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Rasende Verjüngungskur

Seitdem die Olympischen Spiele der Neuzeit existieren, suchen die Veranstalter auch nach modernen, zeitgemäßen Sportarten. Vor mehr als achtzig Jahren war das auch Sackhüpfen, Seilklettern oder Tauziehen. In London sollten nun vor allem die BMX-Fahrer ein junges Olympia symbolisieren.

Von Ronny Blaschke | 11.08.2012
    Wie bei einem Raketenstart läuft der Countdown herunter. Mit sieben Fahrern stürzt sich Raymon van der Biezen von der Rampe hinab, Ellbogen raus, schon kommt er mit seinen Gegnern in Berührung. Der Niederländer biegt als erster in die Kurve ein, beschleunigt in zwei Sekunden auf sechzig Stundenkilometer. Die Flugshow beginnt: Sprünge bis zu 15 Meter weit und drei Meter hoch, begleitet von Rockmusik und johlenden Zuschauern. Es sind jene Fernsehbilder, mit denen das Internationale Olympische Komitee die Einschaltquote bei Jugendlichen wieder heben will. Eine laute, bunte Show, die Darsteller braucht wie Raymon van der Biezen.

    "Es ist gut, den Ruf einer Funsportart zu haben. Wenn das Publikum diese Atmosphäre mag, haben wir Fahrer nichts dagegen. Es hilft uns vielleicht, bekannter zu werden. Aber wir arbeiten genauso hart wie Schwimmer oder Leichtathleten. Ich bin Vollprofi und trainiere bis zu fünf Stunden am Tag. Das unterscheidet uns nicht von anderen Athleten."

    Die Zukunft Olympias ist ein halbes Jahrhundert alt. In den sechziger Jahren wurden die kleinen 20-Zollräder erstmals in Kalifornien gesichtet, in den achtziger Jahren vermehrt auch in Europa. Raymon van der Biezen erhielt sein erstes BMX-Rad im Alter von vier Jahren, auf seinem Hinterhof baute er sich eine Strecke. Zu Beginn seiner Pubertät empfahl ihm ein Arzt, den Sport aufzugeben, die gekrümmte Körperhaltung würde seinen Wachstumsprozess hemmen. Van der Biezen fuhr weiter, gewann Titel um Titel und qualifizierte sich für die olympische BMX-Premiere in Peking 2008, dort wurde er Neunter. Nun in London landete er auf Platz vier.

    "Ich bin sehr froh, Teil dieser Entwicklung zu sein. Viele Sportarten wollen olympisch werden, aber sie haben keine Chance, weil das Programm kaum mehr wachsen darf. Wir haben es geschafft und sind auch 2016 in Rio dabei. Weil die Zuschauer unseren Sport lieben."

    Jacque Rogge ist 2001 als IOC-Präsident mit dem Versprechen angetreten, das olympische Programm attraktiver, zeitgemäßer und bezahlbarer zu gestalten. Sportarten wie Ringen, Gewichtheben, Bogenschießen oder Moderner Fünfkampf sind nur in wenigen Dutzend Ländern bekannt und werden professionell von noch weniger Nationen betrieben. So hat das IOC die sogenannten Trendsportarten für sich entdeckt. Die Historikerin Jutta Braun aus dem Berliner Zentrum deutsche Sportgeschichte.

    "Mit diesen ganzen Trendsportarten hat sich natürlich ein großer Individualisierungsschub vollzogen. Das man nicht mehr in den Verein oder in den Verband gehen musste. Sondern dass man sich allein auf ein Brett stellte und lossurfte oder allein durch den Wald jogge. Und dieser Trend zum individuellen, unorganisierten Sporttreiben hat natürlich auch einfacher gemacht, diese Sportarten auszuprobieren."

    Das wirtschaftliche Potenzial dahinter haben seit 1994 die X-Games erkennen lassen, ein Olympia ähnliches Sportfest der Extremsportarten. Die Snowboarder feierten bei den Winterspielen 1998 in Nagano ihr Debüt. Und auch die Skateboarder oder Wakeboarder hoffen, irgendwann einmal dabei zu sein. Voraussetzung des IOC: Die Sportarten müssen hohe Akzeptanz aufweisen und in einem Weltverband organisiert sein. Für die Aufnahme in das Programm von 2016 hatten sich sieben Sportarten beworben: Golf, Rugby, Squash, Karate, Inlineskating, Baseball und Softball. Den Zuschlag erhielten Golf und Rugby. Das langjährige IOC-Mitglied Walther Tröger.

    "Die Lobby ist meistens voller als das Programm selber. Und zwar die unmöglichsten, da denkt sogar Bridge und Schach dran, mal reinzukommen. Und vor allem auch die Motorsportarten, aber das IOC hat eine strikte Regel. Sportarten, die mit mechanischen Mitteln betrieben werden, werden nicht zugelassen."

    Im Olympia-Park von London legt neben der BMX-Strecke ein DJ auf, der Moderator weist auf Tätowierungen der Fahrer hin. Viele Zuschauer scheinen nicht zu wissen, was sie von dieser Show halten sollen, an deren Ende der Lette Maris Strombergs die Goldmedaille gewinnt. Es ist eine neue Form des olympischen Überschwangs, Pathos 2.0. In Deutschland existiert nicht eine Strecke im olympischen Format, die einzige Startrampe steht in Cottbus. Luis Brethauer, einer von zwei deutschen Olympia-Teilnehmern, bezeichnete die BMX-Trainingsbedingungen in seiner Heimat als grottenschlecht. Er und sein Kollege Maik Baier scheiterten im Viertelfinale. Die Zukunft Olympias ist in Deutschland noch nicht angekommen.