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Religion mit Absolutheitsanspruch

Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Heilsprediger. Die deutschen Evangelikalen beispielsweise folgen dem Beispiel ihrer amerikanischen Vorprediger und inszenieren Massen-Erweckungsfeiern, die dann "Pro Christ" heißen oder "Christival". Doch das Phänomen hat eine gefährliche Kehrseite.

Von Brigitte Baetz | 13.07.2009
    "Der Heilige Geist fällt nicht auf Bäume und Häuser. Der Heilige Geist fällt auf Menschen. Er fällt nicht auf Tiere. Ja, manchmal schon auch. Ist mal auf einen Blindenhund gefallen und da kam der Heilige Geist auf den Blindenhund und der Hund, der flog zur Seite und die Frau wurde dann geheilt, konnte laufen und brauchte keinen Blindenhund mehr. Halleluja. Gott ist so gut. Ein Geist. Aahh."

    Walter Heidenreich, Leiter der Freien Christlichen Jugendgemeinschaft Lüdenscheid, ist christlicher Charismatiker. Das heißt er predigt über Dämonen, den Kampf Gut gegen Böse und die besondere Bedeutung des Heiligen Geistes, der tagtäglich Wunder wirke. Wer krank ist, so glauben nicht wenige der so genannten Pfingstchristen, der hat sich gegen Gott versündigt, hat nicht genug geglaubt und gebetet. Wie Oda Lambrecht und Christian Baars schreiben, steigt die Zahl der Menschen, die ein solch verstandenes Christentum anspricht - weil es leicht verständlich ist und einfache Lösungen anbietet für so viele Probleme: Glaube und dir wird geholfen werden. Doch dieser Weg zum Glück, begleitet von ekstatisch gefeierten Gottesdiensten, endet oft in einer Sackgasse Die Grenzen zwischen einfacher Glaubensgemeinschaft und doktrinärer Sekte sind fließend, wie die Autoren im Gespräch mit Aussteigern, beispielsweise aus der Tübinger Offensive Stadtmission TOS, erfahren haben.

    Martina Pfeiffer sagt, sie habe viel für die Gemeinde gearbeitet. Sie habe sich um die Essensausgabe im Bistro gekümmert, habe Briefe eingetütet und das Jugendzentrum der Gemeinde geputzt. Geld habe sie dafür nicht bekommen, doch ihre Arbeit sei kontrolliert worden. Irgendwann hatte sie kaum noch ein Privatleben. An sogenannten Gebetsabenden sei sie oft erst nachts um halb eins nach Hause gekommen. Regelmäßig seien die Mitglieder aufgefordert worden, in der Stadt neue Gemeindemitglieder zu werben. Was immer die Leiter planten, die Mitglieder hätten es mittragen sollen, so Pfeiffer. Wenn sie etwas abgelehnt oder kritisiert habe, sagt sie, sei das häufig als Sünde bezeichnet worden. Martina Pfeiffer sagt, wenn sie einmal kein Geld geben wollte, weil sie keins hatte, habe es oft geheißen, sie glaube nicht richtig. Wenn sie richtig glauben würde, hätte sie auch keine finanziellen Schwierigkeiten.

    Die Journalisten Baars und Lambrecht haben nicht nur mit Aussteigern gesprochen, sondern auch Veranstaltungen von Charismatikern besucht und viele Sekundärquellen zusammengetragen, um einen kleinen Überblick über die Szene fundamentalistischer Christen in Deutschland zu geben. Denn unübersichtlich ist die Zahl der kleinen Gemeinden und Gruppierungen, die sich im weitesten Sinne als evangelische Christen verstehen, aber mit ihrer Vorstellung von Dämonen und der gesund machenden Kraft des Glaubens nicht unter das Dach der EKD passen.

    Reine Scharlatane gibt es darunter, die schon Todkranke geheilt haben wollen, Machtmenschen, die ihre Schäflein streng unter Kontrolle halten, religiöse Fanatiker, die sich im Kampf gegen das Böse an vorderster Front sehen. Alle eint sie jedoch die Behauptung oder der Glaube an die allein selig machende Kraft der Bibel.

    Die christlichen Charismatiker lassen sich wegen der hysterischen Gläubigkeit ihrer Anhänger und der autoritären Strukturen in ihren Gemeinden leicht als Randerscheinungen abtun. Doch sind sie, das legt das Buch "Mission Gottesreich" nahe, nur die extremen Ausformungen eines Trends. Bibeltreue Christen, im allgemeinen Evangelikale genannt, werden, so schreiben sie, auch innerhalb der evangelischen Amtskirche immer einflussreicher. Auch wenn Lambrecht und Baars zugeben, dass es unter den Evangelikalen unterschiedliche Strömungen gibt, so seien sie aber grundsätzlich als Fundamentalisten zu betrachten, die ein Gegenkonzept zur Moderne vertreten. Problematisch vor allem: die Intoleranz gegenüber anderen religiösen Bekenntnissen, die rigorose Ablehnung der Homosexualität als Sünde und Krankheit und die Bekämpfung der Evolutionstheorie. In evangelikal ausgerichteten Bekenntnisschulen wird beispielsweise die biblische Schöpfungslehre als der Darwinschen Entwicklungslehre zumindest gleichberechtigt gegenüber gestellt.

