Sonntag, 12. Mai 2024

Archiv

Schacht Konrad
Atommüllkippe der Nation?

Doppelt soviel radioaktiver Müll wie bisher prognostiziert muss in Deutschland entsorgt werden - das teilte die Bundesregierung mit. Das würde wohl auch eine größere Auslastung für das Lager Schacht Konrad in Niedersachsen bedeuten. Bürgerinitiativen fordern einen Neustart der Endlager-Debatte.

Von Alexander Budde | 19.11.2014
    In Schacht Konrad in Salzgitter dürfen in rund 1200 Meter Tiefe 303 000 Kubikmeter Atommüll von geringer Wärmeentwicklung entsorgt werden. Es ist bislang das einzige Endlager in Deutschland.
    In Schacht Konrad in Salzgitter sollten in rund 1200 Meter Tiefe bisher 303 000 Kubikmeter Atommüll von geringer Wärmeentwicklung entsorgt werden. (picture alliance / dpa - Julian Stratenschulte)
    Tausend Meter unter der Erde, in der Finsternis des alten Eisenerzbergwerks Schacht Konrad, blendet der Fahrer die Lichter auf. Über 40 Kilometer erstreckt sich das Wegenetz unter Tage. Immer tiefer windet sich der Stollen in das Felsgestein.
    Monika Hotopp spricht für den Betreiber von Schacht Konrad bei Salzgitter, das Bundesamt für Strahlenschutz. Hotopp führt den Besucher in einen neu aufgefahrenen Bereich des Bergwerks. Wo sich jetzt noch eine mächtige Tunnelbohrmaschine in den Fels gräbt, soll eines Tages Atommüll mit geringer Wärmeentwicklung für alle Zeiten sicher verwahrt werden.
    "Wir befinden uns hier in einer der zukünftigen Einlagerungskammern. Die Einlagerungskammer ist noch nicht ganz fertig, aber wir rechnen damit, dass sie zeitnah fertiggestellt ist."
    Zurück an der Oberfläche: Ludwig Wasmus bewirtschaftet 50 Hektar Ackerland über dem künftigen Endlager. Weizen, Mais und Zuckerrüben.
    "Wir blicken hier direkt auf den Förderturm von Schacht Konrad I. Also, wir ackern quasi bis zum Zaun!"
    Dieselben Fehler wie in Asse?
    "Zeitnah", das ist ein dehnbarer Begriff, sagt Wasmus. Und der streitbare Landwirt - er spricht auch für die lokale Bürgerinitiative - legt los: Bereits 1975 wurde Schacht Konrad ohne nennenswerte Bürgerbeteiligung zum Endlager erkoren. Ursprünglich sollte es bereits 1986 in Betrieb gehen. Erst 2007 waren die letzten Klagen abgewiesen. Seither laufen die Bauarbeiten. Probleme bei der Sanierung der alten Schächte, fehlende Daten etwa zur Ausbreitung des Wassers, keinerlei Konzept für eine Rückholbarkeit des strahlenden Inventars: Wasmus sieht im Schacht Konrad dieselben Fehler am Werk, wie sie im Endlager Asse gemacht wurden. Das Salzbergwerk gleich um die Ecke ist vom Absaufen bedroht.
    "Wenn man einen wirklichen Neustart wollen würde, müsste man alle Arten Atommüll, die es gibt, in diese Diskussion aufnehmen. Man kann eine offene Diskussion nur führen, wenn man wirklich alle Projekte auf Null setzt und komplett, mit allen Arten Müll, von vorn beginnt!"
    Doch davon kann keine Rede sein. Vielmehr könnten in Niedersachsen in den nächsten Jahrzehnten deutlich größere Mengen des radioaktiven Abfalls gelagert werden als bisher angenommen. Die Menge des schwach- und mittelradioaktiven Atommülls, für den Schacht Konrad derzeit vorbereitet wird, könnte sich schlicht verdoppeln. So sieht es der Entwurf des nationalen Entsorgungsplans vor, den Bund und Länder derzeit gemeinsam abstimmen. Für den Schacht Konrad war man bisher von einem Abfallvolumen von rund 300.000 Kubikmetern ausgegangen. Im Entwurf geht der Bund nunmehr von 600.000 Kubikmetern aus. Denn erstmals wurden auch Abfälle aus der Urananreicherung - 100.000 Kubikmeter - eingerechnet. Bislang wurden sie als "Wertstoffe" deklariert. Weitere 200.000 Kubikmeter Strahlenmüll könnten anfallen, wenn das marode Bergwerk Asse geräumt wird.
    Betrug an den Menschen?
    Bundesumweltministerin Hendricks will nicht ausschließen, dass auch sie im Schacht versenkt werden könnten. Was sich abzeichnet, sei kein Neustart bei der Endlagersuche, sondern ein groß angelegter Betrug an den Menschen, sagt Ursula Schönenberger von der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad:
    "Ich bin mir sicher, dass, wenn Schacht Konrad eines Tages in Betrieb genommen wird, versucht werden wird, auf verschiedenen Wegen, die Genehmigung zu erweitern."
    Schönenberger ruft den Niedersächsischen Umweltminister Stefan Wenzel zum Widerstand auf. Nicht ohne Grund, vermutet sie, will die Bundesregierung eine Erweiterung des Endlagers erst nach der Inbetriebnahme prüfen - also voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2022. Dann nämlich hätten Wenzel und die niedersächsischen Aufsichtsbehörden nicht mehr viel zu sagen. Nach dem erst letztes Jahr verabschiedeten Gesetz zur Endlagersuche werden die Genehmigungen rund um Konrad fortan durch das neu geschaffene Bundesamt für kerntechnische Sicherheit erteilt. Und das ist dem Bundesumweltministerium unterstellt.
    "Da gibt es eine Genehmigung, die ist auf ganz genau definierte Mengen von Radionukliden und chemischen Stoffen festgelegt. Da werden wir keine Abstriche zulassen!"
    Alle Fakten zum Volumen und zur Art des in Deutschland anfallenden Atommülls müssten nun auf den Tisch, fordert Stefan Wenzel. Und Niedersachsens Umweltminister warnt in aller Form vor weiteren "hemdsärmeligen Versuchen", Schacht Konrad zu erweitern.