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Sachsen
Für und gegen die Russen

Von Alexandra Gerlach | 19.02.2015
    "Gibt es auch nur einen objektiven Grund, Russland mit der Ukraine zu provozieren? Nein. Warum werden Kriege provoziert."
    Fast keine Woche verging in den letzten Monaten, bei der das Thema Kriegshetze keine Rolle spielte in den Ansprachen der Pegida-Redner. Knapp 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehren zugleich die Geister der weltumspannenden, mörderischen Katastrophe in das Bewusstsein vieler Bürger zurück, fragt sich so mancher, ob der Frieden in Europa denn noch sicher ist. Die selbst ernannte Bürger-Bewegung Pegida weiß das zu nutzen, und lässt ihre Wortführer bei den abendlichen Kundgebungen Öl ins Feuer gießen:
    "Kriegshetze! Inmitten dieser explosiven Situation lenken Politik und Medien den wachsenden Wutstau gezielt ins Ausland ab, vor allem gegen Russland. Seit Monaten schon wird Moskau im Zusammenhang mit der von den USA vorsätzlich geschürten Ukraine–Krise als neues Feindbild der NATO aufgebaut."
    Im Publikum sind Banner mit Aufschriften, wie "Putin hilf!" und "Putin errette uns!" zu sehen. Passend dazu überträgt der russische Fernsehsender "Russia Today" 1 zu 1 die Bilder des Protests live in das Reich des russischen Staatspräsidenten. Darüber ärgert sich der Russland-erfahrene Dresdner, Dr. Wolfgang Schälicke:
    "Das sind keine Putin-Versteher. Ja, die nutzen einfach, weil zur Zeit die Politik gegen Russland gerichtet sind, wollen sie eben unseren Politikern eines auswischen, das sind keine Putin-Versteher."
    Wolfgang Schälicke hat in Moskau Flugzeugbau studiert und sich verliebt. Seit 52 Jahren ist er mit seiner russischen Frau verheiratet und lebt in Dresden. Hier ist der Ruheständler Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Kulturinstituts e. V.. Im Empfangs- und Besprechungszimmer voller russischer Bücher hängen die gerahmten Konterfeis der weltbekannten russischen Klassiker. Schälicke macht aus seinen Sympathien für Russland und Putin keinen Hehl. Dieser habe Michail Gorbatschows Idee von einem gemeinsamen Haus Europas fortschreiben wollen, sagt der Dresdner Russlandfreund, doch die Weltmacht USA und der Westen hätten dieses Vorhaben hintertrieben:
    "Das ist doch klar, welche Weltmacht das nicht mitmacht. Und die dann sofort angefangen hat, über die NATO Erweiterung fortzutreiben und dort zu differenzieren zwischen den neuen Europäern und den alten Europäern."
    In dieser Lesart ist auch der Konflikt um die Krim und die Ost-Ukraine bereits in der Revolution auf dem Kiewer Maidan angelegt, und wurde fremd gesteuert aus wohlberechnetem Kalkül des Westens.
    "Und bis jetzt ist die Frage nicht geklärt, wer waren die Scharfschützen, was ist in Odessa passiert, wer hat eigentlich das Flugzeug abgeschossen, also die Boeing."
    Diese Interpretation entspricht einschlägigen Vermutungen, die seit Monaten in bestimmten russischen Kreisen und im Internet kursieren. Doch woher kommt es, dass diese Haltung auch in Dresden auf so fruchtbaren Boden fällt? 15.000 bis 20.000 russische Muttersprachler leben hier, das könnte ein Erklärungsansatz sein. Sarah Buddeberg, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Sächsischen Landtag, glaubt, dass es an der ostdeutschen Sozialisierung liegt:
    "Es ist ja auch an ganz einfachen Dingen festzumachen, zum Beispiel, dass die meisten Menschen, die hier aufgewachsen sind, auch Russisch sprechen. Ich kann kein einziges Wort Russisch, ich habe zum ersten Mal gehört, dass es Soljanka gibt, als ich nach Leipzig zog, das kannte ich nicht. "
    Für den Dresdner Politikwissenschaftler Professor Hans Vorländer gibt es neben dieser Begründung noch zwei weitere wichtige Aspekte, die die Russlandaffinität auch bei den Pegida-Anhängern erklären könnten. Zum einen sei in dieser Region der Antiamerikanismus stärker ausgeprägt als in der alten Bundesrepublik:
    "Es kann auch generell sein, dass es eine gewisse politisch-kulturelle Grundgestimmtheit gibt, die russenfreundlich ist, weil sie eben aus alten Gründen, aus der Nähe zum sozialistischen Block oder zu russischer Kultur eine besondere Nähe haben und sich deshalb Russland besonders verpflichtet fühlen."
    Letzteres dürfte insbesondere für Wolfgang Schälicke, dem Chef des deutsch-russischen Kulturinstituts in Dresden, gelten. Überzeugt spricht er auch heute noch von der "guten Idee des Sozialismus". Den Untergang des alten Sowjetreiches nennt er eine Tragödie. Und während die einen sich Sorgen um Putin und Russland machen, reifen bei anderen Bürgern Ängste vor der Rückkehr des Iwan an die Elbe.
    Niemand will sich dazu vor dem Mikrofon äußern, aber in den letzten Wochen sind viele Menschen nachdenklich geworden, ob der Status Quo von Freiheit und Demokratie auf Dauer sicher ist. Derlei Gedanken und vor allem die alten Feindbilder aus dem Kalten Krieg empören Wolfgang Schälicke vom deutsch-russischen Kulturinstitut:
    "Ich sage: Wo leben Sie? Also das ist, ich sage immer wieder mit dem Gedicht von Juschtschenko: Wollen denn Russen Krieg? Sie wollen nicht Krieg, das ist meine volle Überzeugung!"
    Sarah Buddeberg, die junge Linken-Politikern, hat einen besonders kritischen Blick auf Russland: wegen der dortigen Minderheiten- und insbesondere der Homosexuellen-Gesetze. Diese seien ein Prüfstein für die Demokratie. Die Angst vor einem möglichen Einmarsch der Russen in Deutschland hält sie für abstrus:
    "Die Angst vor dem Iwan, wie es ja heißt, im Westen, das hat natürlich auch viel mit der Propaganda des Kalten Krieges zu tun. Und das ist natürlich auch was, was man auf die Situation heute beziehen kann, dass alte Ressentiments wieder aufgerufen werden und auch verstärkt werden, was ich für sehr bedenklich halte."
    Auch der Politikwissenschaftler Hans Vorländer glaubt nicht an eine akute Gefahr. Verständnis für die Ängste hat er dennoch:
    "Manche haben unter der Sowjetunion gelitten, Dresden war eine Stadt die stark unter russischen Einfluss stand. Deshalb haben viele Leute nachvollziehbare Ängste."