    Das generelle Problem ist nach Ansicht von Bildungsexperten, dass der Staat seine Aufsichtspflicht kaum erfüllen kann. Die Zahl der Privatschulen insgesamt ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die inhaltliche Kontrolle der Lehrinhalte erfolge meist ausschließlich über die Prüfungen wie beim Abitur oder dem mittleren Abschluss, sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer. Ansonsten sei die Aufsicht, wenn überhaupt, nur formal vorhanden.

    Schon befürchten Wissenschaftler, dass der sogenannte biblische Kreationismus die biologische Forschung in Deutschland behindern könnte. In der Bevölkerung wächst, so die Autoren Lambrecht und Baars, die Zahl derer, die die Vorstellung ablehnen, mit Affen gemeinsame Vorfahren zu haben. Mit Büchern und Broschüren, Vorträgen, Großveranstaltungen, eigenen Hörfunk- und Fernsehsendern und einer eindrucksvollen Internetpräsenz bringen evangelikale Christen ihre Vorstellungen unters Volk.

    Während die Zahl ihrer Anhänger wächst - allein der Dachverband "Deutsche Evangelische Allianz" geht von 1,3 Millionen "bekennender Christen" aus, erlebt die evangelische Amtskirche einen permanenten Aderlass an Mitgliedern. Ein Grund dafür, so meinen Lambrecht und Baars, dass sich die EKD unter Bischof Wolfgang Huber immer mehr evangelikalem Gedankengut öffnet. Jüngstes Beispiel: die härtere Abgrenzung gegenüber dem Islam. Eine Abgrenzung, die sowohl von Muslimen als auch von christlichen Theologen als feindseliger Akt gewertet wird. Doch auch von Veranstaltungen, gemeinsam getragen von Landeskirchen und überzeugten Fundamentalisten und den emotionsgeladenen Predigten der Evangelikalen erhofft man sich bei der Amtskirche neuen Schwung, um die eigenen Gläubigen wieder in die Kirche zu locken. So predigt beispielsweise Ulrich Parzany, ehemals Generalsekretär des CVJM und offen missionarischer Erweckungsprediger, regelmäßig auf Wunsch Bischof Hubers in der Berliner Gedächtniskirche.

    Im Februar 2007 kam es dabei zu einem Eklat. Parzany sprach in seiner Predigt von einer Welt, in der "Ehebruch zum Partyspaß" und "homosexuelle Praxis zum Lebensstil" gehöre. Weiter sagte er: "Wir werden entweder den Geboten Gottes folgen oder unser Leben und die Gemeinschaft ruinieren." Mehrere Gottesdienstbesucher verließen aus Protest die Kirche. Der Pfarrer der Gedächtniskirche, Martin Germer, kritisierte die Äußerungen. Dennoch durfte Parzany weiter in der Kirche auftreten.

    Evangelische Erneuerung aus dem Geist des Fundamentalismus? Oda Lambrecht und Christian Baars sind skeptisch. Fundamentalismus, so argumentieren sie, führe immer zur Intoleranz. Aus Religion werde Wahrheit mit Absolutheitsanspruch. Der Diskriminierung Andersgläubiger und der Ablehnung ganzer Lebensweisen müsse man jedoch entgegentreten. Nicht nur von Seiten der Amtskirche aus. Und wirklich: das Bild, das die beiden Journalisten skizzieren, gibt Anlass zur Sorge, gerade weil ihre Bestandsaufnahme gar nicht die Vielzahl fundamentalistischer Gruppen abdecken kann, die es in Deutschland gibt. Zudem beschränken sie sich nur auf den im weitesten Sinne evangelischen Teil der Christenheit. Wer in Deutschland das Wort von der die Demokratie gefährdenden Parallelgesellschaft im Mund führt und dabei nur an muslimische Gruppen denkt, sollte die christliche Seite in diesem Zusammenhang nicht übersehen.

    Brigitte Baetz war das über Oda Lambrecht und Christian Baars: "Mission Gottesreich. Fundamentalistische Christen in Deutschland". Das Buch ist erschienen im Ch. Links Verlag. Es hat 250 Seiten und kostet Euro16,90.