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Porträt
Die Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann

Ihre Kritik an Hartz IV wiegt besonders schwer: Inge Hannemann hat in Jobcentern gearbeitet, kennt die Abläufe dort genau. Inzwischen hat sie selber keine Arbeit mehr: Sie wurde suspendiert und streitet jetzt mit ihrem Arbeitgeber vor Gericht.

Von Godehard Weyerer | 28.11.2013
    Die inzwischen freigestellte Mitarbeiterin des Hamburger Jobcenters, Inge Hannemann, sitzt am 05.08.2013 in ihrer Wohnung in Hamburg an einem Computer. Hannemann, zuständig für Hartz IV-Bezieher, lehnt das «System Hartz IV» lautstark als menschenunwürdig ab. Dafür wurde sie suspendiert und wehrt sich dagegen ab dem 28.08.2013 vor dem Amtsgericht in Hamburg.
    Inge Hannemann sollte nicht über Hartz IV bloggen, forderte ihr Arbeitgeber. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Hartz IV, da ist sich Inge Hannemann sicher, ist menschenunwürdig, macht die Leistungsempfänger psychisch krank und führt in einen Unrechtsstaat - starker Tobak für eine Mehrheitsentscheidung demokratisch gewählter Volksvertreter. Dass ihr Arbeitgeber sie freigestellt hat, hat sie daher nicht verwundert. "Damit habe ich viel früher gerechnet, weil mein Blog steht ja seit eineinhalb Jahren unter Beobachtung. Es hieß ja, ich sollte ihn einstellen, bevor ich überhaupt an der Öffentlichkeit war. Es hatte sich angekündigt, schon eben beim ersten Mal, als es hieß, ich soll schriftlich bestätigen, dass ich nicht über Hartz IV schreibe. Da kam meine Geschäftsführung von der Jobcenter-Zentrale über einen Dritten, über meinen damaligen Standortleiter, der hatte mir ausgerichtet, ich soll schriftlich bestätigen, dass ich nicht über diese Themen schreibe. Was ich nicht getan habe."
    Auszeichnung Whistleblower
    An ihren Vorwürfen hält Inge Hannemann fest. Die Unterstützung, die ihr zuteilwird, bestärkt sie darin. Sie ist in die Rolle eines Whistleblowers geschlüpft. In ihren Ohren ist eine Auszeichnung: "Natürlich, für den Arbeitgeber ist es immer ein Schimpfwort. Kein Arbeitgeber möchte es, dass man ihn in der Öffentlichkeit in Misskredit bringt. Das ist verständlich. Ich habe schon Interna herausgegeben, was sonst gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen wäre, aber ein Whistleblower ist ja jemand, der Missstände aufdeckt. Von daher gebe ich dem Begriff recht. Aber ich bin keine Heldin. Die Menschen werden ja gerne als Held bezeichnet. So sehe ich mich bei Weitem nicht. Ich würde es immer wieder so tun und bereue es auch nicht. Denn hier geht es um Menschen. Es ist ein Politikum, das ist klar, aber betroffen sind Millionen von Menschen. Mir sind Menschenrechte und Menschenwürde weitaus wichtiger als mein eigener Arbeitsplatz."
    Auch an sich selbst stellt sie hohe Ansprüche - und hebt sich ab. Ihre Kollegen: Nette Menschen seien darunter, die sich außerhalb des Berufs sozial engagieren, am Schreibtisch aber oft nicht wiederzuerkennen seien. Warum? Inge Hannemann hat sie darauf angesprochen. Wenn wir die Arbeit nicht machen, hörte sie dann, dann machen es andere. Nicht alle haben so reagiert: "Wir drehen ja ab und zu vor dem Jobcenter hier in Hamburg. Da kommen dann die Kollegen gerne raus, rauchen eine und rufen rüber, weiter so, oder machen den Daumen hoch, klatschen. Manche gucken einfach zu, manche treffe ich auf der Straße, wo sie dann sagen, das finde ich sehr gut. Ich habe hier meine Unterstützer aus dem Jobcenter. Ich bekomme die Informationen weiter, ich habe Zutritt in die Jobcenter, kann dort ins System gehen. Nur die sagen, sie können das nicht mit Namen machen. Sie haben Angst vor Mobbing, sie haben Angst davor, ihren Job zu verlieren und öffentlich auch so diffamiert zu werden, wie ich das jetzt werde."
    Unterstützung von vielen Seiten
    Auch Inge Hannemanns Ehemann ist bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Wie sie damit umgeht? "Er kriegt teilweise gar nicht mit, was ich mache, er kriegt auch nicht mit, wo ich bin, das sage ich ihm einen Abend vorher. Er weiß auch nicht, wo ich Interviews gebe, auch das sage ich ihm erst hinterher. Ich muss ihn schützen. Je weniger er weiß, umso besser. Die Kollegen wissen natürlich, wer ich bin, er wird gefragt, aber eher positiv, seine Frau hat recht, und wenn wir könnten, würden wir auch, aber wir dürfen nicht, wir können nicht."
    Isoliert fühlt sich Inge Hannemann nicht. Im Gegenteil. Seit sie an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat sie mehr zu tun als zuvor. Vernetzt ist sie, eine Petition im Bundestag hat sie vor Kurzem eingegeben und sammelt hierfür 50.000 Unterschriften, ein Theaterstück ist in Planung - es soll um bedingungsloses Grundeinkommen, Hartz IV und Zivilcourage gehen, auf Kundgebungen ist sie, sie hält Vorträge: "Ich bin immer noch suspendiert bei voller Bezahlung. Das nächste Verfahren ist Ende Februar vor dem Landesarbeitsgericht, wobei die Stadt Hamburg, mein eigentlicher Arbeitgeber, signalisiert hat, mich nicht zu kündigen - wohl auch aufgrund des öffentlichen Drucks."
    Am Sonntag hat sie einen internen Bericht des Bundesrechnungshofes, der ihr zu gespielt wurde, auf ihren Blog gestellt. Darin wird die Einkommensberechnung bei Hartz IV beanstandet. Die Arbeitsagentur hat den Blog abonniert. Die nächste Abmahnung wird bald im Briefkasten liegen. Sie sammelt sie. Abschrecken lässt sich Inge Hannemann dadurch nicht: "Ich sage mal, Whistleblowing nicht an sich macht glücklich, aber etwas zu tun, für was man wirklich einsteht, das macht glücklich."