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Proteste ohne politische Heimat

Der Unmut der portugiesischen Bevölkerung über die Regierung wächst. Aber niemand scheint die Verdrossenheit der Bevölkerung für den Aufbau einer politischen Alternative zu nutzen. Die linken Parteien sind zerstritten und eine charismatische Figur wie etwa Beppe Grillo in Italien fehlt.

Von Tilo Wagner | 15.03.2013
    Der größte Hörsaal der Universität Lissabon war bis auf den letzten Platz gefüllt. Ein Redner forderte energisch das Ende der Sparpolitik in Portugal. Der Saal bebte. Der Auftakt für eine politische Alternative in Portugal im vergangenen Herbst sah sehr vielversprechend aus. Die neu gegründete Plattform sollte Anhänger aus den verschiedenen Linksparteien zusammenbringen, um ein gemeinsames Programm zu entwerfen. Mit dabei war auch Manuel Carvalho da Silva – langjähriger Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes CGTP:

    "Es gab bislang keinen nachhaltigen Versuch, die Positionen der Linksparteien auf Gemeinsamkeiten hin abzuklopfen. Daran müssen wir jetzt arbeiten."

    Vom Elan des vergangenen Jahres ist heute nur noch wenig zu spüren. Anfang März waren wieder über eine Million Portugiesen auf der Straße und haben den Rücktritt der konservativen Regierung gefordert. Die Oppositionsparteien schaffen es jedoch nicht, den Unmut der Protestbewegung in einer gemeinsamen politischen Alternative zu kanalisieren. Im Spätsommer stehen in Portugal Kommunalwahlen an. Doch der Graben zwischen den gemäßigten Sozialisten und den beiden radikaleren Linksparteien – den Kommunisten und dem Linksblock – ist so groß, dass temporäre Bündnisse zu scheitern drohen. Selbst in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise würden die Linksparteien nicht von ihren eingefahrenen Positionen abrücken, sagt der Politologe António Costa Pinto:

    "Die Linke in Portugal hat deshalb ein schwerwiegendes Problem: Sie kann nicht regieren. In fast 40 Jahren Demokratie haben die Sozialisten nur einmal die absolute Mehrheit erreicht. Und es sieht nicht danach aus, dass die Sozialisten nun mit offenen Armen die beiden radikaleren Linksparteien empfangen werden, um ein Linksbündnis zu schließen, wie es in Frankreich unter Mitterrand oder im spanischen Parlament schon möglich gewesen ist."

    Das hat Folgen für die Stabilität der Demokratie. Sofern die Portugiesen im politischen Parteienspektrum keine überzeugende Alternative zur Regierung finden, suchen sie nach anderen Wegen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Der portugiesische Philosoph José Gil hat deshalb jüngst davor gewarnt, dass die bisher friedlichen Proteste eskalieren könnten:

    "Die Regierung hat keine Angst vor den Protesten, die von den Oppositionsparteien und Gewerkschaften organisiert werden. Denn das ist alles organisiert und man weiß, was auf einen zukommt. Die jüngsten Proteste sind das nicht. Sie sind nicht greifbar, sie folgen keiner Ideologie, sie präsentieren keine geordneten politischen Ideen. Und es kann irgendwann schwierig werden, sie wieder einzufangen, zu kontrollieren und im Griff zu behalten."

    Der Linksblock will ein sofortiges Ende des von der Troika verordneten Reform- und Sparprogramms und sucht mit dieser radikalen Forderung bewusst die Nähe zu den Demonstranten auf der Straße. Allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Bei Umfragen liegt der Linksblock noch hinter der regierenden konservativen Volkspartei auf dem letzten Platz. Mehrere prominente Linksintellektuelle sind inzwischen aus der Partei ausgetreten.

    Bis jetzt ist aus der Protestbewegung keine neue politische Kraft hervorgegangen. Das liegt zum einen an den Organisatoren der Proteste. Sie zeigen keinerlei Ambitionen, ihren Einfluss in den sozialen Onlinenetzwerken zu nutzen, um für ein konkretes politisches Parteiprogramm zu werben. Zudem, sagt Politologe Pinto, gäbe es in Portugal keine Führungsfigur vom Schlage eines Beppe Grillo:

    "In Portugal bestehen schon seit über einem Jahrzehnt die Voraussetzungen für die Gründung einer neuen Protestpartei. In einem Teil der Bevölkerung wachsen die Ressentiments gegenüber Europa und gegenüber den existierenden politischen Strukturen und Parteien. Was uns in Portugal fehlt, ist ein charismatischer politischer Führer, der sich an den Kopf der Protestbewegung stellt."