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Podiumsdiskussion zum SED-Unrecht
Gauck: "Aufarbeitung gelungen"

Die juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts ist nach Einschätzung von Bundespräsident Gauck insgesamt gelungen. Allerdings habe man die SED-Führung nicht genügend im Blick gehabt, räumte er bei einer Veranstaltung des Deutschlandfunks ein. Gauck begrüßte die Äußerungen des neuen thüringischen Ministerpräsidenten Ramelow zum SED-Unrecht.

10.12.2014
    Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 10.12.2014 in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Berlin.
    Gauck hält die juristische Aufarbeitung des SED-Unrechts für gelungen. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    "Wir haben das Richtige getan. Wir haben möglicherweise einen Fehler gemacht": Das Werkzeug der regierenden Partei, die Stasi, sei stärker sanktioniert worden als die Parteiführung selbst, erklärte Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Gesprächsrunde in der Bundesstiftung Aufarbeitung in Berlin. "Wir hätten genau definieren müssen, wer in der SED die Macht gehabt hat." Ansonsten sei aber das meiste bei der juristischen Aufarbeitung richtig gemacht worden.
    Die Gesprächsrunde stand unter dem Titel "Recht und Gerechtigkeit. Der Umgang mit dem SED-Unrecht im vereinten Deutschland". Die Aufzeichnung der Gemeinschaftsveranstaltung von Bundespräsident, der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Deutschlandfunks ist in der Sendung "Zur Diskussion" zu hören. Neben Gauck nahmen an der Diskussion auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld sowie der Psychologe und Schriftsteller Jakob Hein teil.
    Gauck räumte ein, dass viele Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung vom Rechtsstaat enttäuscht gewesen seien, weil nur wenige Beschuldigte tatsächlich verurteilt wurden. Auch er persönlich sei enttäuscht gewesen. Er betonte, nicht jede Schuld gehöre vor einen Richter. Die richtige Instanz etwa für die moralische Schuld sei die Öffentlichkeit. Der Bundespräsident plädierte, auch die Medien müssten zur weiteren Aufarbeitung beitragen. Die ostdeutsche Gesellschaft sei hier "schon viel weiter als vor 20 Jahren". Aber "Mentalitätswandel ist ein so langsamer Prozess, da verschätzt man sich meistens."
    Gauck begrüßt Ramelows Äußerungen zu DDR-Unrecht
    Ausdrücklich begrüßte Gauck die Ankündigung des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, das SED-Unrecht in der DDR aufarbeiten zu wollen. "Die Bemühungen des neuen Ministerpräsidenten, Glaubwürdigkeit zu erlangen, respektiere ich", sagte der Bundespräsident. "Sie sind mir aufgefallen. Er hat es sehr deutlich gemacht." Nach diesen Worten müsse es aber auch konkrete Schritte geben, etwa bei den Lehrplänen in den Schulen. Wenn sich wirklich etwas ändere, der Respekt vor den Opfern wachse und eine Einsicht erfolge, "dann haben wir viel erreicht".
    "Wir wollen doch nicht einfach hier Linken-Bashing betreiben", betonte Gauck. Die Linke werde deshalb kritisiert, weil es Defizite bei einer aufklärerischen Politik gebe. Wenn diese bei der Aufklärung beseitigt würden, "dann werden wir damit fair und seriös umgehen - und werden uns darüber hinaus sogar darüber freuen."
    Papier: Wichtig, dass Aufarbeitung nach Regeln des Rechtsstaats erfolgte
    Die DDR-Bürgerrechtlerin Lengsfeld erklärte, vielen sei heute nicht mehr klar, dass die Linke"keine neugegründete Partei ist, nicht einmal eine rundum erneuerte Partei, sondern die viermal umbenannte SED". Die "Alltagsdiktatur" sei das Entscheidende in der DDR gewesen. Die Menschen seien der Willkür von Parteifunktionären ausgeliefert gewesen. Der Schriftsteller Jakob Hein warnte vor einem Verblassen des Interesses an der DDR-Vergangenheit.
    Es sei wichtig, dass die Aufarbeitung "nach den Regeln des Rechtsstaates erfolgte" - und nicht etwa von Rache getrieben wurde, verwies der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Die Gesellschaft könne stolz sein, dass dies gelungen sei - wenngleich es einige zu milde Urteilte gegeben habe. Er sei auch skeptisch, ob es richtig war, das Honecker-Verfahren einzustellen. Das war seiner Meinung nach eine Fehlentscheidung des Berliner Verfassungsgerichts.
    (kis/ach)