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Pulverfass Portugal

Seit dieser Woche sind IWF, EZB und die Europäische Kommission in Portugal, um mit Regierung, Opposition und Gewerkschaften Einsparungen zur Bewältigung der Finanzkrise zu beraten. Lohn- und Rentenkürzungen, Praxisgebühren für sozial Schwache - den Portugiesen drohen radikale soziale Einschnitte, gegen die sich bereits Widerstand regt.

Von Tilo Wagner | 21.04.2011
    Ungewöhnliche Töne in der Abfertigungshalle des Lissabonner Flughafens. Etwa ein Dutzend Demonstranten tragen auf ihren Schultern einen Mann, vor allem sein schwarzer Zylinder fällt auf, mit dem Kürzel FMI - das ist die portugiesische Abkürzung für den Internationalen Währungsfonds. Die Demonstranten setzen den Zylinderträger ab, jagen ihn in Richtung Check-in-Bereich und schreien ihm hinterher "FMI - raus mit dir!" Eine Inszenierung des lokalen Verbands MayDay Lisboa, gegen die internationalen Institutionen, die in diesen Tagen mit der portugiesischen Regierung Finanzhilfen und neue Sparprogramme aushandeln. Zusammen mit anderen Gruppierungen will MayDay Lisboa in den kommenden Wochen gegen neue Sparmaßnahmen protestieren. Denn die Krise sei vor allem von der Finanzwelt ausgelöst worden, und bezahlen müssen sie jetzt die Schwächsten der Gesellschaft. Das sagt Marco Marques, Master-Student und Sprecher der Gruppe:

    "Die internationalen Institutionen werden einen noch viel härteren Sparkurs einfordern. Wir haben bereits seit über einem Jahr mit immer neuen Sparmaßnahmen zu kämpfen. Jetzt reicht es! Denn wir haben diese Krise ganz sicher nicht verschuldet. Wir bekommen miserable Gehälter, befristete oder überhaupt keine Arbeitsverträge und müssen mit einem heruntergewirtschafteten öffentlichen Dienst leben."

    Auch Marques' Gruppe hatte sich im März an einem öffentlichen Protesttag beteiligt, zusammen mit rund 300.000 Portugiesen - so viele Menschen waren seit der Nelkenrevolution nicht mehr zu einer Demonstration gekommen. Die Bewegung der Unzufriedenen wächst in Portugal stetig an. Gründe dafür gibt es genug. Steuererhöhungen und tiefe Einschnitte in staatliche Investitionsprogramme haben schon jetzt Portugal in die Rezession schlittern lassen. Die Arbeitslosigkeit wird nach einer Prognose des IWF bis zum Jahr 2012 auf 12,4 Prozent anwachsen. Und diese Zahlen spiegeln noch keine neuen Steuererhöhungen, Einschnitte im Sozialsystem und Massenentlassungen in staatlichen oder halbstaatlichen Betrieben wider, die mit dem Eingreifen der EU und des IWF zu erwarten sind. Der Soziologieprofessor António Dornelas wäre nicht überrascht, wenn sich insbesondere der Frust von gut qualifizierten, aber schlecht bezahlten jungen Portugiesen irgendwann entladen könnte:

    "Zurzeit wiegt etwas noch viel schlimmer als die allgemeine Ungerechtigkeit in Portugal: Die Gesellschaft gibt den jungen Portugiesen eigentlich keinen Grund, warum diese sich verantwortungsbewusst benehmen sollten. Es kann jedoch sein, dass das Ganze nicht überkocht. Denn nicht immer kommt es dort zu Gewaltausbrüchen, wo es eigentlich gute Gründe dafür gibt."

    In Portugals jüngster Geschichte gibt es kaum Beispiele für gewaltsame Proteste. Selbst beim NATO-Gipfel im November blieb es ruhig, obwohl international agierende gewaltbereite Gruppen dazu aufgerufen hatten. Der Bezugspunkt für gesellschaftliche Veränderungsprozesse bleibt die Nelkenrevolution, die in den 1970er-Jahren das autoritäre Regime stürzte und die Demokratisierung Portugals vorantrieb. Felipe Carreira da Silva, der in Cambridge über soziale Rechte und Politik in Portugal promoviert hat, betont, dass auch die Nelkenrevolution ein friedlicher Protest war:

    "Es gab kein Blutvergießen. Die Nelkenrevolution war ein Prozess von sozialer Kreativität, die sich in Wandbemalungen, in der Literatur, vor allem in der Musik und in der Politik manifestiert hat. Aber Gewalt gab es keine."

    Und das scheint auch die oberste Maxime der neuen Protestbewegung in Portugal zu sein: mit neuen Widerstandsliedern, Straßengraffitis oder inszenierten Aktionen, die aber gewaltfrei bleiben. Der Soziologe da Silva glaubt deshalb, dass die Portugiesen andere Wege finden werden, ihrem Unmut Luft zu machen:

    "Die Menschen werden auswandern, sich von der Politik abwenden oder protestieren. Aber ohne Gewalt und ohne Revolution. Zudem werden die Portugiesen immer unzufriedener mit der Europäischen Union. Uns wurde bei unserem Eintritt vor über 20 Jahren Solidarität versprochen. Jetzt wird den Portugiesen klar, welche Grenzen diese Solidarität hat."

    Die Portugiesen haben die Parlamentswahlen in Finnland mit großer Spannung verfolgt. Die Erleichterung ist zwar groß, dass der Hilfsantrag für Portugal nicht gefährdet ist. Und dennoch ist es den Portugiesen nicht entgangen, dass eine nationalistische Partei im Norden Europas wegen ihrer ablehnenden Haltung zum Rettungspaket für Portugal als heimlicher Sieger aus den Wahlen hervorgegangen ist.