Bedeutendere Rolle als in Rom, Helsinki oder Buenos Aires
    Aus diesen Gründen spielen deutsche Buchhandlungen in Paris eine andere, bedeutendere Rolle als etwa in Rom, Helsinki oder Buenos Aires. Die deutschen Buchhandlungen in Paris waren immer mehr als bloß Buchhandlungen. Sicher, es gibt auch ein Goethe-Institut in Paris, das ein Kulturprogramm veranstaltet und über mehr Mittel verfügt als jede Buchhändlerin und jeder Buchhändler. Aber letztlich beruht alle Kultur immer auf privater, individueller Initiative – und Schriftsteller, die ja immer auch Unternehmer sind, fühlen sich in einer Buchhandlung besser aufgehoben als in der Außenstelle einer Organisation am langen Arm des Auswärtigen Amtes.
    Es bestehen zurzeit noch zwei deutsche Buchhandlungen in Paris. Die eine mit Namen Marissal ist ein Ableger des gleichnamigen traditionsreichen Geschäfts am Hamburger Rathaus. Auch in Paris befindet sich Marissal in bester Stadtlage, gleich hinter dem Centre Pompidou. Doch der Inhaber sieht keine wirtschaftliche Perspektive mehr und will in den nächsten Wochen schließen. Der andere, viel kleinere deutsche Buchladen am Montmartre wird aufhören zu existieren, weil die Gründerin Gisela Kaufmann in Rente geht.
    Zu diesem traurigen Resultat des Niedergangs führen zwei ganz verschiedene Ereignisstränge. Einerseits trifft die überall fühlbare Krise des Buchhandels jene Spezialisten auf Außenposten besonders hart. Im Zeitalter von Amazon und angesichts der Möglichkeiten globalen Direktversands können die Buchhändler ihre Logistikspesen immer schwerer gegenüber den Kunden rechtfertigen.
    Abgekühlte Kulturbeziehungen
    Andererseits kühlen die deutsch-französischen Kulturbeziehungen merklich ab, wie zuletzt das peinliche Theater um die Einladung Frankreichs als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2017 gezeigt hat – und auch Deutschland wird in diesem März nicht am Pariser "Salon du livre" teilnehmen, jedenfalls nicht mit einem offiziellen Stand.
    Es könnte also wirklich passieren, dass es – zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg – keine deutsche Buchhandlung in Paris mehr gibt. Bis jetzt hat sich zwar noch jedes Mal, wenn es dahin zu kommen drohte, jemand gefunden, der die Tradition weiterführte. Aber so schlecht wie heute waren die Voraussetzungen nie.