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Politologe Abdel-Samad
"Der Islamische Staat ist das legitime Kind von Mohammed"

Der Islam sei nicht zu retten und nicht reformierbar, denn "Gottes Wort kann man nicht reformieren", sagte Hamed Abdel-Samad im DLF. Der deutsch-ägyptische Politologe rechnet in seinem neuen Buch "Mohammed" mit dem Propheten ab: "Wir müssen uns heute befreien von den multiplen Krankheiten, an denen Mohammed und seine Gemeinschaft gelitten haben."

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Andreas Main | 07.10.2015
    Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägypischer Politologe und Autor, aufgenommen am 22.08.2013 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Ägypten zwischen Glaube und Gewalt - erwartet der Westen zu viel?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Hamed Abdel-Samad: Ich sehe eine unglaubliche Arbeitsteilung, die gefährlich ist - zwischen Fundamentalisten, Islamwissenschaftlern und liberalen Muslimen. (dpa picture alliance/ Karlheinz Schindler)
    Andreas Main: Hamed Abdel-Samad, bei Ihnen in Ihrem Buch "Mohammed" bleibt nicht viel Positives übrig an Mohammed, wenn man Ihre Dekonstruktion zugrunde legt. Jetzt frage ich mal den, der sich ausgesprochen kritisch gibt und der sich abarbeitet an diesem Mann des 7. Jahrhunderts: Was finden Sie ohne Abstriche positiv an Mohammed?
    Hamed Abdel-Samad: Mohammed war ein sehr sensibler Visionär. Er war ein gekränkter Außenseiter, der seine Gesellschaft verändern wollte und anfangs mit der friedlichen Botschaft diese Gesellschaft nicht verändern konnte. Und deshalb musste er seine Welt dekonstruieren, eigentlich vernichten, um sie in seinem Sinne wieder herzustellen. Er hat natürlich eine gute Soziallehre entwickelt, die für Muslime bis heute positive Aspekte hatte. Er war kein Teufel. Und ich dämonisiere ihn nicht. Ich versuche nur ihn als Mensch, als einen Menschen zu beleuchten, der nicht durch göttliche Eingebungen, Offenbarungen gehandelt hatte, sondern von seinen eigenen Trieben, seinen eigenen Ängsten, von seinen eigenen politischen Motiven gesteuert war. Und wenn man sein Handeln nach menschlichen Maßstäben bewertet, dann kann man ihn entmystifizieren und kann auch viele Probleme, die wir heute in der islamischen Welt haben, auch lösen: in Bezug auf Umgang mit den Frauen, Umgang mit den sogenannten Ungläubigen und auch Umgang mit Gewalt und Dschihad.
    Main: Zu dieser Analyse kommen Sie auf der Basis des Koran und der Hadithe. Nehmen Sie damit diese Texte nicht genau ernst und buchstäblich wie jene auf der ganz anderen Seite, die womöglich sehr orthodox diese Texte ernst nehmen. Sprich – sind es nicht eigentlich eher Glaubenstexte? Und Sie nehmen sie als historische Texte?
    Abdel-Samad: Ich nehme die Texte wahr und unterscheide im Buch zwischen drei Sorten von Texten, die zu Mohammed geschrieben worden sind. Texte, die ich für den Kern des historischen Mohammed halte, und das sind die Texte, die seine persönlichen Schwächen beschreiben, die ihn als Mensch beschreiben, den Werdegang, dass er Händler war, dass er kriegerisch war. So was muss man nicht erfinden. Dann kommen dazu Texte, die ihn so dermaßen glorifizieren, von Wunder sprechen und so weiter, die halte ich natürlich für erfundene Texte, die für theologische oder politische Zwecke erfunden worden sind. Dann kommen Texte, die verschwunden sind, weil diese Biografie immer bearbeitet wurde – viele Texte davon sind verschwunden. Und ich glaube, das sind die Texte, die ihn diskreditieren, die noch mehr von seinen Schwächen erzählen. Und ich versuche aus den unterschiedlichen Biografien, das herauszufiltern, was zu der Chronologie des Korans passt. Dann sieht man schon die Entwicklung einer gekränkten Persönlichkeit. Er hat in Mekka 13 Jahre lang Frieden gepredigt, aber es hat nicht funktioniert, er hatte kaum Anhänger. Dann musste er nach Medina gehen und dann baute er eine Armee auf, überfiel Karawanen. Und da fing eine neue islamische Ökonomie an, die auf Kriegsbeute und Sklavenhandel ausgerichtet war. Erst dann kam er Erfolg, kamen Scharen von Stämmen, die seine Botschaft angenommen haben, obwohl die gleichen Stämme seine Botschaften damals, als sie friedlich war, zurückgeschlagen haben. So kann man schon die Entwicklung sowohl in seiner Biografie als auch im Koran nachvollziehen.
    Main: Hamed Abdel-Samad, der aus meiner Sicht schwerste Vorwurf, den Sie an die Adresse Mohammeds erheben, ist der, dass Sie sagen, die Terroristen des Islamischen Staates würden eben genau die Werte leben, die Mohammed propagiert hat. Wie belegen Sie diese direkte Linie von Mohammed zum IS?
    Abdel-Samad: Erst einmal seine Taten. Also, es gibt nichts, was der IS macht, was Mohammed seinerzeit nicht getan hat – und seine Gefährten. Nämlich die Enthauptung von Kriegsgefangenen. Es war übrigens sogar im 7. Jahrhundert ein Tabu. Und Mohammed hat dieses Tabu gebrochen und hat Hunderte von Kriegsgefangenen, die sich ergeben haben, enthaupten lassen. Die Vergewaltigung von Frauen, die als Kriegsgefangene, als Kriegsbeute für Muslime galten – das hat Mohammed sogar auch im Koran verankert. Die Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, dieser Hass auf Ungläubige, dass sie schlimmer sind als die Tiere – das steht im Koran – das hat Mohammed so propagiert, vor allem in den letzten Suren des Korans. Die Haltung insgesamt zu Frauen, die Gesellschaftsbilder, diese Durchregulierung, dass alles nach den Regeln des Islam ablaufen sollte. Woher hat der IS all das? Der IS ist für mich das legitime Kind von Mohammed und seiner ersten Gemeinde. Sie eifern ihm nach, sie kommen nicht zu Recht im 21. Jahrhundert und deshalb versuchen sie mit einer Zeitmaschine, die Zeit zurückzudrehen, um im 7. Jahrhundert zu leben.
    Main: Und wenn Muslime es wagen würden, "Mohammed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen", was versprechen Sie sich davon als Effekt?
    Abdel-Samad: Dass die Menschen nachdenken. Ist es logisch, was ich schreibe. Es ist keine Diffamierung. Das steht in den Texten des Islam drin. Wenn man das nur liest, dann begreift man. Ich habe nicht nur ein Buch auf Deutsch geschrieben über Mohammed, sondern ich habe die Inhalte dieses Buches auch auf Arabisch auch auf YouTube vorher veröffentlicht. Und über eine Millionen Menschen haben das bis heute gesehen. Es gibt eine unglaubliche Diskussion. Aus allen arabischen Staaten diskutieren Leute miteinander über die Figur Mohammed, seine Verdienste, aber auch seine schlimmen Taten. Das zeigt, dass die Sehnsucht da ist unter jungen Menschen, endlich mal kritisch mit dieser Figur umzugehen, die Jahrhunderte lang, Jahrhunderte lang verschont wurde – von Kritik und von Satire und von historisch-kritischer Betrachtung. Es ist an der Zeit, mit ihm abzurechnen.
    Main: Es ist keine Diffamierung, sagen Sie, es ist kritisch. Dennoch die Frage an Sie, wie oft bekommen Sie Leserpost, Reaktionen irgendeiner Art von einer Seite, die Sie nicht so sehr gerne mögen – als von der falschen Seite?
    Abdel-Samad: Welche falsche Seite meinen Sie genau? Also die falsche Seite ist für mich die, die mich umbringen wollen. Das ist die falsche Seite. Und davon bekomme ich sehr viel Post. Und ich bin sehr beschäftigt, mich mit ihnen auseinanderzusetzen und mich vor ihnen zu schützen. Alles andere ist für mich Banalität. Ich weiß, was Sie meinen. Sie meinen die rechte Seite. Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand mein Buch zitiert hat, während er einen Menschen enthauptet. Aber es gibt viele Menschen, die heute den Koran zitieren, während sie Menschen enthaupten. Da muss man da genauer hingucken, warum es so ist. Weil der Koran zu dieser Art tatsächlich aufruft. Ich rufe nicht zu Gewalt auf. Ich betreibe humanistische Religionskritik, das ist legitim. Das ist nicht nur legitim, sondern notwendig in unserer Zeit. Ich diffamiere Muslime nicht. Ich sage nicht, dass alle Muslime gewalttätig oder Terroristen sind – im Gegenteil, die meisten Muslime sind friedlich. Aber ich sage nicht, dass sie friedlich sind, weil sie Muslime sind. Sie sind Menschen und haben auch andere Quellen und andere Ziele. Und nicht alles in ihrem Leben ist vom Islam gesteuert. Aber der Islam hat den Anspruch, dass alles in ihrem Leben gesteuert werden sollte. Und die, die das machen, enden als Salafisten oder als Terroristen. Und ich unterscheide ganz klar zwischen Islam und Muslimen. Rassisten tun das nicht und wollen das nicht tun.
    Main: Sie werfen in Ihrem Buch dem Reformlager vor, dass es an einigen Punkten die Gefahren, die von Islamisten ausgehen nahezu verkleistern – diese Reformer, indem sie Mohammed verharmlosen.
    Abdel-Samad: Ja. Ich sehe eine unglaubliche Arbeitsteilung, die gefährlich ist – zwischen Fundamentalisten, Islamwissenschaftlern und liberalen Muslimen. Die Fundamentalisten töten im Namen Mohammed und holen sich die Gewaltpassagen aus dem Koran als Legitimation. Die Islamwissenschaftler relativieren diese Passagen, ohne wirklich dazu großartig beizutragen. Wir überlassen den Fundamentalisten das Feld, indem wir sagen: ja, wir wissen nicht ganz genau, ob Mohammed gelebt hatte oder ob er das getan hatte oder nicht. Vielen Dank. Auf Wiedersehen. Wir haben nichts gelernt. Und dann kommen die liberalen Muslime und polieren das Image von Mohammed und vom Koran auf - und Islam ist Frieden und IS hat mit dem Islam zu tun...
    Main: ... und erst die Gelehrten nach Mohammed haben für Fehlentwicklungen gesorgt.
    Abdel-Samad: Genau, all das. Das bringt uns nicht weiter. Mohammed ist eine Realität, auch wenn er nie gelebt hätte, weil die Texte ihn lebendig gemacht haben. Diese Texte sind für den Tod von Millionen von Menschen in Eroberungskriegen verantwortlich. Für Mohammed oder wegen Mohammed werden heute Menschen umgebracht – wie im Irak und in Syrien, wie die Redakteure und Zeichner von Charlie Hebdo wegen einer Zeichnung. Und dann kommen die Leute und sagen, das hat alles nichts mit dem Islam zu tun. Diese Behauptung ist nicht nur irreführend sondern gefährlich, denn das würde bedeuten, man kann so weiter machen mit dem Islam, die gleiche Lehre von Mohammed, dieses Vorbild kann so bleiben, wie es ist, und kann an Schulen und Moscheen genauso unterrichtet werden. Und somit tragen auch liberale Muslime manchmal dazu bei, dass es nicht zur Reform kommt, dass es nicht zu Veränderung des Denkens kommt.
    Main: In diesen Zusammenhang passt auch der letzte Satz Ihres Buches, den ich zitiere: "Vielleicht braucht der Islam keinen Luther, sondern einen Erasmus, einen Voltaire und viele Charlie Hebdos." Den haben Sie eben auch schon angesprochen. Ist das letzten Endes Ihr Punkt: Im Grunde ist der Islam nicht zu retten, nicht reformierbar, sondern muss satirisch und aufklärerisch bekämpft werden?
    Abdel-Samad: Ja. Gottes Wort kann man nicht reformieren. Man muss erst einen Frontalangriff gegen diese Idee, dass es Gottes Wort ist. Und dass ist von Menschen gemacht ist. Dann ist es auch eine Würdigung des Korans, eine Würdigung Mohammeds, beide als menschlich zu betrachten, damit wir uns von den multiplen Krankheiten, an denen Mohammed und seine Gemeinschaft gelitten hatten, uns heute befreien. Narzissmus, Paranoia, Kritikunfähigkeit, Neigung zur Gewalt, Rechtfertigung der Gewalt, Verherrlichung der Gewalt. Wir sind im 21. Jahrhundert. Wir müssen neue Wege finden für das Zusammenleben, für die Vielfalt und die Toleranz. Und Mohammed kann uns definitiv nicht weiterhelfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.